Harry Weltzin wuchs in Wismar als Sohn der Kaufleute Elfriede und Erwin Weltzin auf. Seine Eltern betrieben ihr ehemaliges Einzelhandelsgeschäft nach der Einführung der sozialistischen Wirtschaftsordnung als HO-Kommissionsladen für Lebensmittel weiter. Beide Eltern gehörten der LPDP an. Nach dem Besuch der Polytechnische Oberschule „Gerhart Hauptmann“ in Wismar erlernte Harry Weltzin den Beruf eines Elektromonteurs. Nebenbei bereitete er sich auf ein Ingenieurstudium vor. Um sich die Zulassung zu seinem Wunschstudiengang zu sichern, verpflichtete er sich zu einer dreijährigen Dienstzeit in der Nationalen Volksarmee. Von 1974 bis 1977 diente er in einem Mot.-Schützen-Regiment am Berliner Ring. Er beendete den Wehrdienst als Feldwebel, anlässlich des 30. Jahrestages der DDR-Gründung erfolgte am 7. Oktober 1979 seine Beförderung zum Leutnant der Reserve.
Sein Elektrotechnikstudium an der Ingenieurhochschule in Wismar schloss Weltzin 1981 als Diplom-Ingenieur ab. Danach arbeite er als Konstrukteur im VEB Mathias-Thesen-Werft Wismar. Von 1975 bis 1980 gehörte Weltzin der SED an. Er richtete in dieser Zeit mehrere Eingaben an das SED-Zentralkomitee, in denen er Versorgungsmängel kritisierte und die verfehlte Jugendpolitik der Partei beklagte. Da er seine kritische Haltung in mehreren Gesprächen mit leitenden SED-Funktionären aus Wismar bekräftigte, schloss ihn die SED wegen unregelmäßiger Teilnahme am Parteileben und Verweigerung der Beitragszahlungen aus der Partei aus. Im November 1981 versuchten Stasi-Offiziere der Bezirksverwaltung Rostock, ihn als Spitzel zu werben. Nach einem ersten Gespräch gaben die MfS-Leute das Vorhaben wegen „Nichteignung des Kandidaten“ auf. Seine 1979 geschlossene Ehe scheiterte 1981. Harry Weltzin verliebte sich nach der Scheidung in die Kinderdiakonin Petra Hoeth aus Schwerin, mit der er sich verlobte. Zu Jahresanfang 1983 kündigte er seine Arbeitsstelle bei der Werft und zog zu seiner Verlobten nach Schwerin. Im Juni 1983 kam ihr gemeinsames Kind zur Welt. Seinen Lebensunterhalt verdiente sich Harry Weltzin inzwischen als Verkäufer im Laden seiner Eltern.
Am Abend des 3. September 1983 fand Petra Hoeth, als sie in ihre Wohnung zurückkehrte, eine handschriftliche Erklärung ihres Verlobten vor, in der er die Vaterschaft für das gemeinsame Kind anerkannte und ihr sein Mobiliar übereignete. Wenige Stunden später, am Sonntagmorgen um 4.36 Uhr, löste die Grenzsignalanlage bei Kneese Alarm im Führungspunkt der Grenzkompanie Kneese aus. Nur wenige Minuten später fand die ausgerückte Alarmgruppe am Grenzzaun einen Mann, der keine Lebenszeichen mehr von sich gab. Es handelte sich um den 28-jährigen Diplom-Ingenieur Harry Weltzin. Beim Versuch, sich unter dem Grenzzaun durchzugraben, hatte er zwei Splitterminen (SM-70) ausgelöst. Die spätere Obduktion ergab Verletzungen durch drei Stahlsplitter im Kopf, vier weitere trafen Weltzin an der rechten und hinteren Halsseite, elf im rechten Schulterblattbereich bzw. am Schultergelenk, acht am rechten Oberarm, weitere acht am rechten Flanken- und unteren Rückenbereich und drei an der rechten Oberschenkelaußenseite.
Die Grenzsoldaten fanden bei dem mit einem Parka bekleideten Toten seinen Personalausweis, einen Campingspaten, einen Seitenschneider, einen Bolzenschneider, ein Eisensägeblatt, einen Schnorchel, einen Schirm, eine Thermosflasche, ein Messer, zwei Kompasse und eine Taschenlampe. Außerdem trug er seine Erkennungsmarke der Nationalen Volksarmee am Hals. Bei der Überprüfung seines Fluchtweges stellte sich heraus, dass sich Weltzin zu Fuß aus Richtung Schönwalde, Kreis Gadebusch, der Grenze genähert und 130 Meter westlich vom Ortsausgang Kneese den neu errichteten, aber noch nicht angeschlossenen Grenzzaun überwunden hatte. Dabei durchtrennte er zwölf Signaldrähte. Nachdem er den Kolonnenweg überquert hatte, begann er, den letzten Grenzzaun mit seinem Campingspaten zu untergraben. Er hatte bereits ein Loch von 70 cm Tiefe, 75 cm Länge und 40 cm Breite gegraben, als er zwei am Zaum befestigte Selbstschussanlagen auslöste.
Offiziere des Staatssicherheitsdienstes bereiteten die zuständigen Mitarbeiter beim Rat der Stadt Wismar, Abteilung Inneres, auf die Unterredung mit Weltzins Eltern vor. Sie sollten ihnen zunächst lediglich mitteilen, ihr Sohn Harry sei „beim Begehen einer Straftat tödlich verunglückt“. Doch die tatsächlichen Gründe seines Todes an der Grenze bei Kneese sprachen sich rasch herum. Zwei Tage nach Weltzins Tod erschienen laut MfS-Unterlagen Staatsanwalt Löwenstein, der Leiter der Untersuchungsabteilung des MfS, Major Eder, und MfS-Hauptmann Billion bei Weltzins Eltern und teilten ihnen mit, dass sich die Leiche ihres „verstorbenen Sohnes“ im Schweriner Krematorium befindet. Sie legten den Eltern nahe, „von der Besichtigung der Leiche Abstand zu nehmen, um den Sohn so in Erinnerung zu behalten, wie er in ihrer Erinnerung war. Sollte trotzdem der Wunsch bestehen, von ihrem Sohn persönlich Abschied zu nehmen, so könnten die Eltern diesen in Schwerin sehen. In einer eigenhändigen Niederschrift verzichten die Eltern darauf, ihren Sohn noch einmal zu sehen und beauftragten das Beerdigungsinstitut in Schwerin mit der Einäscherung der Leiche.“ Harry Weltzins Beisetzung erfolgte unter Überwachung des Staatssicherheitsdienstes auf dem Wismarer Westfriedhof. Heute erinnert auf dem ehemaligen Grenzstreifen bei dem Dorf Kneese ein Mahnmal an Harry Weltzin.