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Biografisches Handbuch

Helmut Schablowski

geboren am 18. November 1935 | vermutlich ertrunken im Oktober 1962 | Ort des Vorfalls: Ostsee
Helmut Schablowski kehrte am 8. Oktober 1962 nach seinem Urlaub nicht an seinen Arbeitsplatz in Neubrandenburg zurück, sondern begab sich zusammen mit Karl Heinz Wegelein nach Ribnitz-Damgarten, von wo aus sie versuchten, mit einem Faltboot nach Dänemark zu gelangen. Dabei sind beide ertrunken.

Am 3. Februar 1963 wandte sich Helmut Schablowskis Bruder in einem Brief an die Fernsehsendung Diesseits und Jenseits der Zonengrenze, die von 1960 bis 1965 vom NDR produziert wurde. Um objektive Berichterstattung bemüht, wurden in dem Programm häufig DDR-Sendungen kommentiert. Schablowskis Bruder war selbst Mitte der 1950er Jahre aus der DDR geflohen und hatte durch Briefe seiner Mutter aus Neubrandenburg vom Verschwinden seines Bruders Helmut im Oktober 1962 erfahren.

In dem Brief schilderte er seine Reaktion auf die Briefe seiner Mutter und bat eindringlich um Aufklärung des Schicksals von Helmut, denn den DDR-Behörden misstraute er vollkommen: „Meine Frage: Ist das ›Deutsche Fernsehen‹ in der Lage, das wahre Schicksal meines Bruders zu erfahren? Wenn es Mord war, wird dieser Mord gesühnt? Wer gibt mir meinen Bruder wieder?? Ich hatte einen Nervenzusammenbruch und war 7 Wochen krank. Jetzt kann ich wieder schreiben und möchte Antwort auf meine Fragen! Können Sie mich verstehen? Können Sie mir helfen?“

Die Mutter hatte in ihrem ersten Brief am 11. Oktober geschildert, dass ihr Sohn seit dem 8. Oktober, seinem ersten Arbeitstag nach einem Urlaub, auf seiner Arbeitsstelle vermisst wurde. Am 9. Oktober war sie sogar vom Abteilungsleiter ihres Sohnes zu dessen Verbleib befragt worden, konnte aber nicht weiterhelfen. Zu diesem Zeitpunkt war ihr auch bereits bekannt, dass ihr Sohn zusammen mit Karl-Heinz Wegelein, der wie Schablowski in Neubrandenburg gearbeitet hatte, unterwegs gewesen sein muss und dass der Verdacht bestand, dass die beiden die Flucht aus der DDR versucht hatten, also in den Augen der DDR-Behörden „republikflüchtig“ waren. Davon erfahren hatte sie wahrscheinlich durch Besuche der Volkspolizei am Morgen und der Staatssicherheit am Abend des 9. Oktober, bei denen sie nach Helmut Schablowskis Verbleib gefragt worden war.

Angesichts der Lebensgefahr, die eine Flucht über die Ostsee unter den „jetzigen Zuständen“ darstellte, hielt die Mutter einen solchen Versuch für Wahnsinn und konnte den Entschluss ihres Sohnes schlecht nachvollziehen. Seine Anstellung sei annehmbar gewesen. Nur seine Wohnsituation schien alles andere als optimal gewesen zu sein. Helmut Schablowski hatte seine Wohnung oberhalb einer Kneipe, von der bis spät in die Nacht anscheinend schwer erträglicher Lärm ausging. Die Mutter beschrieb, dass er das Gefühl hatte, durch diese Zustände langsam verrückt zu werden. Sie kümmerte sich aufopferungsvoll um ihren Sohn, stellte ihm Hausrat zur Verfügung, unterstützte ihn finanziell, wusch dessen Wäsche und reinigte die Wohnung. Sie nahm offenbar anfangs noch an, dass seine Flucht geglückt war und schrieb mit gewisser Resignation, dass es ihm „wohl spanisch vorkommen [dürfte], ganz allein und dann mit seiner Krankheit, er war nicht mehr recht auf der Höhe.“ Noch nichts vom Schicksal ihres Sohnes ahnend beklagt die Mutter, dass die nun ganz allein sei und bat Helmuts Bruder nur noch darum, ihr von  Helmuts Verbleib zu berichten. Sie wollte Gewissheit darüber, wie es ihm ging, aber keinen weiteren Kontakt zu ihm, da sie ihm nicht zugetraut hatte, sie zu in der DDR zurückzulassen. Sie schloss ihren Brief mit spürbarer Enttäuschung: „Es grüßt dich eine verlassene Mutter.“

Ende Oktober wandte sie sich an ihre Schwiegertochter, nachdem sie am 23. Oktober 1962 zur Polizei bestellt gewesen war. Dort hatte man ihr mitgeteilt, dass Karl-Heinz Wegelein inzwischen tot aus dem Wasser der Ostsee geborgen worden war. Zum Verbleib ihres Sohnes Helmut hatte sie nichts Neues erfahren, jedoch eine Vermutung: „Ich glaube nicht das er noch am Leben ist.“ In einem weiteren Brief an ihre Schwiegertochter Anfang November 1962 kann sie nur noch einige Details berichten, die sie zwischenzeitlich erfahren hatte: Die beiden hatten mit Hilfe eines Faltbootes versucht, nach Dänemark zu gelangen und Wegeleins Leiche war am 20. Oktober gefunden worden, nachdem sie augenscheinlich schon länger im Wasser gelegen hatte. Bei Wegelein fanden sich die typischen Hilfsmittel für eine Flucht über die Ostsee mit einem Boot: die Anleitung zum Zusammenbau eines Faltboots, eine Karte und ein Kompass. Für die Mutter stellte das Vorhaben, von der DDR-Küste aus Dänemark zu erreichen ein Unternehmen dar, welches niemand mit normalem Verstand versuchen würde. Helmut hatte eigentlich versprochen, seine Mutter monatlich finanziell zu unterstützen, damit diese nicht mehr arbeiten müsste. Sie vermutete, dass es die für ihn unerträgliche Wohnsituation gewesen sein muss, die ihren Sohn zur Flucht getrieben hat.

Sowohl die 1963 bei der Zentralen Erfassungsstelle der Landesjustizverwaltungen (ZEST) in der Bundesrepublik geführten Ermittlungen als auch die spätere Aufarbeitung des Falles Helmut Schablowski durch die Zentrale Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität (ZERV) im Jahr 1993 konnten keine weiteren maßgeblichen Erkenntnisse liefern. Die genauesten Angaben fanden sich zuletzt in den Beständen des Ministeriums für Staatssicherheit, aus denen hervorgeht, dass Helmut Schablowski und sein Bekannter Wegelein Anfang Oktober 1962 gemeinsam nach Ribnitz-Damgarten gefahren sind, bevor Wegeleins Leiche dann am 20. Oktober 1962 dort gefunden wurde. Aus dieser Gegend waren sie wahrscheinlich auch abgelandet.

Helmut Schablowskis Leiche wurde bis heute nicht gefunden.


Biografie von Helmut Schablowski, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/357-helmut-schablowski/, Letzter Zugriff: 23.11.2024