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Biografisches Handbuch

Karl-Heinz Engelmann

geboren am 18. Mai 1947 in Zwickau | erschossen am 10. April 1966 | am Berg Kozuyatak [Козуятак] in den Rhodopen
BildunterschriftKarl-Heinz Engelmann
BildquelleStefan Appelius
Quelle: Stefan Appelius
Der 18jährige Karl-Heinz Engelmann setzte sich am Vormittag des 10. April 1966 gemeinsam mit seinem Freund und Arbeitskollegen Siegfried Gammisch während eines Urlaubs im bulgarischen Pamporovo von der DDR-Reisgruppe ab. Am Abend mussten der DDR-Reiseleiter und die bulgarische Dolmetscherin der Gruppe die Leichen der beiden jungen Männer im Grenzgebiet zu Griechenland identifizieren.

Karl-Heinz Engelmann kam am 18. Mai 1947 im sächsischen Zwickau als Sohn von Hilde Engelmann, geb. Seifert (*1922 †1994), und ihrem Ehemann Herbert Engelmann (*1912 †1996) zur Welt. Er wuchs in Schwarzenberg mit seiner vier Jahre jüngeren Schwester Renate auf. Herbert Engelmann führte dort als selbstständiger Schuhmachermeister eine Schusterei. Das Schuhhaus Engelmann war ein alteingesessener Handwerksbetrieb in Schwarzenberg, den Paul Engelmann 1931 im ehemaligen Rathaus der Stadt eröffnet hatte. Sein Sohn Herbert führte das Geschäft auch in der DDR-Zeit weiter. Auf Druck staatlicher Instanzen konnte er das allerdings nur als Kommissionär der staatlichen Handelsorganisation (HO) Wismut. Die nebenbei von Hilde Engelmann betriebene Lottoannahmestelle brachte der Familie einen geringen Zusatzverdienst ein.

Karl-Heinz Engelmann besuchte in Schwarzenberg bis zur 10. Klasse die damalige „Ernst-Schneller-Oberschule“, danach absolvierte er eine Facharbeiterausbildung zum Elektromechaniker bei dem VEB Meßgerätewerk im benachbarten Beierfeld, die er mit der Note gut abschloss. Er gehörte im Betrieb der FDJ und dem FDGB an. Vom Wehrdienst war er aus gesundheitlichen Gründen zurückgestellt.

Mit seinem Freund und Arbeitskollegen Siegfried Gammisch buchte Karl-Heinz Engelmann über das DDR-Reisebüro zu Ostern 1966 eine Reise in das bulgarische Skigebiet Pamporovo in den Rhodopen. Sie wurden von „Balkantourist“ mit ihrer Reisegruppe im Hotel „Orfei“ untergebracht.

Am Ostersonntag, dem 10. April 1966, verließen die beiden jungen Männer mittags das Hotel und machten sich auf den Weg in das bulgarisch-griechische Grenzgebiet. Auf dem Weg dorthin fielen sie einem Spaziergänger, dem in Pamporovo bei „Balkantourist“ beschäftigten Klempner Georgi Manolov Christov auf, der nach seiner Rückkehr die bulgarische Grenzwache in Smoljan informierte. Die Einheit 10240 – Smoljan kommandierte daraufhin eine vierköpfige Alarmstreife mit Diensthund zur Suche nach den „Grenzverletzern“ in die von Christov angegebene Richtung. Der Hund nahm rasch die Witterung auf und führte die Streife bei regnerischem und nebligem Wetter in die Nähe des Berges Kozuyatak [Козуятак], wo sie gegen 19:30 Uhr drei Kilometer vor der Grenze zwei Personen entdeckten. Die an der Suche beteiligten Grenzer, der Hundeführer Unteroffizier Georgi Iwanov Stoitzew und der Gefreite Wassil Simonov Wassilew, sagten am Vormittag des 11. April 1966 in Smoljan aus, sie hätten „zwei weisse Gestalten“ entdeckt, die sich in Richtung Grenze bewegten. Trotz „Halt- und Hände-Hoch-Rufen“ sowie zwei Warnschüssen seien die beiden mit weißer „Deckungskleidung“ getarnten nur schwer erkennbaren Gestalten getrennt in Richtung eines dichten Waldes gelaufen, worauf Unteroffizier Stoitzew die Anwendung der Schusswaffen befahl. „Im Ergebnis dessen waren die Grenzverletzer um 21:35 liquidiert“, heißt es am Ende des ins Deutsche übersetzten bulgarischen „Umstandsprotokolls über die Liquidierung von Grenzverletzung“.

Ebenfalls am 11. April 1966 gegen 11:15 traf am Ort des Geschehens eine Untersuchungskommission ein, die Kapitän Altanas Christow Petrov, Untersuchungsrichter bei der Bezirksverwaltung des Innenministeriums in Smoljan, leitete. Etwa 600 Meter südöstlich des Kozuyatak lag laut Petrovs Protokoll auf einer kleinen Wiese im Tannenwald zwei männliche Leichen auf dem Rücken. Der eine Tote war „mit einem grauen Anorak und dunkelblauer Keilhose über die er weisse Hosen angezogen hat“. Aus den mitgeführten Papieren ging hervor, dass es sich um Siegfried Gammisch handelte. Bei der Leiche des zweiten Mannes, der über seinem schwarzen Anorak ein weißes Hemd und über seiner dunkelblauen Hose eine weiße Hose trug, fanden sich Ausweispapiere auf den Namen Karl-Heinz Engelmann. Wie der Untersuchungsrichter feststellte war Engelmanns Anorak unter der linken Schulter von Schüssen durchsiebt. Fünf weitere Einschüsse wies der linke Arm Engelmanns auf.

Die Ergebnisse der von dem Gerichtsmediziner Dr. Atans Wassilew Tschalokov am 11. April 1966 gegen 13:00 Uhr durchgeführten Obduktion der Leiche Engelmanns sind überliefert. Sie bestätigen die Feststellung des Untersuchungsrichters. Der Gerichtsmediziner stellte fünf Einschüsse im Bereich der Brust und des Bauches und weitere Treffer in Armen und Beinen fest. Alle Schüsse trafen Karl-Heinz Engelmann von vorn. Als Zeugen waren bei der Obduktion neben Untersuchungsrichter Armeekapitän Petrov auch ein Kraftfahrer der bulgarischen Staatssicherheit namens Todor Kirow zugegen sowie der anzeigende Klempner Georgi Manolov Christov.

Am 14. April 1966 erreichte Erich Honecker, der zu dieser Zeit in der Parteiführung für Sicherheitsfragen zuständig war, eine Einzelinformation des DDR-Staatssicherheitsdienstes „über einen verhinderten Grenzdurchbruch von zwei Bürgern der DDR von der VR Bulgarien nach Griechenland mit tödlichem Ausgang für die Grenzverletzer“. Ihm wurde auch mitgeteilt, dass es sich bei den beiden getöteten DDR-Bürgern um junge Facharbeiter aus dem VEB Meßgerätewerk Beierfeld handelte. Honecker musste sich zu einem späteren Zeitpunkt erneut mit den beiden Todesfällen befassen, denn die Familien Engelmann und Gammisch bemühten sich über Jahre um die Klärung der Todesumstände ihrer Söhne und um Auskunft über den Ort der Grablegung. So sah sich das „Büro Honecker“ im Januar 1975 aufgrund von Eingaben mit der Frage konfrontiert, wo sich „der konkrete Bestattungsort“ von Karl-Heinz Engelmann und Siegfried Gammisch in Bulgarien befinde. Das führte zu einer am 1. Oktober 1975 übergebenen Note des DDR-Botschafters Werner Wenning in Sofia an das bulgarische Außenministerium mit einer erneuten Anfrage nach den Gräbern von Engelmann und Gammisch. Botschafter Wenning erhielt die Zusicherung der Konsularabteilung des bulgarischen MfAA, dieser Frage nachzugehen, „um den Bestattungsort genau festzustellen“.

Freilich war genau das, trotz vielfacher Anfragen der Angehörigen in den neun Jahren seit dem Tod ihrer Söhne, nicht möglich gewesen. Die Familien hatten sich an die verschiedensten staatlichen Instanzen gewandt, und erfolglos um Aufklärung in dieser Sache gebeten. Dabei lagen dem DDR-Außenministerium und der DDR-Generalstaatsanwaltschaft seit Mai 1966 sowohl die bulgarischen Ermittlungsunterlagen vor als auch Übersetzungen der Obduktionsprotokolle und eine Skizze, in der die Stelle markiert ist, an der Karl-Heinz Engelmann und Siegfried Gammisch erschossen und später vergraben worden sind. Doch waren diese bulgarischen Unterlagen offenbar nicht einmal dem Büro Honecker zugänglich gemacht worden. Staatsanwältin Anneliese Schüßler hatte das Material ihrem Abteilungsleiter Gernot Windisch am 16. Mai 1966 mit der Bemerkung geschickt: „Anbei liegen die Sterbeurkunden in bulgarisch mit Übersetzung ins Deutsche. Sie wurden mir ebenfalls von Gen. Krause übergeben. Er überlässt es uns, ob wir sie so übergeben wollen oder ob (durch MfS) vom Standesamt I in Berlin eine neue Sterbeurkunde ausgestellt wird, auf der ‚auf der Flucht erschossen‘ fehlt.“ Windisch hielt in einem Vermerk fest, „Die Unterlagen befinden aus Sofia befinden sich vorläufig in meinem Panzerschrank“. Am 24. August 1966 schrieb Windisch dann in einer Gesprächsnotiz über ein Treffen mit den Eltern Engelmann und Gammisch: „Die aus der Volksrepublik Bulgarien vorliegenden Sterbeurkunden wurden nicht ausgehändigt.“

Großmutter Olga Engelmann wandte sich im Januar 1967 mit einer Beschwerde an den Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht und drohte in einer daraufhin anberaumten „Aussprache“ mit Ulbrichts Sekretär Otto Gotsche, das internationale Rote Kreuz einzuschalten. Versuche der Familie Engelmann, selbst nach Bulgarien zu reisen, um dort nach Informationen über das Schicksal und die Gräber der beiden Todesopfer zu suchen, wurden von den DDR-Behören blockiert. Das DDR-Innenministerium verhängte am 24. August 1967 gegen Herbert Engelmann eine „Ausreisesperre bis 31. Dezember 1972 für Bulgarien“. In den folgenden zwei Jahren sprach die Familie Engelmann beim DDR-Innenministerium, bei der Generalstaatsanwaltschaft, beim DDR-Außenministerium und sechsmal bei der bulgarischen Botschaft vor. Beide Familien wurden mehrfach von Mitarbeitern des MfS aufgesucht und zur Unterredung in die Abteilung Inneres des Kreises Schwarzenberg einbestellt, ohne die gewünschten Auskünfte zu erhalten. Da in Schwarzenberg das Gerücht umging, die beiden in Bulgarien ums Leben gebrachten jungen Männer seien heimlich auf dem örtlichen Johannisfriedhof beerdigt worden, erstritten die Familien Engelmann und Gammisch die Öffnung eines verwaisten Doppelgrabes, in dem sich angeblich die sterblichen Überreste ihrer Söhne befinden sollten. Bei der Graböffnung am 14. Dezember 1970 fand man dort jedoch nur die Knochen eines Mannes und einer Frau, die vor langer Zeit beigesetzt worden waren.

Am 15. Januar 1971 schrieb Hilde Engelmann an das Internationale Rote Kreuz in Genf und bat um Hilfe bei der „Suche nach meinem Kind und seinem Freund“. Ihre Familie sei erfolglos „im Laufe der 4½jährigen Suche zehnmal in Berlin bei verschiedenen Ministerien vorstellig“ geworden. „Wir haben nochmals die Behörden in der DDR angeschrieben, sollte dies wieder erfolglos sein, sind wir gezwungen die Ausreise zu beantragen. Es ist seelisch nicht mehr zu ertragen, deshalb bitte ich Sie von ganzem Herzen, mir und meiner Familie zu helfen.“ Eine Kopie des Schreibens von Hilde Engelmann findet sich samt Anlagen in den MfS-Unterlagen der Bezirksverwaltung Chemnitz. Das internationale Rote Kreuz antwortete am 22. März 1972 und übermittelte Frau Engelmann die Antwort des Bulgarischen Roten Kreuzes. Dieses teilte mit, „heute, fast sechs Jahre nach dem Vorfall, bestehen die Gräber nicht mehr, und es ist keineswegs möglich, ihre einstige Lage zu lokalisieren.“ Allerdings befanden sich In den Unterlagen der DDR-Generalstaatsanwaltschaft eine bulgarische Skizze sowie deren deutsche Übersetzung „des Ortes der Liquidierung zweier Grenzverletzer am 10. April 1966“, in der die Stelle markiert ist, an der Karl-Heinz Engelmann und Siegfried Gammisch erschossen und später vergraben worden sind. Doch die DDR-Generalstaatsanwaltschaft hat offenbar diese Skizzen nicht einmal dem Büro Honecker zugänglich gemacht.

So kam es zu dem erneuten Vorstoß des DDR-Botschafters Wenning am 1. Oktober 1975. Der stellvertretende Leiter der Konsularabteilung im bulgarischen Außenministerium Kowatschew beantwortete die Anfrage am 9. Dezember 1975 bei einem Gespräch mit dem DDR-Botschafter und erklärte, dass die beiden DDR-Bürger „weder exhumiert noch überführt werden können, da die Grabstellen nicht mehr bestehen. […] Eine schriftliche Mitteilung kann vom MfAA nicht gegeben werden, da seinerzeit die Beisetzung der o.g. Bürger mit der Botschaft der DDR vereinbart und in den folgenden Jahren keine Anfragen an die bulgarische Seite in der Sache erfolgte. Nach bulgarischem Recht werden Grabstellen nach acht Jahren neu belegt.” Eine Bitte um schriftliche Mitteilung habe Kowatschew konsequent abgelehnt.

Parallel zu den Auskunftsbemühungen der Familien Engelmann und Gammisch in der DDR befassten sich auch westdeutsche Dienststellen mit den beiden Todesfällen. Bereits am 24. Mai 1966 informierte Charlotte Herwegh, eine Cousine Karl-Heinz Engelmanns, die 1959 aus der DDR geflüchtet war, das Ministerium für gesamtdeutsche Fragen über den tödlichen Zwischenfall an der bulgarisch-griechischen Grenze. Sie habe durch Verwandte aus Schwarzenberg davon erfahren, dass ihr Vetter Karl-Heinz Engelmann und sein Freund Siegfried Gammisch am 2. April 1966 von Berlin-Schönefeld nach Sofia flogen und versucht hatten, aus Bulgarien nach Griechenland zu flüchten, um in die BRD zu gelangen. Den Eltern sei die Nachricht vom Tod ihrer Söhne übermittelt worden, die Toten wurden jedoch nicht in die DDR überführt, eine Reiseerlaubnis nach Bulgarien, um die Gräber zu besuchen, sei den Eltern verwehrt worden. „Die Besucherin teilt noch mit, daß Ihre Verwandten und Bekannten (die Eltern der beiden jungen Männer) jetzt in der SBZ außerordentlichen Schikanen und Anfeindungen ausgesetzt sind.“

Im Jahr darauf meldete sich am 20. März 1967 Ingeborg Kopzynski, eine aus der DDR geflüchtete Teilnehmerin der Reisegruppe nach Pamporovo bei dem Gesamtdeutschen Ministerium und berichtete, sie sei „vom 2. bis 16.4.1966 […] über das Reisebüro der ‚DDR’ nach Pamporovo in Bulgarien gereist. Der Ort liegt im Gebirge an der Südgrenze Bulgariens. Die Reisegruppe bestand aus 30 bis 40 Personen, darunter Karl-Heinz Engelmann, ca 19/20 Jahre, aus (943) Schwarzenberg/Erzgeb., Ernst-Schneller-Str. 16, und Siegfried Gammisch, ca 19/20 Jahre, ebenfalls aus Schwarzenberg, nähere Anschrift unbekannt. Am Gründonnerstag kamen diese beiden jungen Männer zu spät zum Abendessen und wurden deswegen vom Reiseleiter Goder aus Ost-Berlin verwarnt. Es wurde eindringlich auf die Nähe der Bulgarischen Staatsgrenze hingewiesen mit dem Zusatz, daß man sich gerade deswegen besonders diszipliniert verhalten müsse. Am Ostersonntag waren die beiden jungen Männer nach dem Mittagessen verschwunden, und sie blieben es auch. In der Nacht vom Ostermontag auf Dienstag heulten die Alarmsirenen, keiner aus der deutschen Reisegruppe erfuhr näheres. Es wurde erklärt, daß auf der Rückreise in Sofia vom Reiseleiter Informationen gegeben würden. Aber auch dies geschah nicht. Man erfuhr nur, daß der Reiseleiter nicht sprechen durfte.“ Frau Kopzynski hörte dann von einer Mitreisenden, „daß Engelmann und Gammisch an der Bulgarischen Staatsgrenze erschossen worden seien“. Eine Protokollnotiz des Gesamtdeutschen Ministeriums informierte die Erfassungsstelle der Landesjustizverwaltungen in Salzgitter über die Aussagen der Zeugin.

Auch Karl-Heinz Engelmanns Cousine Charlotte Herwegh bemühte sich beim Bonner Auswärtigen Amt und dem Roten Kreuz weiter um eine Klärung der Todesfälle. Ludwig Rehlinger, damals Ministerialbeamter im Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen, schrieb am 31. März 1967 an die zentrale Rechtsschutzstelle des Auswärtigen Amtes unter “Betr. Erschießung von zwei Einwohnern der SBZ an der bulgarisch-griechischen Grenze”. Rehlinger wies darauf hin, dass die Eltern der beiden jungen Männer bis Januar 1967 keine Sterbeurkunden erhalten hätten. Sie hätten dann auf Empfehlung der Kriegsgräberfürsorge, an die sie sich gewandt hatten, die Kirchenkanzlei in Ost-Berlin eingeschaltet, die auch nicht weiterhelfen konnte. Rehlinger weiter: “Es ist zum ersten Mal, daß mir Fälle bekannt werden, in denen der Gebrauch der Schußwaffen gegen fluchtwillige Einwohner der Zone durch die Grenzorgane anderer Ostblockstaaten zum Tod der Flüchtlinge führte.”

Weitere Informationen zu dem Vorfall gelangten im Oktober 1967 im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens der Erfassungsstelle Salzgitter gegen den Potsdamer Richter Skupin wegen Freiheitsberaubung und Rechtsbeugung dem Bundesministerium für Justiz zur Kenntnis. Der aus DDR-Haft freigekaufte Gerätemonteur Martin Krickstatt hatte zur Reisegruppe von Engelmann und Gammisch gehört. Er berichtete, der deutsche Reiseleiter, sowie die bulgarische Dolmetscherin seien zum Ort des Geschehens gebracht worden, um die Leichen zu identifizieren. Obwohl sie zum Schweigen verpflichtet worden seien, hätte die bulgarische Staatsangehörige, die praktisch seine Verlobte sei, ihm berichtet, „daß einer der Fluchtwilligen 6 Einschüsse in der Brust aufwies“. Das Bundesministerium für Justiz leitete diese Information ebenfalls an das Auswärtige Amt weiter, das seinerseits am 13. März 1968 die Deutsche Handelsvertretung in Sofia über die „Erschiessung von zwei Deutschen aus der SBZ an der bulgarisch-griechischen Grenze am 10. oder 11.4.1966“ informierte. Die Handelsvertretung war jedoch nicht in der Lage, weitere Auskünfte von bulgarischen Behörden zu erhalten.

In Schwarzenberg führten die andauernden Beschwerden der Familie Engelmann unterdessen dazu, dass die Vorsitzende des Rates des Kreises Schwarzenberg, Marianne Jupe, eine diplomierte Staatswissenschaftlerin, dem Anliegen der Familie beisprang und am 5. Dezember 1969 eine Beschwerde „gegen die Arbeitsweise zentraler Organe“ einreichte, die sich gegen das Verhalten der Generalstaatsanwaltschaft richtete. Abteilungsleiter Staatsanwalt Gernot Windisch reagiert vier Tage später mit der Anweisung, es sei der Ratsvorsitzenden Genossin Jupe mitzuteilen, dass der Bestattungsort nicht bekannt ist und auch auf diplomatischem Weg dazu keine Auskunft verlangt werden könne, „da es innere Angelegenheit des betroffenen Landes ist, wie mit Rechtsbrechern verfahren wird“. Was die von Familie Engelmann beantragte Reise nach Bulgarien betrifft, solle der Ratsvorsitzenden „der zentrale Standpunkt übermittelt werden, daß sie über derartige Anträge nicht entscheidungsbefugt ist“. Es müsse zentral geklärt werden, ob den Eheleuten Engelmann die Ausreise nach Bulgarien genehmigt wird. „Standpunkt: nein, Begründung mdl.“

Familie Engelmann erschien mit ihrer Tochter am 4. Januar 1970 erneut bei der Ratsvorsitzenden und beklagte, dass ihre eigene Eingabe an den Staatsrat seit über einem Jahr ohne Antwort geblieben war. Die Ratsvorsitzende Jupe schrieb daraufhin am 13. Januar 1970 an Staatsanwalt Windisch nach Berlin und stellte die Frage, „was hindert uns, offen zu sagen, wo ist die Grabstätte, um zur Ruhe zu kommen“. Eine Antwort auf ihre Frage erhielt sie nicht. Auch die von der Familie eingeschalteten Rechtsanwälte Friedrich Karl Kaul und Wolfgang Vogel konnten die Generalstaatsanwaltschaft zu keinen weitergehenden Auskünften bewegen.

Nach dem UNO-Beitritt der DDR suchte Familie Engelmann den 1. Sekretär der SED-Kreisleitung Schwarzenberg auf und teilte ihm mit, sie würde sich an die UNO wenden, wenn sie nicht bald über den Ort der Beisetzung und den Tatablauf informiert würde. Die DDR sei jetzt Mitglied der Vereinten Nationen und müsse sich auch an die internationalen Gepflogenheiten halten. In einem Gesprächsvermerk heißt es: „Der 1. Sekretär konnte wenig zu diesem Problem sagen, versprach aber, soweit es ihm möglich ist, sich um die Angelegenheit zu kümmern.“ So kam es am 29. Januar 1974 zu einer Besprechung in der SED-Kreisleitung, an der die Ratsvorsitzende Jupe, der Chef des Volkspolizeikreisamtes Geyer, Staatsanwalt Pache und MfS-Kreisdienstellenleiter Hans Windisch teilnahmen. Die Runde kam zu dem Ergebnis, „daß der Genosse Staatsanwalt über die Bezirksstaatsanwaltschaft die Generalstaatsanwaltschaft anschreibt und nochmals bittet, um zu einer endgültigen Klärung dieser Fakten mit der Familie Engelmann zu kommen, daß ein verantwortlicher Vertreter hier erscheint, um die Sache an Ort und Stelle zu klären“.

Am 23. Juli 1976 lud die Kreisstaatsanwaltschaft Schwarzenberg die Familien Engelmann und Gammisch zu einer Besprechung vor. Aus Berlin war für die Generalstaatsanwaltschaft Horst Juch und im Auftrag des 1. Stellvertretenden Ministers für Staatssicherheit Generalleutnant Bruno Beater aus Dresden Oberstleutnant Wolfgang Böhme angereist. Staatsanwalt Juch eröffnete den beiden Familien, „daß keine Möglichkeit besteht, die sterblichen Überreste ihrer 1966 in Bulgarien bei einem Fluchtversuch ums Leben gekommenen Kinder Engelmann, Heinz und Gammisch, Siegfried zu erhalten“. Die Gräber im Hochgebirge seien „durch Witterungs- und Natureinflüsse nicht mehr existent“. Böhme berichtete Bruno Beater nach Berlin, Familie Gammisch habe die Mitteilung gefasst aufgenommen, Familie Engelmann habe sich hingegen damit nicht zufriedengegeben und darauf bestanden „die endgültige Mitteilung schriftlich zu erhalten, was ihnen nicht gewährt werden konnte“.

Am 26. Mai 1978 stellten Hilde und Herbert Engelmann für sich und ihre Tochter Renate einen Antrag auf Ausreise in die Bundesrepublik. Abteilungsleiter Heinrich sagte damals zu Hilde Engelmann, „ich würde sie gerne gehen lassen, ich darf es nicht“. Die Eltern konnten auch nach der Wiedervereinigung nicht mehr in Erfahrung bringen, wo sich die Grabstätte ihres Sohnes befand. Den von Renate Engelmann 1995 gestellten Antrag auf Rehabilitierung nach dem 2. SED-Unrechtsbereinigungsgesetz lehnte die sächsische Rehabilitierungsbehörde ab. Das Sächsische Landesamt für Familie und Soziales erteilte im Juli 2001 den Bescheid, durch die „hoheitliche Maßnahme“ der DDR sei sie in ihrer beruflichen Tätigkeit nicht betroffen gewesen, sie habe weiterhin im Schuhgeschäft ihrer Eltern als Verkäuferin gearbeitet. „Systembedingte Beeinträchtigungen, die mehr oder weniger allgemeines DDR-Schicksal waren, sollten nach dem Willen des Gesetzgebers jedoch nicht Gegenstand der Rehabilitierungsgesetze sein,“ da nicht „jedes DDR-Unrecht durch eine Rehabilitierung aufgearbeitet werden“ könne. „Es steht außer Frage, dass die generelle Verweigerung der Ausreise für DDR-Bürger sowie das gesamte Genehmigungsverfahren gegen die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit [sic!] und Menschlichkeit verstoßen hat. Eine berufliche Rehabilitierung kommt aber nur in Betracht, wenn der Staat gezielt und im Einzelfall in die Berufswahl oder -ausübung eines Betroffenen eingegriffen hat.“


Biografie von Karl-Heinz Engelmann, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/491-karl-heinz-engelmann/, Letzter Zugriff: 29.03.2024