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Biografisches Handbuch

Fred Schmidt

geboren am 23. Januar 1940 | ertrunken im Juli 1964 | Ort des Vorfalls: Lübecker Bucht
Fred Schmidt schlug sich gemeinsam mit einem Freund im Juli 1964 von Wismar aus zu Fuß bis in das Grenzgebiet bei Barendorf durch. Beide wollten bis zum Schifffahrtsweg in der Lübecker Bucht schwimmen und sich dann dort von einem westlichen Schiff aufnehmen lassen. Nach mehreren vergeblichen Versuchen, nachts im Wasser Schiffe auf sich aufmerksam zu machen, beschlossen beide, umzukehren. Auf dem Rückweg zum Strand bei Barendorf ist Fred Schmidt ertrunken.

Fred Hans Erich Emil Schmidt, genannt Fred, wurde am 23. Januar 1940 in Rostock geboren und verbachte dort den Großteil seines Lebens. Wie lange er die Schule besuchte, ist nicht zu rekonstruieren, aber dort hat er sich mit seinem späteren Fluchtpartner angefreundet.

Schmidt war als Mensch offensichtlich nie vollständig in die DDR integriert gewesen. Seine Frau wie auch seine Arbeitskollegen beschrieben ihn als wenig zur Arbeit motiviert und stark dem Alkohol zugeneigt. In einer Befragung gab seine Frau im August 1964 das Muster seiner Arbeitsverweigerung zu Protokoll: Schmidt habe nur gearbeitet, wenn er Geld gebraucht habe, was dazu geführt habe, dass er im Anschluss an den Zahltag sein Geld schnell „verjubelte”. Das konnte auch bedeuten, dass Schmidt nächtelang seiner Wohnung fernblieb. In dieser Zeit sei er auch seiner Arbeitsstätte ferngeblieben, was bei ihm regelmäßig ein so schlechtes Gewissen verursachte, dass er sich weigerte, überhaupt wieder zur Arbeit zu gehen. Im eigenen Haushalt habe er kaum etwas von seinem Geld zurückgelassen.

Das war insofern tragisch, als Fred Schmidt seine Frau bereits 1960 geehelicht und mit ihr drei Kinder gezeugt hatte. Sie gab 1964 an, dass es ob des Lebenswandels ihres Mannes häufiger Streit gegeben habe und konnte sich damals nur vorstellen, dass er sich mit der Flucht in die BRD seiner Unterhaltspflicht entziehen wollte. Deswegen ging sie auch nicht davon aus, dass er sich im Erfolgsfall bei ihr gemeldet hätte. Seine Eltern waren hingegen davon überzeugt, dass er früher oder später zurückkehren würde. Er war 1958 bereits einmal in die BRD geflohen, jedoch wieder zurückgekehrt, wofür er von den DDR-Behörden auch belangt worden war. Außerdem hatte er 1957 bereits einen einfachen Diebstahl begangen.

Sein Partner hatte einen ähnlich schlechten Leumund wie Schmidt. Er soll bereits als Kind seine Geschwister bestohlen haben und arbeitete ebenfalls nur unregelmäßig. Zwischen 1951 und 1958 wurde er einmal wegen Gelddiebstahl, einmal wegen einfachem Diebstahl und zweimal wegen schwerem Diebstahl belangt. Er und Schmidt hatten sich seit der Schulzeit nie ganz aus den Augen verloren. Sie begegneten sich auch häufiger zufällig, weil sie im selben Wohngebiet lebten. Beide waren auch kurzzeitig auf der Rostocker Neptunwerft beschäftigt. Für den 16. Juli 1964, den Tag, an dem er zuletzt gesehen wurde, war Fred Schmidt zu einer ‚Aussprache‘ beim Rat der Stadt vorgeladen, wahrscheinlich anlässlich seiner aus Sicht der DDR-Behörden mangelhaften Arbeitseinstellung. Diese Vorladung war auf einen Hinweis seiner Frau hin erfolgt.

Statt sich zu der Aussprache zu begeben, traf Schmidt am 16. Juli seinen alten Schulfreund, diesmal in dessen Wohnung, von wo aus die beiden sich in verschiedene Kneipen begaben. Dort gab Fred Schmidt dann sein Vorhaben bekannt, die DDR erneut verlassen zu wollen. Sein Kompagnon nahm das Angebot, ihn zu begleiten, gern an und die beiden diskutierten die Möglichkeiten, die man hatte, um die DDR zu verlassen. Weil er Angst vor den stark ausgebauten Grenzanlagen an der deutsch-deutschen Grenze hatte, schlug er Schmidt die Flucht über die Ostsee vor. In einem Schulatlas stellten die beiden fest, dass sie in Richtung Lübeck nur etwa fünf Kilometer schwimmen mussten, um die internationale Fahrrinne zu erreichen. Fred Schmidt eröffnete seinem Bekannten daraufhin, dass er noch am selben Abend die Flucht durchführen wollte und dieser schloss sich nach kurzem Zögern an. Das nötige Geld hatte Fred Schmidt besorgt, indem er in Rostock Teile der Bettwäsche seiner Frau für 35,- DM verkauft hatte.

Sie lösten ihre Fahrkarten in Rostock für den Zug nach Wismar um 3:35 Uhr und kamen am 17. Juli 1964 gegen halb sechs am Morgen an. In Wismar nahmen die beiden in der Mitropa-Gaststätte des Bahnhofes ihre letzte Mahlzeit vor der Flucht ein: jeder drei Brötchen und ein Glas Tee. Von dort begaben sie sich zu Fuß weiter nach Westen und erreichten gegen Mittag Klütz. Am späten Abend zwischen neun und zehn Uhr waren die beiden in Elmenhorst angelangt, wo sie auf einem Feld übernachteten. Den ganzen folgenden Tag verbrachten sie damit, sich durch Dickicht kriechend an den zahlreichen Wachtürmen und Drahtzäunen der Grenztruppen vorbeizuarbeiten, bis sie Barendorf erreicht hatten, von wo aus man bereits die westdeutsche Küste erkennen kann.

Sie hatten keinerlei Schwimm- oder Orientierungshilfen dabei, als sie am 18. Juli 1964, nur mit Badehosen bekleidet, gegen 23:00 Uhr in die Ostsee gingen. Schmidt hatte sich einen wasserdichten Beutel in die Badehose gesteckt, in dem sich sein Wehrpass, Bilder und sein Personalausweis befanden. Sie erreichten die Fahrrinne und riefen die großen Fährschiffe an, die an ihnen vorbeifuhren, wurden aber nicht bemerkt. Mit dem Schwinden ihrer Kräfte riefen sie sogar in Richtung der DDR-Grenzschutzboote und wurden auch aus dieser Richtung nicht gehört. Sie hatten nichts dabei, was ihnen dabei geholfen hätte, auf sich aufmerksam zu machen. Obwohl Schmidt der Meinung war, die Strecke nach Lübeck sei sicher nicht weiter, als zurück zum Strand in der DDR, schloss er sich dem Vorhaben seines Partners an, zurückzuschwimmen, blieb aber noch einige Momente zurück, um erneut ein vorbeifahrendes Schiff anzurufen. In dieser Zeit verloren sich die beiden aus den Augen. Sein Fluchtpartner schaffte es mit letzter Kraft, den Strand zu erreichen und begann auf Fred Schmidt zu warten, jedoch vergeblich.

Fred Schmidt ist bei diesem Fluchtversuch in der Lübecker Bucht zwischen Barendorf und Brodten bei Lübeck ertrunken. Seine Leiche wurde am 9. August 1964 durch die bundesdeutsche Wasserschutzpolizei in der Nähe der Untiefentonne Brodten Ost geborgen und später auf Wunsch seiner Angehörigen nach Rostock überführt. Das gegen ihn eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen Passvergehen wurde am 14. August 1964 eingestellt, „da kein Subjekt mehr existiert.“


Biografie von Fred Schmidt, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/360-fred-schmidt/, Letzter Zugriff: 26.04.2024