Als Klaus Kühne 1938 in Glindenberg zur Welt kam, waren seine Eltern jungverheiratet. Sein Vater arbeitete als Schlosser, die Mutter in der Landwirtschaft. Zwei Jahre später bekamen sie einen weiteren Sohn. Kurz nachdem Klaus Kühne 1952 die Volksschule beendet hatte, zog die Familie ins nahe gelegene Magdeburg. Sie wohnte in der Karl-Marx-Straße 227, in einem der wenigen erhaltenen gebliebenen Häuser der im Krieg fast völlig zerstörten Altstadtmagistrale. Die Mutter engagierte sich für den Wiederaufbau und arbeitete im Rat des Bezirkes in der Kaderabteilung. Klaus Kühne begann mit 14 Jahren eine Ausbildung als Elektromonteur im VEB Starkstrom-Anlagenbau Magdeburg. Nach Ausbildungsende arbeitete er in seinem Lehrbetrieb weiter, daneben weist seine Meldekartei auch Aufenthalte in Dessau und Coswig aus. Am 29. August 1960 nahm er ein Studium der Elektrotechnik an der Ingenieurschule für Schwermaschinenbau in Magdeburg auf. Der vielseitig interessierte junge Mann spielte Gitarre, fotografierte und lernte autodidaktisch Englisch. Bei der Gesellschaft für Sport und Technik (GST) trainierte er das Sporttauchen. Dort freundete er sich mit Hans-Peter Mielau an, der Meeresforscher werden wollte und sich auf ein Studium der Biologie vorbereitete. Die beiden Freunde nannten sich bald „Gerry“ und „Robby“.
Oft fuhr Klaus Kühne nach West-Berlin, um etwas einzukaufen und wahrscheinlich auch, weil er die Atmosphäre einer offenen Stadt mochte. Er sehnte sich danach, in Gewässern zu tauchen, die fern vom Barleber See oder dem Stechlinsee lagen. Dass ihm diese Möglichkeiten nach dem 13. August 1961 verwehrt bleiben sollten, enttäuschte ihn sehr. Gemeinsam mit Hans-Peter Mielau, der an seiner Hochschule in Konflikte geraten war, verabredete er, die DDR heimlich zu verlassen. Das Sporttauchen schien ihnen dafür einen Weg zu öffnen. Ihr Plan war es, nördlich von Wittenberge die Elbe stromabwärts zu tauchen, um das niedersächsische Ufer zu erreichen. Gemeinsam trainierten sie in der Elbe bei Glindenberg, wo die Großeltern Klaus Kühnes lebten. Der Fluss war so verschmutzt, dass man unter Wasser kaum etwas sehen konnte. Nach einigen Zweifeln drängte Kühne am 13. März 1962 in einem Eilbrief an „Robby“: „Verdammt, schon Mitte März und noch immer nichts unternommen, hätten die Sache längst erledigen können.“
Für Klaus Kühnes Mutter kam es völlig unerwartet, dass ihr Sohn am Abend des 19. März 1962 ausblieb. Von seinen Fluchtplänen wusste sie nichts. Es war ein Montag, ihr Sohn hätte in der Ingenieurschule sein müssen. Doch als sie sich dort erkundigte, teilte man ihr mit, dass er nicht zum Unterricht erschienen war. Ihr nächster Weg führte sie zur Polizei, um eine Vermisstenanzeige aufzugeben. Die Tagesmeldung der Bezirksbehörde der Volkspolizei vom 22. März 1962 vermutet bereits eine Flucht in den Westen: „Da K. in der Schule eine Auseinandersetzung hatte und stark kritisiert wurde, besteht der Verdacht, daß er die DDR mit seiner Taucherausrüstung auf dem Wasserwege illegal verlassen hat. Welche Wasserstraße benutzt wurde[,] ist noch nicht bekannt.“ Zu dieser Zeit suchten bereits DDR-Grenzboote mit an Stangen befestigten Trossen den Elbgrund nach einer Leiche ab. Der Tagesrapport der Grenztruppen vom 20. März 1962 enthält die Meldung, gegen 3.30 Uhr habe die Besatzung eines am linken Elbufer direkt an der Grenze zu Niedersachsen eingesetzten Sicherungsbootes beobachtet, wie eine männliche Person vom Ufer aus ins Wasser sprang. Nach der Abgabe von Warn- und Zielschüssen sei diese nicht wieder aufgetaucht. Der „Abschlußbericht“ vom 9. April 1962 beschreibt ausführlicher, dass der Mann vom Ufer sofort ins Wasser sprang, als er mit einem Scheinwerfer vom Boot aus angeleuchtet wurde. „Nach der Flucht der Person in das Wasser legte unser Boot ebenfalls von Land ab. Ca. 20 m vom Ufer entfernt tauchte die Person nach ca. 1. Minute auf. Hierauf wurden unverzüglich 6 Schuß aus der MPi abgefeuert. Entfernung von der Person 30 Meter. Beim zweiten Mal auftauchen, wurde wiederum die Schußwaffe auf eine Entfernung von 50 m angewandt. Beim dritten Mal des Auftauchens wurde durch den Bootsführer aus der Pistole ein Schuß abgefeuert. Hierbei wurde die Person vermutlich getötet.“
Der Bootsführer Hans-Jürgen T. wurde 1995 von den Ermittlern der ZERV vernommen. Hierbei erklärte er, dass der Schusswaffengebrauch zu seiner Dienstpflicht gehört und er keine Möglichkeit gesehen habe, den Taucher im Wasser auf andere Weise aufzuhalten. Da er den Abstand zwischen dem Flüchtling und den Einschlagsstellen der Kugeln auf der Wasseroberfläche gesehen habe, schloss er jedoch aus, dass sein Kamerad oder er selbst ihn getroffen hätte. Am nächsten Morgen fand eine Grenzstreife gut 600 Meter vom Ort des Zwischenfalls entfernt Teile einer Taucherausrüstung am Ufer. Es handelte sich um Schwimmflossen, Taucherbrille, einen Tauchergürtel mit Gewichten und eine Tube Gummilösung. Die weitere Suche ergab, dass der Flüchtling zwischen Cumlosen und Müggendorf ins Wasser gestiegen sein musste. Dort, am östlichen Ufer der Elbe, fand man einen Rucksack mit Bekleidungsstücken und weiteren Ausrüstungsgegenständen.
Dass an diesem Abend zwei Taucher versucht hatten, nach Niedersachsen zu gelangen, wurde den Grenztruppen erst am 22. März bekannt. Die Besatzung des Sicherungsbootes hatte nur eine Person bemerkt. Wahrscheinlich zog, nachdem Hans-Peter Mielau nicht zum Seminar in der Universität erschienen war, der Staatssicherheitsdienst eine Verbindung zwischen den beiden Vermisstenfällen aus Magdeburg. MfS-Mitarbeiter unterrichteten die Eltern von Klaus Kühne und Hans-Peter Mielau, dass nur einer der beiden jungen Männer das westliche Ufer erreicht haben könne, da der andere durch Schusswaffengebrauch schwer verletzt worden sei. Die Zeit des bangen Wartens endete mit dem Fund der Leiche von Hans-Peter Mielau am 26. Mai 1962 nördlich von Schnackenburg. Die Obduktion des mit einem vollständigen Taucheranzug bekleideten Toten ergab keine Spuren von Schussverletzungen. Mielau war höchstwahrscheinlich ertrunken. Da der Flüchtling, auf den geschossen worden war, bereits Teile seiner Ausrüstung abgelegt hatte, muss es sich bei ihm um Klaus Kühne gehandelt haben. Wie ihre Flucht in der Nacht vom 19. auf den 20. März genau verlief und warum sich die beiden Freunde voneinander trennten, lässt sich aus den vorliegenden Überlieferungen nicht mehr rekonstruieren. Möglicherweise zwangen technische Schwierigkeiten Klaus Kühne ans linksseitige Ufer, vielleicht glaubte er, bereits das westdeutsche Ufer erreicht zu haben und legte deshalb Taucherflossen und Brille zu früh ab. Klaus Kühnes Schicksal bleibt aber vor allem deswegen unklar, weil man seine Leiche nie gefunden hat. Auch als die Ermittler in den 1990er Jahren Obduktionsprotokolle von geborgenen Wasserleichen überprüften, konnten sie keinen Zusammenhang mit dem Verschwinden von Klaus Kühne feststellen.
Da keine MfS-Unterlagen zu Kühnes Fall überliefert sind, fehlen die Aufzeichnungen des damaligen DDR-Ermittlungsorgans. Irritierend ist eine Tagesmeldung der Volkspolizei vom 13. April 1962. Darin heißt es, dass bei der Leiche des durch Schüsse tödlich verletzten Kühne ein Brief Hans-Peter Mielaus gefunden worden sei, aus dem hervorgehe, dass beide gemeinsam die Elbe durchschwimmen wollten. Dies ist die einzige Meldung, in der von einer Leiche Klaus Kühnes die Rede ist. Da darin aber weder der Ort noch das Datum ihres Auffindens Erwähnung finden, ist ihr Aussagewert gering – vielleicht basiert sie auf einem Missverständnis. Im April legte ein Beauftragter der NVA den Eltern von Klaus Kühne und Hans-Peter Mielau die aufgefundenen Teile der Taucherausrüstung vor. Wie sich herausstellte, gehörte die Taucherbrille Hans-Peter Mielau. Doch weder die Flossen noch den Tauchergürtel oder die Gummilösung konnten die Eltern einem der beiden Freunde zuordnen.
Der Rat des Bezirkes kündigte das Arbeitsverhältnis mit Frau Kühne zum 31. März 1962. Sie fand im VEB Baukombinat der Stadt Magdeburg eine neue Arbeitsstelle als Sachbearbeiterin für Erwachsenenqualifizierung. Hatte sich die Familie zunächst mit den Auskünften der DDR-Behörden abzufinden, so unternahm sie nach dem Ende der DDR mehrere Versuche, Gewissheit über das Schicksal Klaus Kühnes zu erlangen. Als alle Nachforschungen ergebnislos blieben, legte das Amtsgericht Magdeburg im Jahr 1999 das Todesdatum von Klaus Kühne auf den 20. März 1962 fest.
Siehe ergänzend zu dem Fall die Biografie von Hans-Peter Mielau.