Eiserner Vorhang. Tödliche Fluchten und Rechtsbeugung
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Biografisches Handbuch
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Brigitte von Kistowski

geboren am 23. Oktober 1947 in Holzweißig (heute Ortsteil von Bitterfeld-Wolfen), Sachsen-Anhalt | gestorben am 13. August 1975 im Grenzgebiet der Volksrepublik Bulgarien zu Griechenland | Ort des Zwischenfalls: Zastava "Arteria" im Raum Dospat

Quelle: Stefan Appelius

Am 13. August 1975 um 4:30 Uhr starb Brigitte von Kistowski im Kugelhagel bulgarischer Maschinenpistolen. Sie wurde von fünfundzwanzig Geschossen aus geringer Entfernung getroffen, ihren Lebensgefährten Klaus Prautzsch trafen 37 Geschosse.

Brigitte Hannelore Kurzweg kam am 25. Oktober 1947 in Holzweißig, Kreis Bitterfeld, zur Welt. Sie heiratete am 25 August 1967 den gleichaltrigen Joachim von Kistowski. Die Ehe wurde im September 1969 geschieden, der gemeinsame Sohn Brigitte von Kistowski zugesprochen.

Brigitte von Kistowski
Brigitte von Kistowski
ca. 1967
Quelle: Archiv Stefan Appelius

Nach ihrer Scheidung ging sie eine Beziehung mit ihrem ebenfalls geschiedenen Schulfreund Klaus Prautzsch ein. Das Paar lebte gemeinsam mit Brigittes kleinem Sohn in einer zuvor unbewohnbaren Altbauwohnung in Leipzig, die sie selbst renoviert hatten. Im Sommer 1975 reisten die beiden jungen Leute mit einem Motorrad (Typ MZ ETS 250 Trophy Sport) zum Urlaub in die Volksrepublik Bulgarien. Ihren Sohn hatte Brigitte von Kistowski zuvor bei ihrer Mutter in Holzweißig abgegeben.

Bei ihrer Reise nach Bulgarien begleitete Steffen Benkert, ein Arbeitskollege von Klaus Prautzsch, das Paar. Er war ebenfalls mit einem Motorrad unterwegs. Steffen Benkert bezweifelt im Rückblick, dass seine Freunde mit der Absicht nach Bulgarien fuhren, von dort aus in den Westen zu fliehen: „Ich habe von den beiden nie ein Sterbenswörtchen von Flucht gehört.“ Brigitte von Kistowski sei weder mit ihrem Leben in der DDR unzufrieden gewesen, noch hätte sie ihren kleinen Sohn freiwillig zurückgelassen, meint auch Benkerts damalige Verlobte und heutige Ehefrau.

Nachdem die drei Urlauber von Rumänien über die Grenzübergangsstelle Vidin mit einer Donaufähre nach Bulgarien eingereist waren, fuhren sie zunächst in das Rila-Kloster, einer berühmten und bei Touristen beliebten Sehenswürdigkeit in Südwest-Bulgarien. Hier trennten sich am 26. Juli 1975 ihre Wege. Während Brigitte von Kistowski und Klaus Dieter Prautzsch an die südliche Schwarzmeerküste wollten, fuhr Steffen Benkert nach Varna, um dort seine Verlobte zu treffen, die mit dem Flugzeug nach Bulgarien gereist war.

Anschließend blieben Brigitte von Kistowski und Klaus Prautzsch fast drei Wochen zu einem Badeurlaub auf einem Campingplatz an der südlichen Schwarzmeerküste. Warum sie am Ende ihrer Ferien von dort aus nicht direkt in Richtung Rumänien fuhren, ist unklar. Belegt ist nur, dass sie in der Ortschaft Dospat am 12. August 1975 gegen 20 Uhr mit dem Motorrad in eine Personenkontrolle der Bulgarischen Grenztruppen gerieten. Die Ortschaft befindet sich zwar im Sperrgebiet zur griechischen Grenze, ist aber noch etliche Kilometer von Griechenland entfernt. Nach Aktenlage soll Prautzsch mit seinem Motorrad vor den Grenzern geflüchtet sein.

Das Motorrad von Klaus Prautzsch gelangte einige Monate später zurück nach Bitterfeld. Es wies abgesehen von ein paar Kratzern und dem gebrochenen vorderen Teleskoprohr keine Beschädigungen auf. Denkbar wäre, dass Brigitte von Kistowski und Klaus Dieter Prautzsch – entgegen der Darstellung des MfS – gar nicht geflohen sind, sondern in Dospat verhaftet wurden. Sicher ist nur, dass die beiden nach ihrer Festnahme in das Militärobjekt Arteria gebracht wurden. In jeder Grenzwache gab es Zellen, in die verhaftete Flüchtlinge vor ihrem Weitertransport Richtung Sofia eingesperrt wurden.

Zum weiteren Ablauf des Geschehens ist nur bekannt, dass die Leichen Brigitte von Kistowskis und Klaus Prautzsch‘s bereits am 14. August 1975 im Sofioter Militärkrankenhaus obduziert und anschließend durch den DDR-Konsul Kurt Spörl im Gerichtsmedizinischen Institut identifiziert wurden. Danach erfolgte auf Anordnung des Leiters der Hauptabteilung Konsularische Beziehungen im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten (MfAA) der DDR, August Klobes, auf dem Friedhof Bakrena Fabrika in einem Vorort von Sofia ihre Beisetzung noch bevor ihre Angehörigen überhaupt vom Tod der beiden jungen Leute unterrichtet worden waren. Einige Monate später wurden beide Leichen exhumiert und in verzinkten Kisten in die DDR zurückgeflogen. Vorausgegangen waren Gespräche der Mütter beider Opfer mit dem kurz zuvor neu ernannten DDR-Botschafter in Sofia, Manfred Schmidt. Den Ausschlag gab vermutlich der Umstand, dass Brigitte von Kistowskis Mutter, Hannelore Kurzweg, ein langjähriges überzeugtes SED-Mitglied war.

Brigitte von Kistowski und Klaus Prautzsch fanden ihre letzte Ruhestätte auf dem Friedhof in Holzweißig.

Autor:
App.
Recherche:
App., MS, AH, jos.
Quellen:
  • MfS, HA IX: Operative Information 936/75, Versuchter ungesetzlicher Grenzübertritt durch zwei Bürger der DDR über die Staatsgrenze der VR Bulgarien nach Griechenland mit tödlichem Ausgang, 13.08.1975. BStU, MfS, HA IX, Nr. 3421.
  • Niederschrift der Botschaft der DDR, Konsularabteilung, Sofia, über den Vorgang Karl-Dieter Prautzsch und Brigitte Hannelore v. Kistowski vom 25.8.1975 und weitere Dokumente. BArch, DP/ 3/ 2564 - AZ: IA (b) AR 56/ 66.
  • DDR-Botschaft in Sofia; Kurt Spörl: Kosten für die Exhumierung u.a. Schriftgut zu den Todesfällen Brigitte-Hannelore von Kristowski und Klaus-Dieter Prautzsch.PAAA, ZR 495/88, VRB Sterbefall: Prautzsch / v. Kristowski 1975.
Druckversion
Abkürzungsverzeichnis
Name
von Kistowski, Brigitte
Geschlecht
weiblich
Geburtsdatum
23. Oktober 1947
Geburtsort
Holzweißig
Letzter Wohnort
Leipzig
Staat des Vorfalls
Bulgarien
Region des Vorfalls
Oblast Smoljan
Ort des Vorfalls
südlich von Dospat
Todesursache
Schusswaffen
Datum des Vorfalls
13. August 1975
Todesalter
27
Teilprojekt
verbündete Ostblockstaaten
Fallgruppe
Todesfälle bei Kontrollen
Personengruppe
Zivilisten / DDR
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