Unteroffizier Siegfried Selke war am 1. Juni 1966 gemeinsam mit Unteroffizier Joachim S. seit dem Vormittag zur Kontrolle von Signalgeräten im Grenzabschnitt der 6. Kompanie Schattin eingesetzt. Um 15 Uhr wurde festgestellt, daß sie sich die beiden Unteroffiziere nicht mehr am Einsatzort befanden. Die Spurensuche ergab, daß sie ein Tor des Grenzzauns geöffnet hatten und sich zum Ufer der Wakenitz begeben hatten. Nach einem Bericht des Bundesgrenzschutzes versuchten sie den Fluß in voller Uniform und mit Ausrüstung zu durchqueren. Dabei verließen Siegfried Selke die Kräfte. Obwohl Joachim S., der bereits das Ufer erreicht hatte, nochmals in den Fluß sprang, um Selke zu retten, wurde dieser von der Strömung abgetrieben und ertrank. Seine Leiche wurde um 16.35 Uhr von der Lübecker Feuerwehr geborgen. Über den Todesfall berichteten am 2. Juni 1966 unter anderem die Lübecker Nachrichten, der Tagesspiegel und die Bild-Zeitung.
Siegfried Selke entstammte einer Arbeiterfamilie. Er schloß die Schule mit der 7. Klasse ab und erlernte den Beruf eines Drehers. Vor seiner Einberufung arbeitete er zunächst bei dem VEB Sirokko Heizgerätewerk und dann in einer LPG als Schmied. Bereits als 13-Jähriger plante er mit anderen Jugendlichen aus Malchin eine Flucht in den Westen. Selke kam in seiner Kompanie als Waffenunteroffizier zum Einsatz. Von der Grenztruppe wurde sein dienstliches Verhalten als undiszipliniert beurteilt. Er habe sich am Politunterricht kaum beteiligt und wegen einer Frau die Ausgangszeit um vier Stunden überschritten. Der Ehemann dieser Bekannten war 1963 aus der DDR in den Westen geflüchtet. Eine persönliche Aussprache mit dem Kommandeur der Kompanie brachte keinen Erfolg. Es kam zu weiteren Auseinandersetzungen mit Selke über seine Dienstausführung. Nach Selkes Flucht fanden die MfS-Ermittler in seinen persönlichen Unterlagen die Adressen von zwei westdeutschen Frauen, die im Rahmen der West-Propaganda vom DDR-eigenen Deutschen Soldatensender erwähnt wurden.
Am 3. Juni 1966 nahmen Beamte des Zollgrenzdienstes am Grenzübergang Lübeck – Schlutup Kontakt mit einem Offizier der DDR-Grenztruppen auf, um eine Übergabe der sterblichen Überreste von Siegfried Selke vorzubereiten. Nachdem die Überführung der Leiche zu den Angehörigen durch die NVA-Grenztruppe abgelehnt wurde, erfolgte auf Wunsch der Eltern die Einäscherung Selkes im Lübecker Krematorium. Die Trauerfeier fand im Beisein des evangelischen Oberpfarrers des Grenzschutzkommandos Küste und einer Abordnung des Bundesgrenzschutzes statt. Selkes Urne konnte erst am 27. Juni 1966 durch ein Lübecker Beerdigungsinstitut den Eltern postalisch übersandt werden, weil die nötige Genehmigung seitens der DDR-Behörden bis dahin noch nicht vorlag.