Rudolf Jochmann wurde am 25. März 1945 als jüngstes von drei Kindern in Hermannseifen im Sudetenland (heute: Rudník v Krkonoších, Tschechien) geboren. Die Familie wurde 1945 aus ihrem Heimatort vertrieben und fand in Boizenburg, östlich der Elbe eine neue Heimat. Nach der deutschen Teilung lag die Stadt im Sperrgebiet.
Rudolf Jochmann besuchte von 1951 bis 1961 die dortige Schule, die er mit dem Abschluss der Polytechnischen Oberschule (POS) beendete. Anschließend absolvierte er eine Lehre als Elektriker bei der Firma Ehlers in Boizenburg. Sein Vater arbeitete als Verkaufsstellenleiter, seine Mutter war Hausfrau. Im Jahre 1954 zog Rudolf Jochmanns Schwester Christine in die Bundesrepublik. Seinen älteren Bruder Reinhard verwiesen die Behörden nach dem 13. August 1961 für ein Jahr aus Boizenburg und dem Sperrgebiet, da er sich im Kreis seiner Arbeitskollegen kritisch zum FDJ-Aufgebot „Das Vaterland ruft! Schützt die sozialistische Republik!“ geäußert hatte. In diesem FDJ-Aufruf vom 16. August 1961 heißt es: „Jeder FDJler ist aufgerufen, sich in dieser Stunde freiwillig zum Ehrendienst in den bewaffneten Kräften der Deutschen Demokratischen Republik zu verpflichten!“
Seit April 1964 arbeitete Rudolf Jochmann in dem ortsansässigen Traditionsunternehmen VEB Fliesenwerke Boizenburg als Elektriker. In seiner Freizeit trainierte und spielte der talentierte Fußballspieler in der Mannschaft des örtlichen Vereins BSG Aufbau Boizenburg. Eine weitere Leidenschaft Rudolf Jochmanns war der Rock’n’Roll. Als Angehöriger eines fünfköpfigen „Elvis-Presley-Clubs“ geriet er ins Blickfeld des Staatssicherheitsdienstes, der den Jugendlichen wegen Verbreitung „westlicher Lebensweise und Unkultur“ die Weiterführung ihres Fanclubs verbot. Da bereits zwei Jugendliche aus dem Freundeskreis in die Bundesrepublik geflohen waren, befürchteten die örtlichen Stasi-Mitarbeiter weitere „Republikfluchten“ aus Jochmanns Clique. Ein inoffizieller Mitarbeiter, der sich im Auftrag der Stasi an die Gruppe heranmachte, kam allerdings zu der Auffassung, die Jugendlichen seien ungefährlich, sodass auf weitere Sanktionen verzichtet wurde.
Im Frühjahr 1965 beschäftigte Rudolf Jochmann freilich ein anderes Problem. Seine Einberufung zum Grundwehrdienst stand bevor. Im Freundeskreis äußerte er offen seine Ablehnung, er wollte nicht zur Nationalen Volksarmee. Auch seine Familie wusste das. Deshalb übergab ihm seine Mutter den von der Post zugestellten Einberufungsbefehl zunächst nicht. Vermutlich im Zusammenhang mit der anstehenden Einberufung holte ein Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes Rudolf Jochmann Ende März 1965 überraschend von seinem Arbeitsplatz ab, um „einen Sachverhalt zu klären“. Worum es in dem Gespräch genau ging, vertraute Rudolf Jochmann seinen Angehörigen nicht an. Er sagte ihnen nur, dass man ihn bedroht und zum Schweigen verpflichtet hatte. Er selbst vermutete nun einen Spitzel in seinem Freundeskreis, was auch zutraf.
Am Ostersamstag, dem 17. April 1965, besuchte der 20-Jährige eine Tanzveranstaltung im örtlichen Clubhaus. Als er von zu Hause wegging, bat ihn seine Mutter, nicht zu spät nach Hause zu kommen, da sie alleine war. Ihr Mann war gerade zur Kur, der ältere Sohn zur NVA eingezogen. Die Mutter muss die Nacht in großer Sorge verbracht haben, denn ihr Sohn Rudolf kehrte nicht heim und blieb auch in den folgenden Tagen spurlos verschwunden. Drei Wochen später, am 9. Mai 1965, gegen Mittag, entdeckten zwei Arbeiter des Wasserstraßenamtes bei Vermessungsarbeiten jenseits des Grenzzauns eine Leiche in der Elbe. Es handelte sich um Rudolf Jochmann, den man etwa 300 Meter nordwestlich von Gothmann aus dem Wasser zog. Die Eltern wussten nichts von etwaigen Fluchtplänen ihres Sohnes. Die Ablehnung des Wehrdienstes und die Bedrängung durch die Stasi könnten zu dem spontanen Entschluss geführt haben, über die nahe gelegene Grenze in den Westen zu flüchten. Von dem bereits zugestellten Einberufungsbefehl wusste Rudolf Jochmann jedenfalls bis zum Tag seines Verschwindens nichts, denn seine Mutter hatte ihm das Schreiben weder ausgehändigt noch mit ihm darüber gesprochen.
Der gerade erst von seiner Kur zurückgekehrte Vater musste in der Leichenhalle seinen toten Sohn identifizieren. Als er den dort anwesenden Amtspersonen, dem Leiter der Mordkommission Hagenow und dem Chefarzt des Boizenburger Krankenhauses die Frage nach den Ursachen einer deutlich sichtbaren Kopfwunde seines Sohnes stellte, erklärte ihm der Arzt, diese sei erst nach Eintreten des Todes entstanden, als die Leiche im Wasser trieb. Der Vater durfte seinen Sohn nicht berühren und musste nach zehn Minuten den Raum verlassen.
Wenig später offenbarte ein damals als Hausmeister im Krankenhaus beschäftigter Freund der Familie den Angehörigen, er habe die Leiche Rudolf Jochmanns in der Sektionshalle mit einer Schusswunde in der Nähe der Leber gesehen. Dieser Hinweis bestärkte Mutmaßungen der Angehörigen über einen gewaltsamen Tod an der Grenze. Doch der befreundete Hausmeister stand den Ermittlern nach dem Ende der DDR nicht mehr als Zeuge zur Verfügung, er ist 1982 gestorben. Die Staatsanwaltschaft lehnte 1994 die Anregung des kriminalpolizeilichen Ermittlers, dem Verdacht einer tödlichen Schussverletzung durch die Exhumierung der Leiche nachzugehen, ab und stellte das Ermittlungsverfahren ein.