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Biografisches Handbuch

Ulf Balzer

geboren am 26. Februar 1949 | in der Nacht des 10. September 1979 tödlich verunglückt | Ort des Vorfalls: Ostsee vor Rügen
Ulf Balzer hat am 10. September 1979 gemeinsam mit seiner Frau Renate Balzer, seiner Tochter Ines Balzer, seinem Bruder Lutz Balzer und dessen Frau Manuela Balzer versucht, die Ostsee mittels eines aus zwei Faltbooten konstruierten Katamarans zu überqueren und so die DDR zu verlassen. Bei dem Versuch sind alle beteiligten Personen ums Leben gekommen.

Ulf Balzer wurde am 26. Februar 1949 in Radeberg bei Dresden geboren. Er wohnte mit seiner Frau Renate in Arnsdorf, ganz in der Nähe von Radeberg, und war dort als Schlosser in der Technischen Kontroll-Organisation des VEB Profilierung Arnsdorf beschäftigt. Sein jüngerer Bruder Lutz wohnte mit seiner Frau Manuela ebenfalls in Arnsdorf und war im selben Werk als Transportarbeiter beschäftigt. Beide Familien waren Teil eines recht großen Bekannten- und Freundeskreises, der sich um den Jugendklub der Kleinstadt gebildet hatte. In diesem Freundeskreis verstand man sich als eher westlich orientiert. Die beiden Brüder hatten auch eine zehn Jahre jüngere Schwester, die erst nach deren Tod davon erfahren hatte, dass ihre Familie eigentlich viel größer gewesen war. Sie hat nach der tragisch verlaufenen Flucht das Andenken an die beiden kleinen Familien aufrechterhalten.

Im Jahr 1977 kam die Tochter von Ulf und Renate, Ines, zur Welt. Ulf war ein technisch geschickter junger Mann, was sich unter anderem daran zeigte, dass er für seinen jüngeren Bruder Lutz ein Motorrad der Marke „Jawa“ aufgemotzt hatte. Für die Flucht hatte er sogar einen Außenbordmotor selbst gebaut, für den ihn teilweise Freunde mit Teilen versorgten, die nicht ahnten, wofür der Motor letztlich gebraucht werden würde. Wahrscheinlich geht auch die Idee, aus zwei Faltbooten einen Katamaran zu konstruieren, auf ihn zurück.

Es ist bis heute weder im Freundeskreis der beiden Familien, noch in deren familiären Umfeld bekannt, warum genau die Vier mit Ines die DDR verlassen wollten. Natürlich ist da die recht offen gezeigte Vorliebe für westliche Kultur, doch konkret hat sich anscheinend niemand von ihnen je zu den Gründen für die Flucht geäußert. Den einzigen Hinweis auf eine Fluchtursache hatte der Vater der beiden 1992 gegenüber Christine Vogt-Müller geäußert: Demnach habe die Staatssicherheit versucht, seinen Sohn Ulf mit einem Waffenvergehen als Druckmittel zur Arbeit für sie zu nötigen. Ulf hätte damals den Revolver seines Großvaters gefunden und versucht, ihn in seinem Betrieb zu restaurieren. Dabei sei er erwischt worden und dieses Vergehen gegen das in der DDR geltende Waffenrecht hätte die Stasi auszunutzen versucht. Daran kann sich aber kein Zeitzeuge erinnern, noch nicht einmal ein sehr guter Freund Ulfs, mit dem dieser fast täglich laufen war. Diesem Freund hatte Ulf am Vorabend der Abreise nach Rügen einen Besuch abgestattet und ihm eine Kiste mit Fotos der russisch-polnischen Grenze aus dem Zweiten Weltkrieg übergeben. Der konnte sich damals keinen Reim darauf machen, nimmt aber heute an, dass dies ein verborgener Hinweis auf den Charakter des Urlaubs war, in den sich Ulf damals von ihm verabschiedete.

Der Plan war nicht spontan entstanden. So hatte Lutz anlässlich des Polterabends von ihm und Manuela im Sommer 1979 am Knappensee zumindest innerhalb des Freundeskreises offen von dem Fluchtplan gesprochen. Außerdem reiste die zweite Gruppe ein paar Tage später an, damit Manuela noch ihre Prüfung zur Krankenschwester ablegen konnte. Dass sie mit der kleinen Ines ablegten, obwohl die Witterungsverhältnisse erkennbar schlecht waren, spricht weiter für den grundlegenden Charakter ihrer Flucht. Offenbar wollten die beiden Familien nicht länger in der DDR leben und nicht nur einen Ausflug in den Westen unternehmen, sondern sich dort ein neues Leben aufbauen. Ziel ihrer Überfahrt sollte wahrscheinlich Schweden sein, jedenfalls fanden die DDR-Behörden in Ulfs Auto einen Sprachführer „Deutsch-Schwedisch“.

Die Fünf reisten im September 1979 mit zwei Autos nach Rügen und mieteten sich auf dem Zeltplatz Nonnevitz ein, der im Küstenwald direkt hinter dem Nordstrand Rügens liegt. Da es sich hierbei um den Stammplatz der beiden Familien und ihrer Freunde im Sommer handelte, erweckte ihre Ankunft so spät im Jahr keine besondere Aufmerksamkeit. Am 10. September 1979 wurden die Balzers gegen 14 Uhr zum letzten Mal in der Nähe ihrer Zelte auf dem Gelände gesehen. Die beiden Familien führten zwei Faltboote mit sich, die sie am Abend des 10. September zusammensetzten und mit einer Holzkonstruktion zu einem improvisierten Katamaran verbanden, der mittels des von Ulf gebauten Außenbordmotors angetrieben werden sollte.

Kurze Zeit nach dem Ablegen gerieten sie in die Ausläufer eines Sturmtiefs, das kurz zuvor noch als Hurrikan eingestuft war. Offensichtlich hielt der Katamaran den Naturgewalten nicht stand, denn alle Insassen des Gefährts ertranken im Verlauf der Flucht in der Ostsee. Die Überreste des Faltbootkatamarans wurden schon am Fluchttag, den 10. September, zwischen 20 und 22 Uhr vom DDR-Trawler „Gera“ in dessen Grundschleppnetz geborgen. Dabei wurde auch eine Tasche entdeckt, in der sich unter anderem die Personalausweise von Lutz, Manuela und Renate Balzer befanden. Im selben Seegebiet vor Rügen wurden dann in relativ kurzer Zeit die Leichen von Lutz (19. September 1979), Renate (24. September 1979), Ines (27. September 1979) und Manuela (14. Februar 1980) geborgen – alle aus Fischernetzen.

Aus erbrechtlichen Gründen setzte das Kreisgericht Dresden-Land als Todeszeitpunkt für alle fünf den 10. September 1979 fest. Das Volkspolizeikreisamt Rügen deklarierte den Vorgang als Badeunfall. Die Eltern von Ulf und Lutz Balzer wurden im Gegenzug für ihre später genehmigte Ausreise von Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit dazu genötigt, diese Einschätzung nicht infrage zu stellen. Ulf Balzers Leiche wurde wahrscheinlich am 19. August 1980 in der Ostsee 23 Seemeilen vor Baltijsk (Балтийск), das zur russischen Exklave Kaliningrad gehört, geborgen. Darauf deutet ein Vergleich des Zahnstatus und bestimmter Schädelmerkmale hin. Dies ermittelten westdeutsche Behörden im Jahr 1992.


Biografie von Ulf Balzer, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/490-ulf-balzer/, Letzter Zugriff: 23.04.2024