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Biografisches Handbuch

Hans Brandt

geboren am 16. April 1945 in Stöllnitz | verletzt durch Minensplitter am 28. Januar 1982, gestorben an den Spätfolgen am 31. Oktober 1985 | Ort des Vorfalls: innerdeutsche Grenze, etwa 1000 Meter südwestlich von Dechow (Mecklenburg-Vorpommern)
Am frühen Morgen des 28. Januars 1982 löste der 37-jährige Hans Brandt bei einem Fluchtversuch mehrere SM-70 Selbstschussanlagen aus. Lebensgefährlich verletzt, schleppte er sich dennoch über die Grenze, wurde vom Bundegrenzschutz in ein Krankenhaus gebracht und dort operiert. Einige Wochen später kehrte er in die DDR zurück, wo er 1985 an den Spätfolgen seiner Verletzungen starb.

Am frühen Morgen des 28. Januars 1982 löste der 37-jährige Hans Brandt bei einem Fluchtversuch mehrere Selbstschussanlagen vom Typ SM-70 aus. Lebensgefährlich verletzt, schleppte er sich dennoch über die Grenze, wurde vom Bundesgrenzschutz in ein Krankenhaus gebracht und dort operiert. Einige Wochen später kehrte er in die DDR zurück, wo er 1985 an den Spätfolgen seiner Verletzungen starb.

Der in Stöllnitz im Grenzkreis Gadebusch geborene Hans Brandt arbeitete als Großgeräteführer in der LPG Carlow und lebte mit seiner Frau und einer Tochter in Bülow, Kreis Gadebusch. Er war unzufrieden mit den politischen und sozialen Verhältnissen in der DDR und sah für sich dort kein Fortkommen mehr. Am 8. August 1980 wurde er durch Volkspolizisten bei der Annäherung an die Grenze bei Schlagsdorf, Kreis Gadebusch, festgenommen und anschließend nach dem „Republikfluchtparagraphen“ 213 verurteilt. Seine Pläne gab er dennoch nicht auf. Anderthalb Jahre später, am Abend des 27. Januar 1982, entschloss er sich nach einem Gaststättenbesuch spontan zu einem neuen Fluchtversuch, von dem seine Angehörigen nichts wussten. Er näherte sich von Dechow aus über freie Ackerflächen den Grenzsperranlagen. Mithilfe eines hochgekanteten Straßenschildes durchkroch er gegen 1.20 Uhr den Grenzsignalzaun. Beim Überklettern eines weiteren Zauns löste er mehrere SM-70-Selbstschussanlagen aus.

Durch 14 Metallsplitter lebensgefährlich verletzt, gelang es ihm dennoch, sich 300 Meter weit auf bundesdeutsches Gebiet zu schleppen. Einige Stunden später, gegen 6.25 Uhr, wurde er bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt an der B 208 von einem BGS-Suchtrupp gefunden, da man im Westen die Explosionen gehört hatte. Die Beamten brachten ihn in das DRK-Krankenhaus Ratzeburg, wo man neben den Splitterverletzungen auch eine starke Unterkühlung sowie einen hohen Blutverlust feststellte. Es gelang den Ärzten, seinen Zustand zu stabilisieren, später wurden die Metallsplitter, darunter einer im Herzmuskel, operativ entfernt. Gegenüber der Polizei gab er an, er sei mehrmals zum Eintritt in die SED gedrängt und wegen seiner Ablehnung schikaniert worden. Auch in der Familie sei entsprechender Druck auf ihn ausgeübt worden – der Schwiegervater war aktives SED-Mitglied –, sodass er sich weiteren Auseinandersetzungen durch die Flucht entziehen wollte. Anfang Mai ging es ihm nach einer Herzoperation besser, seine Betreuer hatten ihm Wohnung und Arbeitsstelle vermittelt, doch zunächst sollte er eine Erholungskur antreten. Darüber hinaus hatten ihm unter anderem die Mecklenburgische Landsmannschaft, die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte und die Kirchen eine hohe Summe für den Start in sein neues Leben gespendet.

Doch statt eine Erholungskur anzutreten, bestieg er am 7. Mai 1982 ein Taxi, das ihn vom Krankenhaus Ratzeburg nach Lübeck brachte. Das Spendengeld hatte er abgehoben. Noch am selben Tag wurde er bei der Einreise nach Ost-Berlin im Bahnhof Friedrichstraße verhaftet. Bei sich trug er 5 550 DM sowie einen Taschenrechner und einen Kassettenrekorder – damals teure und in der DDR begehrte Geräte. Gegenüber dem MfS erklärte er, mit den Wertgegenständen und dem Geld nichts mehr zu tun haben zu wollen. Er überließ sie als „Wiedergutmachung“ eines Teils seiner Schuld dem Staatssicherheitsdienst. Seine unerwartete Rückkehr in die DDR löste im Westen rege Diskussionen aus. Der behandelnde Arzt bezeichnete es laut Bericht einer Lokalzeitung als Wunder, dass Brandt seine Herzverletzung überlebte. Er brauche alle zwei bis sechs Tage ein Medikament, das die Blutgerinnung hemme. Sollte sich ein Blutgerinnsel bilden, würde das den Tod bedeuten. Später wurde bekannt, dass MfS-Mitarbeiter während Brandts Aufenthalt im Krankenhaus Ratzeburg mehrmals Telefonverbindungen aus dem Rathaus Rehna herstellten, sodass Frau Brandt unter Aufsicht mit ihrem Mann sprechen konnte, um ihn zur Rückkehr zu seiner Familie aufzufordern. Die Stasi hielt sie auch dazu an, ihm Briefe ähnlichen Inhalts zu schreiben, die dann vom MfS selbst übermittelt wurden. Nach seiner Rückkehr blieb Brandt nur wenige Tage in Gewahrsam der Staatssicherheit in Schwerin. Am 13. Mai wurde „auf zentraler Ebene“ seine Freilassung und die Einstellung des Strafverfahrens verfügt, weil er sich freiwillig in die DDR zurückbegeben hatte, anschließend brachte man Brandt zu seiner Familie, die mitgebrachten Devisen sah er allerdings nicht wieder.

Kurze Zeit später nahm er seine Arbeit in der LPG wieder auf. In der Folgezeit wurde er mehrmals ohne ersichtlichen Grund bewusstlos, auch klagte er zunehmend über Schmerzen in den Beinen. Am 31. Oktober 1985 verstarb er auf einem Feld bei Bülow. Die Staatsanwaltschaft Schwerin hielt es in ihrem in den 1990er Jahren geführten Ermittlungsverfahren für naheliegend, dass sein Tod eine Folge der erlittenen Minenverletzungen war. Da dafür aber belastbare Beweise fehlten, klagte die Staatsanwaltschaft Schwerin drei für die Aufrechterhaltung des DDR-Grenzregimes zuständige höhere Offiziere im konkreten Fall Brandt nur wegen versuchten Totschlags an. Nachdem der Bundesgerichtshof den zunächst ergangenen Freispruch dieser militärisch Verantwortlichen durch das Landgericht Schwerin aufhob, verurteilte das Landgericht Rostock die ehemaligen Oberste der Grenztruppen Roland Neubauer und Bernd Schoenebeck wegen versuchten Totschlags zum Nachteil Hans Brandts (sowie begleitend wegen vollendeten Totschlags zum Nachteil Harry Weltzins) zu Bewährungsstrafen zwischen sechs und 18 Monaten.


Biografie von Hans Brandt, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/231-hans-brandt/, Letzter Zugriff: 29.03.2024