Jürgen Mischik wohnte gemeinsam mit seiner Mutter in Zeetze (Kreis Hagenow). Der 28-Jährige arbeitete tagsüber als Straßenbauer beim VEB Straßenbau Hagenow. In den Abendstunden und am Wochenende leistete er seit vier Jahren Dienst als freiwilliger Helfer der Grenztruppen. Am 25. Mai 1982 hatte er seine Felddienstuniform angelegt, stieg aufs Fahrrad und fuhr in Richtung Elbe. In Pommau, das bereits im Sperrgebiet lag, besuchte er einen Kameraden vom Freiwilligen Grenzdienst. Zusammen tranken sie Bier, vielleicht auch Schnaps. Dass Jürgen Mischik trank, war schon mehrmals in den Beratungen der Grenzhelfer kritisiert worden. Am 28. Mai sollte er vor der versammelten Grenzhelfergruppe in Zeetze aus dem Dienst entlassen werden. Wusste Jürgen Mischik davon? Er stieg wieder auf sein Rad und fuhr bis zur Elbstraße. Bisher hatte er im Dienst immer nur die Zufahrtswege zum Schutzstreifen kontrolliert. Nun sah er links hinter dem Grenzzaun den Elbdeich, den er nie hatte betreten dürfen. Als er im Zaun ein Tor erkannte, hielt er an. Natürlich war es abgeschlossen, aber einer seiner Schlüssel passte. Hinter dem Elbdeich wuchsen hohes Gras und Schilf. Bald versanken seine Schuhe im Schlamm. Er zog sie aus, legte auch seine Felddienstuniform und das karierte Hemd ab. Kein Soldat der Grenztruppen hatte ihn bemerkt. Vorsichtig stieg er ins Wasser und begann zu schwimmen.
Der 30. Mai 1982 versprach ein sonniger Frühlingstag zu werden, zahlreiche Wochenendspaziergänger waren schon am Vormittag auf den Fußwegen unterwegs, die vom niedersächsischen Neu Darchau aus am Elb-Ufer entlangführten. Der Anblick einer im Wasser treibenden Leiche zerstörte jäh die sonntägliche Idylle am Elbufer. Bei dem Toten fanden sich keine Ausweisdokumente, er war etwa 1,60 Meter groß, hatte mittelblonde Haare und war mit einer kurzen blauen Turnhose und einem braunweißen Unterhemd bekleidet. Die Herkunft seiner Kleidung wies darauf hin, dass es sich bei ihm um einen Flüchtling aus der DDR gehandelt haben könnte. Deshalb wurden die Grenztruppen der DDR informiert. Als man daraufhin beobachtete, wie DDR-Grenzer fünf Kilometer stromaufwärts einige Kleidungsstücke bargen, erhärtete sich der Verdacht. Am 8. Juni ordnete die Staatsanwaltschaft Lüneburg eine Obduktion der Leiche an, die den Tod des noch unbekannten Mannes durch Ertrinken bestätigte. Um ihn zu identifizieren, wurden die entsprechenden Unterlagen an die Ständige Vertretung der DDR in der Bundesrepublik übersandt. Doch eine Antwort ließ auf sich warten. Schließlich gab die Staatsanwaltschaft die Leiche zur Beerdigung frei. Sie wurde anonym in der Gemeinde Hitzacker beigesetzt. Erst vier Monate später, Anfang Oktober 1982, hielt die Kriminalpolizei Lüchow in einer Notiz fest, dass die Identität der Wasserleiche geklärt werden konnte. Es war Jürgen Mischik.