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Biografisches Handbuch

Manuela Balzer

geboren am 8. Februar 1960 in Radeberg | in der Ostsee ertrunken am 10. September 1979 | Ort des Vorfalls: Ostsee
BildunterschriftManuela Balzer
BildquellePrivat, Anja Marksen
Quelle: Privat, Anja Marksen
Manuela Balzer versuchte im Herbst 1979 gemeinsam mit ihrem Mann Lutz Balzer und seinem Bruder Ulf mit dessen Familie, die Ostsee mittels eines aus zwei Faltbooten konstruierten Katamarans in Richtung Freiheit zu überqueren. Die fünf gerieten auf See in einen Sturmausläufer und ertranken schließlich alle.

Manuela Balzer wurde am 10. Februar 1955 als Manuela Henker in Radeberg bei Dresden geboren und arbeitete als Krankenschwester im Bezirkskrankenhaus Arnsdorf. Ihr Mann Lutz und ihr Schwager Ulf Balzer hatten beide eine Anstellung im VEB Profilierwerk Arnsdorf. Lutz hatte auch eine Zeit als Pflegehelfer im selben Krankenhaus wie Manuela gearbeitet – womöglich haben sich die beiden dort auch kennengelernt. Beide Familien waren Teil eines recht großen Bekannten- und Freundeskreises, der sich um den Jugendklub der Kleinstadt gebildet hatte. In diesem Freundeskreis verstand man sich als eher westlich orientiert.

Es ist heute nicht mehr zu ermitteln, warum genau die zwei Familien die DDR verlassen wollten. Der Entschluss ist jedenfalls nicht spontan entstanden. Im Sommer des Jahres 1979 hatten Lutz und Manuela geheiratet und anlässlich des Polterabends, den sie mit Freunden am Knappensee feierten, hatte Lutz im Freundeskreis offen über die bevorstehende Flucht und ihren Plan, dafür einen aus zwei Faltbooten konstruierten Katamaran zu nutzen, gesprochen. Den Motor dafür hatte sein älterer Bruder Ulf in Heimarbeit mit der Unterstützung von Freunden konstruiert, die nicht ahnten, wofür sie ihm die Einzelteile, wie Kurbeln und Wellen, überhaupt zukommen ließen. Ulf war ein sehr versierter Heimwerker gewesen.

Um ihren Plan umzusetzen, reisten die Fünf mit zwei Autos mit wenigen Tagen Abstand nach Rügen. Damit es Manuela nach der gelungenen Flucht auch weiterhin möglich gewesen wäre als Krankenschwester zu arbeiten, reiste sie mit Ulf einige Tage später nach Rügen, als Lutz, der bereits am 31. August aufgebrochen war. So konnte sie noch ihre Abschlussprüfung ablegen und damit ihre Ausbildung erfolgreich abschließen. Dies ist ein weiterer Hinweis darauf, dass die beiden Familien wirklich geplant hatten, die DDR für immer zu verlassen und sich im Westen ein neues Leben aufzubauen. Dafür spricht auch, dass Manuela auf der Flucht viel zu viel Kleidung trug. Zusätzlich hatte sie mehrere Paar Socken unter ihren Pullovern verstaut. Offenbar hatte sie versucht, so viel Kleidung wie möglich mitzunehmen. Ziel ihrer Überfahrt sollte zunächst wahrscheinlich Schweden sein, denn die DDR-Behörden fanden in Ulfs Auto einen Sprachführer „Deutsch-Schwedisch“.

Die Anreise der beiden Autos im September 1979 verlief insgesamt problemlos und die Fünf mieteten sich auf dem Zeltplatz Nonnevitz ein, der im Küstenwald direkt hinter dem Nordstrand Rügens liegt. Da es sich um den Stammplatz der beiden Familien und ihrer Freunde im Sommer handelte, erweckte ihre Ankunft dort so spät im Jahr keine besondere Aufmerksamkeit. Am 10. September 1979 wurden die Balzers gegen 14:00 Uhr zum letzten Mal auf dem Gelände in der Nähe ihrer Zelte gesehen. Die beiden Familien führten zwei Faltboote mit sich, die sie in der Nacht des 10. September zusammensetzten und mit einer Holzkonstruktion zu dem improvisierten Katamaran verbinden wollten, der mittels des ebenfalls mitgebrachten Außenbordmotors angetrieben werden sollte.

Das Zusammensetzen des Faltbootkatamarans scheint gelungen zu sein und die See erschien der kleinen Gruppe schiffbar. Dies stellte sich als eine schwere Fehleinschätzung heraus, denn auf der offenen Ostsee gerieten sie in die Ausläufer eines Sturmtiefs, das kurz zuvor noch als Hurrikan eingestuft war. Offensichtlich hielt der Katamaran den Naturgewalten nicht stand, denn alle Insassen des Gefährts ertranken im Verlauf der Flucht in der Ostsee. Die Überreste des Faltbootkatamarans wurden später vom DDR-Trawler „Gera“ in dessen Grundschleppnetz geborgen. Dabei wurde auch eine Tasche gefunden, in der unter anderem die Personalausweise von Lutz, Manuela und Renate Balzer enthalten waren. Am 14. Februar 1980 wurde Manuela Balzers Leiche vor Rügen, etwa 15 Seemeilen nordöstlich von Kap Arkona, aus der Ostsee geborgen. Sie hatte sich im Netz des Sassnitzer Trawlers „Bitterfeld“ verfangen. Im Sektionsprotokoll wurde vermerkt, dass sie „etwa in dem Bereich gefunden“ wurde, wo „im September 1979 ein gekentertes Boot gefunden bzw. 2 Erwachsene und ein Kind tot geborgen wurden.“ Daher vermuteten die Behörden, dass es sich bei der Leiche um Manuela Balzer handelte, und bestätigten diese Annahme durch einen Abgleich des Zahnstatus.

Ihre Urne wurde in Arnsdorf in dem Grab bestattet, in dem bereits ihr Ehemann Lutz bestattet worden war.

Aus erbrechtlichen Gründen setzte das Kreisgericht Dresden-Land als Todeszeitpunkt für alle Fünf den 10. September 1979 fest. Das Volkspolizeikreisamt Rügen deklarierte den Vorgang als Badeunfall. Die Eltern von Ulf und Lutz Balzer wurden im Gegenzug für ihre später genehmigte Ausreise von Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit dazu genötigt, diese Einschätzung nicht infrage zu stellen.

Es bleibt für Freunde, Bekannte und die Familie rätselhaft, warum die Fünf trotz des schlechten Wetters ihren Fluchtversuch nicht abbrachen. Bis heute bleibt die Annahme, dass Balzers irgendeine Verabredung mit Kontakten im Westen hatten, die sie unbedingt einhalten wollten. Dafür gibt es aber keine Belege.


Biografie von Manuela Balzer, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/490-manuela-balzer/, Letzter Zugriff: 26.04.2024