Udo Neumann, von Beruf Maurer, diente seit 1958 als Freiwilliger in der Bereitschaftspolizei -und seit 1961 beim Zoll. Er entstammte einer Bauernfamilie. Sein Vater betrieb einen Hof in Großheiden (Niederschlesien), wo Udo Neumann zur Welt kam. Die Wehrmacht meldete seinen Vater im Januar 1945 als vermisst. Seine Mutter verließ mit ihren drei Kindern im Juni 1945 Niederschlesien. Sie erhielten erst im Mai 946 einen festen Wohnsitz in Anklam. Seit 1951 wohnte Udo Neumann mit seiner Mutter in Dassow. Sein Bruder diente bei der Volkspolizei, die Schwester arbeitete in Anklam. Ihm wurde von seinen Vorgesetzten eine gute Allgemeinbildung und eine vorbildliche Dienstdurchführung bescheinigt. Noch im März 1962 hieß es in dem Bericht eines Stasi-Informanten „Karl Schubert“ über Neumann: „Als FDJ‘ler tritt er konsequent für unsere Ziele ein. Er ist einer der besten Genossen unserer Dienststelle. In Auswertung der Bestenbewegung GKO wurde der Gen. Neumann als bester Genosse innerhalb des Zuges ermittelt.“ Auch ein weiterer Stasi-IM mit Decknamen „Manfred Wiesel“ berichtete zu dieser Zeit nur Positives und bescheinigte Neumann, dass er „diszipliniert und höflich sei. Er tritt Reisenden gegenüber höflich und korrekt auf.“ Auch die Vorgesetzten beurteilten ihn uneingeschränkt positiv. Familienangehörige empfanden Udo Neumann seit seinem Dienstantritt bei der Zolltruppe als schweigsam und verschlossen. Die Ermittlungen der Militärstaatsanwaltschaft über die Gründe der Selbsttötung brachten zunächst kein Motiv zutage. In den Überlieferungen der MfS-Bezirksverwaltung Rostock findet sich jedoch eine handschriftliche „Selbstkritik“ Neumanns vom 14. Juli 1962. Darin macht er sich Vorwürfe, nicht genügend auf den Soldaten Wolfgang R. geachtet zu haben, der sein engster Freund war. Die beiden hatten am 18. Juni 1962 zwei junge Frauen am Ostseestrand getroffen. Neumann schrieb in seiner „Selbstkritik“, er wisse wegen des Alkoholgenusses nicht mehr „ob der Gen. R. gesagt hat, daß er nach drüben abhauen will“, denn „sonst hätte ich den Zugführer verständigt. Ich wollte dem Genossen R. immer ein guter Freund sein und ihm helfen, ich muß nun aber feststellen, daß ich versagt habe und selbst noch genügend Schwächen habe. Diese sind vor allem darin zu sehen, daß ich durch den Alkoholgenuß nicht mehr in der Lage war den ganzen Ablauf zu begreifen. Daher werde ich den Alkoholgenuß vermeiden und mich außer Dienst genauso führen, wie es meine Vorgesetzten von mir im Dienst gewöhnt sind. Die Aussprache am 14. Juli 1962 hat mir sehr geholfen.“ Diese „Aussprache“ erfolgte auf Intervention der Kreisdienststelle des Ministeriums für Staatssicherheit. Durch einen „Hinweis aus der Zivilbevölkerung über einen Vorfall unter Beteiligung von Angehörigen der Zollverwaltung“ waren der Stasi politisch ungebührliche Äußerungen von einem Grenzer bekannt geworden. Die Hinweisgeberin war die Friseurin Ingrid W.
Sie hatte das von einer Kundin gehört, die am Strand mit zwei Männern von der Zollverwaltung ins Gespräch gekommen war. Einer von ihnen habe am Nachmittag des 18. Juni 1962 in ihrer Strandburg gelegen, der andere etwas weiter weg, als sie mit einer Freundin zum Strand gekommen sei. Man habe dann gemeinsam Bier getrunken, das die beiden Männer dabei hatten. Im Laufe der Unterhaltung habe einer der beiden gesagt, er hätte eigentlich die „Schnauze voll“ und bedauere, dass er wegen der Grenzsicherung nicht mehr abhauen könne. Wenn sich das einmal ändere, wolle er der Erste sein, der in Lübeck ist. Unterleutnant Müller von der MfS-Kreisdienststelle Grevesmühlen ermittelte die Namen der beiden Männer von der Zollverwaltung Selmsdorf. Er hielt auch fest, dass eine der Gesprächspartnerinnen am Strand „undurchsichtig und politisch indifferent“ sei. Ihr Mann werde von seiner Diensteinheit operativ bearbeitet. Am 15. Juli 1962 ordnete der Leiter der MfS-Bezirksverwaltung Rostock die fristlose Entlassung des Zollassistenten Wolfgang R. an. Zur egründung hieß es, R. habe nach dem Genuss von acht bis neun Flaschen Bier am Strand gegenüber Zivilpersonen „Angaben über die Dienstdurchführung und Absicherung an der Grenze“ gemacht. Er habe sich auch „negativ über die wirtschaftliche Lage in der DDR“ geäußert und „in diesem Zusammenhang die wirtschaftlichen Verhältnisse in Westdeutschland“ gelobt. „Weiterhin brachte Genosse R. zum Ausdruck, daß er bedauert, aufgrund der erhöhten Wachsamkeit durch die NVA, nicht mehr abhauen zu können. Auch äußerte der Genosse R., daß er als erster in Lübeck sein wird, sobald eine Lockerung der Grenzsicherung eintritt.“ Als die Stasi R. vernahm und wissen wollte, wie sich Udo Neumann verhalten hätte, gab R. nur verworrene Dinge von sich, er habe nichts Konkretes über Neumann berichten können. Das MfS meinte hernach R. sei „geistig verwirrt“.
Am 17. Oktober 1962 erhielt der Unteroffizier Udo Neumann folgenden „Parteiauftrag“: „Genosse Neumann, du wirst beauftragt, die FDJ-Arbeit am KPP Selmsdorf zu leiten. Du hast darüber in bestimmten Abständen der Parteileitung zu berichten.“ Am Nachmittag des 18. Oktober kam es zwischen Neumann und einem Oberfeldwebel der Einheit zu einem heftigen Disput über politische Einflüsse im Sport. Neumann hatte zum Länderspiel DDR – Jugoslawien geäußert, die jugoslawischen Spieler hätten wegen ihres unfairen Spiels eigentlich Platzverweise verdient. Im weiteren Verlauf der Diskussion verteidigte Neumann den DDR-Radrennfahrer Manfred Weißleder, der seinen sowjetischen Konkurrenten Juri Melichow mit einer Luftpumpe attackiert hatte, nachdem er sich von diesem unfair abgedrängt fühlte. Neumann äußerte, „der Russe“ hätte disqualifiziert werden müssen. Dies sei nur nicht geschehen, weil man keinen Ärger mit Chruschtschow wolle. Daraufhin verbat sich Oberfeldwebel Heinz S. solche Äußerungen mit dem Hinweis, „hier sind Soldaten im Raum und da können Sie als Vorgesetzter nicht solche negativen Äußerungen machen, ich glaube wir müssen uns über diese Frage noch ganz hart auseinandersetzen[,] aber wenn wir alleine sind“. S. habe dann, als Neumann weiter diskutieren wollte, gesagt, „jetzt ist Schluß, in dieser Form wird nicht mehr diskutiert“. Am Abend fand eine SED-Versammlung statt, in der Neumann wegen guter Dienstdurchführung gelobt wurde. Die von ihm erwartete Vollmitgliedschaft in der SED stand jedoch nicht auf der Tagesordnung. Nach der Parteiversammlung kam Udo Neumann betrunken nach Hause. Am Mittag des folgenden Tages erschoss er sich mit seiner Dienstwaffe.