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Biografisches Handbuch

Wilhelm Dröger

geboren am 14. Oktober 1909 in Mahnsfeld | getötet durch Minenexplosion am 3. Oktober 1969 | Ort des Vorfalls: Brandenbaum, nahe Lübeck (Mecklenburg-Vorpommern)
BildunterschriftWilhelm Dröger
BildquelleLHA SN 8.33-6/2 Staatsanwaltschaft Schwerin Nr. 3735
Quelle: LHA SN 8.33-6/2 Staatsanwaltschaft Schwerin Nr. 3735
Nur wenige Tage vor seinem 60. Geburtstag überkletterte der Lübecker Arbeiter Wilhelm Dröger östlich seines Heimatortes den DDR-Grenzzaun und löste im dahinter angelegten Minenfeld eine Detonation aus.

Wilhelm Dröger kam am 14. Oktober 1909 in Mahnsfeld in Ostpreußen auf die Welt. Wann die Familie mit ihrem Sohn Wilhelm und seinem Bruder in die nördlichen Gefilde Deutschlands umsiedelte, ist nicht überliefert. Wilhelm Dröger erlernte den Beruf eines Gärtners und arbeitete eine Zeitlang in einer Gärtnerei in Lübeck-Schlutup, danach nahm er eine Beschäftigung bei den Industrie-Werken Karlsruhe (IWK) an, die eine Zweigniederlassung in Lübeck eröffneten und ihre Fertigungsstätten dort ab 1967 in Industriewerke Lübeck (IWL) umbenannten. Die Firma produzierte Containerwaggons für die Deutsche Bundesbahn, Spezialfahrzeuge für Krankentransporte und seit 1967 den Schwimmwagen „Amphicar“, der weltweites Aufsehen erregte. Wilhelm Dröger lebte zusammen mit seiner Ehefrau auf dem Gelände seiner Arbeitsstelle. Diese Unterkunft, in der etwa 200 Arbeiter untergebracht waren, befand sich nur 300 Meter von der Grenze entfernt. Nach einem Unfall im Jahre 1967 litt Wilhelm Dröger unter einer Gehbehinderung, die das Arbeiten unmöglich machte, was ihn zusätzlich stark belastete. Er gärtnerte leidenschaftlich gerne und führte auch am Unglückstag eine Rosenschere in der Jackentasche mit sich.

Am Vormittag des 3. Oktober 1969, nur wenige Tage vor seinem 60. Geburtstag, machte sich der Rentner auf den Weg zum Chirurgen. Doch dort kam er nie an. Als seine Ehefrau eine Vermisstenanzeige aufgab, äußerte sie ihre Befürchtung, dass ihr Mann vielleicht einen Schwächeanfall gehabt und sich im Wald verlaufen habe. Tatsächlich überstieg Wilhelm Dröger östlich seines Heimatortes gegen 11 Uhr an einem Grenztor den zwei Meter hohen Streckmetallzaun der DDR-Grenze. Nur einen Meter vom Tor entfernt trat er im angelegten Minenfeld auf eine Erdmine und löste eine Explosion aus. Die Detonation riss dem Lübecker den linken Fuß oberhalb des Sprunggelenkes ab. Westdeutsche Beamte des Zollgrenzdienstes hörten einen lauten Knall und entdeckten kurz darauf hinter dem Zaun im Minenfeld einen Verletzten, der laut um Hilfe schrie. Nachdem der Zoll den Bundesgrenzschutz informiert hatte, machten dessen Beamte am Grenzübergang Lübeck-Schlutup mit Lautsprechern DDR-Grenzwachen auf den Vorfall aufmerksam. Es erfolgte jedoch keine Reaktion auf der anderen Seite. Nun nahm die Nachrichtenübermittlung einen untypischen Verlauf: Zwei Fernfahrer des VEB Kraftverkehrs Schwerin meldeten auf der DDR-Seite des Grenzübergangs Herrnburg–Rostock „daß im Minenfeld des Grenzabschnitts Brandenbaum eine verletzte männliche Person liegt“. Die DDR-Fernfahrer kamen gerade aus der Bundesrepublik zurück und waren von Beamten des Bundesgrenzschutzes bei der Kontrolle über den Verletzten informiert worden. Es verging weitere kostbare Zeit bis der Verletzte nach mehr als fünf Stunden endlich geborgen wurde. Die DDR-Grenztruppen zündeten zunächst Nebelgranaten, um weitere Beobachtungen von westlicher Seite zu verhindern. Beamte des Bundesgrenzschutzes und des Zollgrenzdienstes sahen noch, dass sich der Verletzte seit etwa 15 Uhr nicht mehr bewegte und regungslos im Minenfeld lag. Vermutlich war er zu diesem Zeitpunkt schon seinen Verletzungen erlegen. Gegen 16 Uhr begann seine Bergung durch die DDR-Grenztruppen. Eine Stunde später stellte der hinzugekommene Militärarzt den Tod Wilhelm Drögers fest. Vielleicht hätte er eine Überlebenschance gehabt, wenn man ihm früher geholfen hätte.

Auf westdeutscher Seite ging man damals von einem missglückten Fluchtversuch eines NVA-Angehörigen aus. Die Lübecker Nachrichten berichteten vom tödlichen Ende eines misslungenen Fluchtversuches. Ein dreiviertel Jahr später erschien erneut ein Artikel in dieser Zeitung. Alles deute darauf hin, „daß es sich bei dem mutmaßlichen DDR-Flüchtling um einen Lübecker gehandelt hat, der aus ungeklärten Gründen die Grenze zur DDR überschritten hat“. Die Hinterbliebenen Wilhelm Drögers erhielten erst nach längerer Zeit seitens der DDR Bescheid über seinen tragischen Tod. Warum der Lübecker, der viele Jahre in direkter Grenznähe lebte, in die tödlichen Sperranlagen geriet, konnten auch die in den 1990er Jahren geführten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen nicht abschließend klären. In dem Verfahren wurde der damalige Kompaniechef im Grenzregiment Schönberg als Verantwortlicher für die Minenverlegung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, die zur zweijährigen Bewährung ausgesetzt wurde. In der Urteilsbegründung heißt es: Der Angeklagte hätte „den eklatanten Verstoß der Minenverlegung gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip erkennen können“ und wissen müssen, „dass unterschiedslos wirkende Minensperren in keiner Weise mit dem elementaren Tötungsverbot in Einklang zu bringen sind“.


Biografie von Wilhelm Dröger, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/172-wilhelm-droeger/, Letzter Zugriff: 29.03.2024