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Biografisches Handbuch

Frank Prziborowski

geboren am 30. Juni 1959 in Potsdam | erschossen am 26. Oktober 1978 | Ort des Vorfalls: Všeruby, ČSSR
BildunterschriftFrank Prziborowski
BildbeschreibungMfS-BV-Bln-AU-6673-91-Bd-3
BildquelleBStU
Quelle: BStU
Die beiden Zwillingsbrüder Frank und Jörg Prziborowski gelangten mit ihrem Motorrad bis an die Grenze der ČSSR zur Bundesrepublik. Dort konnten sie zwei Grenzzäune überwinden, als eine Patrouille der tschechoslowakischen Grenzwache gewaltsam ihre Flucht verhinderte.

Frank Ralf Prziborowski wurde am 30. Juni 1959 in Potsdam geboren. Gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder Jörg und seinen Eltern lebte er in Berlin-Lichtenberg. Seine Mutter arbeitete als Sachbearbeiterin bei einem Außenhandelsbetrieb für Transportmaschinen, sein Vater war Technischer Leiter im VEB Kohlehandel. Von 1966 bis 1974 besuchte Frank Prziborowski die 12. Polytechnische Oberschule im Prenzlauer Berg, dann wechselte er zur Erweiterten Oberschule „Heinrich Schliemann“, wo er 1978 die Hochschulreife erreichte.

Mit seinem Schulabschluss bewarb sich der 19-Jährige für ein Medizinstudium an der Humboldt Universität. Seine Studienplatzzusage bekam er für das Jahr 1981. Zuvor sollte er ein Vorpraktikum absolvieren und ab den 2. November 1978 als Wehrpflichtiger in der Nationalen Volksarmee (NVA) dienen. Im September trat Frank Prziborowski sein Praktikum in der Krankenpflege der Charité-Intensivtherapiestation an, wo er schwerstkranke Patienten versorgte. Obwohl er sich für Politik nicht interessierte – seine Leidenschaft war der Tauchsport –, stand für ihn aber fest, dass er den Wehrdienst in der NVA nicht antreten würde. Da die Familie nahe Verwandte in der Bundesrepublik hatte, plante er mit seinem Bruder über die Tschechoslowakei in den Westen zu flüchten.

Am 23. Oktober 1978 brachen Frank und Jörg Prziborowski morgens mit ihrem Motorrad von Dresden zur tschechoslowakischen Grenze auf. Sie hatten sich mit Bolzenschneider, Fahrtenmesser, Kompass und Autokarte ausgerüstet, ihr Motorrad durch einen Auspuffschalldämpfer leiser getuned. Als sie gegen 16.00 Uhr am Grenzübergang Zinnwald in die ČSSR einreisen wollten, erregte bei der Kontrolle ihr Gepäck mit Kompass, Bolzenschneider und Fahrtenmesser den Verdacht einer Fluchtabsicht. Beide Brüder wurden bis zum nächsten Morgen festgehalten. Obwohl sie bei Befragungen Fluchtabsichten bestritten, durften sie den Grenzübergang nicht passieren. Nachdem sie sich der beanstandeten Gegenstände auf DDR-Gebiet entledigt hatten, gelangten sie über den Grenzübergang Oberwiesenthal problemlos in die ČSSR. Um über einen Zimmernachweis zu verfügen, hatten sie vom 24. bis 27. Oktober eine Unterkunft in einem Hotel in Plzen gebucht. Von dort aus fuhren sie am 25. Oktober nach Nýrsko und versteckten ihr Motorrad in einem nahegelegenen Waldgebiet, etwa 10 km vor der Grenze zur Bundesrepublik. Bis etwa 18 Uhr blieben sie am Waldrand und gingen dann in Richtung Westen. Nach etwa sechs Stunden erreichten sie nahe Všeruby zwei parallel verlaufende Grenzzäune. Sie kletterten unbemerkt über den ersten Grenzzaun, in den zweiten, der oben mit Stacheldraht gesichert war, mussten sie mit einer Kneifzange ein Loch hineinschneiden. Dabei durchtrennten sie Signaldrähte und lösten um 23.58 Uhr einen Alarm in der 15. Grenzschutzkompanie Všeruby aus. Sofort wurde mit einem Geländewagen eine Patrouille zur Überprüfung des Signals losgeschickt. Sie bestand aus Unteroffizier Karel Švarc als Kommandanten und dem Gefreiten Antonín Suchánek als Hundeführer mit einem Wachhund. Als die Patrouille am Grenzzaun ankam, entdeckte sie die Beschädigung und setzte den Hund auf die Spuren an. Die Zwillingsbrüder waren inzwischen durch den Zaun gestiegen und etwa 500 Meter weit über eine Ebene in Richtung Grenze gelaufen. Nach der Überlieferung der tschechoslowakischen Staatssicherheit wurden sie aufgefordert, stehen zu bleiben. Der Gefreite Suchánek habe mit seiner Maschinenpistole eine Reihe von Warnschüssen in die Luft abgefeuert. Da beide Flüchtlinge weiterliefen, habe Suchánek den Hund von der Leine gelassen. Dieser habe Jörg Prziborowski zu Fall gebracht, Unteroffizier Švarc habe daraufhin den Festgenommenen bewacht, während Suchánek dem zweiten Flüchtling folgte. Aus einer Entfernung von 30 Metern habe er ihn nochmals aufgefordert stehen zu bleiben, einen Warnschuss abgefeuert und schließlich gezielt geschossen. Frank Prziborowski wurde in den Kopf getroffen und erlag um 0.10 Uhr an Ort und Stelle seiner Verletzung. Als die Schüsse fielen, habe Jörg Prziborowski versucht, die Beine seines Bewachers zu packen, um ihn niederzuwerfen. Švarc feuerte sofort eine Salve von sechs Schüssen aus seiner Maschinenpistole auf den Festgenommenen ab und verletzte ihn an Hals und Schulter. Nachdem ihm erste Hilfe geleistet wurde, wurde er ins Krankenhaus nach Domažlice gebracht.

Nach der Schilderung Jörg Prziborowskis gegenüber der Historikerin Tereza Mašková vom Institut für das Studium totalitärer Regime in Prag im Jahr 2012 verlief seine Verhaftung weit brutaler. Als die Soldaten eintrafen und sie zu verfolgen begannen, sei das Gelände mit einem starken Scheinwerfer ausgeleuchtet worden. Sie hätten deshalb versucht ein Waldstück zu erreichen. Plötzlich sei er einen Abhang hinabgerutscht. Wieder hinaufgestiegen, hätten ihn die Grenzsoldaten festgenommen. Ein Soldat sei dann mit dem Hund seinem Bruder gefolgt, während er von dem anderen Soldaten, der ihn bewachte, beschimpft und getreten wurde. Als er nach einiger Zeit die Schüsse hörte, wurde er wieder mit Tritten misshandelt. In seiner Angst habe er da nach dem Bein des Soldaten gegriffen und wurde durch sofort abgegebene Schüsse verletzt. Dann sei der zweite Soldat zurückgekehrt und die beiden hätten aufgeregt miteinander gesprochen. Später habe man ihn mit einem Geländewagen weggebracht. Vom Tod seines Bruders habe er erst einige Wochen später in Berlin während der dortigen Vernehmungen erfahren.

Die Untersuchung des Fluchtversuchs übernahm zunächst der tschechoslowakische Staatssicherheitsdienst. Am 3. November 1978 übergab ein Vertreter des Grenzbeauftragten der ČSSR die Leiche von Frank Prziborowski zusammen mit dem Autopsiebericht am Grenzübergang Vojtanov-Schönberg an die DDR-Behörden. Beerdigt wurde er in Berlin. Um die Schüsse an der Grenze zu vertuschen, verbreitete das MfS an seinem Arbeitsplatz in der Charité die Legende, Frank Prziborowski sei bei einem Motorradunfall ums Leben gekommen. Sein Bruder wurde in der DDR zu einer Gefängnisstrafe von 26 Monaten verurteilt. Im Zuge einer Amnestie kam er im November 1979 frei. Er durfte 1984 legal in die Bundesrepublik ausreisen.

Martin Pulec, Mitarbeiter der Behörde für die Dokumentation und Untersuchung der Verbrechen des Kommunismus (UDV) in Prag, wies darauf hin, dass mangels Quellen nicht festgestellt werden kann, ob die Vorgehensweise der Grenzpatrouille den damals geltenden Vorschriften entsprach. Besonders problematisch sei der Umstand, dass Suchánek gezielt auf den Flüchtling schoss, anstatt ihn weiter zu verfolgen oder seinen Hund einzusetzen. Der Schusswaffengebrauch sei umso fragwürdiger, als unklar bleibt, wie weit der Tatort von der Grenze entfernt war und ob diese nicht bereits durch Angehörige der Grenzwache abgesichert war. Derzeit ermitteln die Staatsanwaltschaften Weiden und Prag in diesem und in weiteren Fällen gegen die noch lebenden politischen Verantwortungsträger der Tschechoslowakei Jan Fojtík (Jg. 1928), František Kincl (Jg.1941), Lubomir Štrougal (Jg. 1924) und Vratislav Vajnar (Jg. 1930).


Biografie von Frank Prziborowski, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/439-frank-prziborowski/, Letzter Zugriff: 28.03.2024