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Biografisches Handbuch

Peter Schulze

geboren am 6. April 1941 in Machern, Kreis Wurzen | Suizid am 6. Februar 1976 nach Einkreisung durch ČSSR-Grenzsoldaten | bei Pomezí nad Ohří (Mühlbach), Okres Cheb (Eger)
Peter Schulze war am 5. Februar 1976 nicht zu seinem Revierdienst bei der Transportpolizei in Leipzig-Engelsdorf erschienen. Am 6. Februar 1976 gegen 17.30 Uhr wurde er auf dem Fluchtweg in die Bundesrepublik von Grenzsicherungskräften der ČSSR entdeckt und nach einem Schusswechsel umstellt. Er tötete sich daraufhin selbst mit der letzten Patrone aus seiner Pistole „Makarow“.

Nach dem Schulabschluss der achten Klasse erlernte Peter Schulze den Beruf eines Bauschlossers. Von 1958 bis 1962 diente er in der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR, zuletzt als Unteroffizier und Gruppenführer. Im Dezember 1963 begann er seinen Dienst bei der Transportpolizei (TP). Da man mit seiner Dienstausführung und politischen Entwicklung zufrieden war, erhielt er 1972 als Innendienstleiter die Verantwortung für das Transportpolizeirevier (TPR) Leipzig-Engelsdorf im Reichsbahnausbesserungswerk „Einheit“. Zu seinen Aufgaben gehörte auch die Finanzverwaltung und die Auszahlung von Streifengeldern.

Peter Schulze war verheiratet, das Ehepaar hatte eine Tochter. Er gehörte seit 1965 der SED an und war Leitungsmitglied der Parteiorganisation in seiner Dienststelle. Im Laufe der Jahre erhielt er etliche Auszeichnungen, darunter die Medaillen für „Treue Dienste“ in Bronze, Silber und Gold sowie die Verdienstmedaille des MdI in Bronze. Mehrere Zeugen aus seinem privaten und beruflichen Umfeld beschrieben ihn als zuverlässigen und parteiverbundenen SED-Genossen, der im persönlichen Umgang zurückhaltend auftrat. Anderen Aussagen zufolge habe er sich aber trotz schlechten Empfangs häufig Sendungen des Westfernsehens angeschaut. Im persönlichen Gespräch mit einem früheren NVA-Kameraden solle er „Vergleiche zwischen Preisen und Gehältern in der DDR und BRD“ angestellt und erklärt haben, „wenn ich bei der Bundeswehr wäre, hätte ich 3.500,- M“. Unzufrieden sei er auch über die langen Wartezeiten auf ein Auto gewesen und habe die Meinung geäußert, im Westen „kann man sich mehr leisten“. Als die Sprache auf die Quartiergäste kam, die das Ehepaar Schulze während der Leipziger Messe aufnahm, soll Schulze gesagt haben: „Wenn es nach mir gehen würde, dann würde ich nur Leute mit harter Währung nehmen.“

Anfang 1976 beklagte sich Peter Schulze gegenüber seiner Ehefrau, dass ihn seine dienstlichen Aufgaben überforderten. Er habe häufig zuhause Abrechnungen erledigt und wiederholt geäußert, „ich habe es satt“ oder „mir langt es langsam“. Am Donnerstag dem 5. Februar 1976 verließ Peter Schulze am frühen Morgen seine Wohnung in Zivilkleidung, die er üblicherweise zur Fortbildung in der Betriebsakademie der Deutschen Reichsbahn trug. Er verabschiedete sich von seiner Ehefrau und streichelte dabei über ihre Wange, was ansonsten nicht seine Art war. Am Abend kehrte Peter Schulze nicht nach Hause zurück. Als er am 6. Februar 1976 nicht zum Dienst erschien, leitete die Volkspolizei gegen 17.00 Uhr eine Eilfahndung nach ihm für alle Bezirke der DDR ein. In der Fahndungsmeldung heißt es: „Obermeister Schulze, der am 05.02.1976 zum Besuch der Volkshochschule dienstfrei hatte, erschien am 06.02.1976, 07.00 Uhr, nicht zum Dienst. Ermittlungen ergaben, daß er am 05.02.1976, 07.00 Uhr, seine Wohnung verlassen und nicht am Unterricht der Volkshochschule teilgenommen hatte. Schulze war im Besitz einer Pistole Makarow. Bei der Überprüfung des Waffenbestandes des TPR wurde das Fehlen der Pistole einschließlich 16 Patronen festgestellt. Weiterhin ergab eine Überprüfung des Kassenbestandes im TPR einen Fehlbetrag von ca. 2,6 TM.“ Schulze hatte, wie sich herausstellte, 1974 zum Kauf eines PKW „Moskwitsch“ und eines Farbfernsehgerätes dienstliche Gelder in Höhe von 2.550,74 Mark unterschlagen. Das MfS hielt das für ein wesentliches Fluchtmotiv, da eine Teilrevision des Finanzhaushaltes der Dienststelle durch eine neue Mitarbeiterin anstand. Am Vormittag des 5. Februar 1976 tauschte Peter Schulze in der Filiale der Kreissparkasse Leipzig, Ernst-Thälmann-Straße, 149, 22 DDR-Mark in 450,- Kronen um. Am Nachmittag führte er, wie das MfS herausfand, aus dem Fernsprechraum des Leipziger Hauptbahnhofs zwei Telefongespräche. Mit wem er telefonierte konnte nachträglich nicht festgestellt werden, da bei der Post darüber keine Aufzeichnungen vorlagen. Zuletzt sah man ihn am Abend in der Gaststätte „Sachsenbräu“.

Am 6. Februar 1976 löste Peter Schulze im Bahnhof Pilsen eine Fahrkarte nach Cheb. Von dort begab er sich zu Fuß in Richtung Staatsgrenze. Tschechoslowakischen Grenzsoldaten, die in der Gegend ein Hunde-Training durchführten, fiel um 17.00 Uhr im Raum Pomezí, noch etwa 1.700 m von Grenze zur Bundesrepublik entfernt, eine verdächtige Person auf. Sie konnten erkennen, dass es sich um einen Mann handelte, der mit einem Wintermantel und einer braunen Lammfellmütze bekleidet war. Er bewegte sich entlang der Eisenbahnstrecke Cheb-Schirnding in Richtung Grenze. Der Grenzsoldat Štefan Karaba näherte sich ihm und forderte ihn aus einer Entfernung von etwa 30 Metern auf, stehenzubleiben. Doch der Mann kehrte um und versuchte in ein nahe gelegenes Waldstück zu gelangen. Er versuchte dabei winkend den Grenzern zu signalisieren, dass man sich ihm nicht nähern solle. Karaba und dessen Kameraden Zoltán Sebö verfolgten ihn jedoch weiter und Karaba ließ seinen Diensthund von der Leine. Da der Hund einen Beißkorb trug, konnte er den Flüchtenden nicht aufhalten. Karaba rief ihn zurück und nahm ihm den Beißkorb ab. Der Verfolgte gab nun mit einer Pistole mehrere Schüsse ab. Daraufhin feuerte Karaba aus seiner Maschinenpistole Warnschüsse in die Luft ab. Der Flüchtende versteckte sich zunächst hinter einem kleinen Haus. Als die Grenzer dieses erreichten, hatte er die Deckung bereits verlassen und sich erneut in Richtung Grenze bewegt. Unterwegs stieß er jedoch auf weitere Grenzsoldaten, die sich ebenfalls zur Hunde-Ausbildung dort befanden. Die beiden Grenzer Václav Karhan und Emil Kubík riefen ihm zu sich zu ergeben und gaben Warnschüsse ab. Unterdessen vollendete der herbeigeeilte fünfte Grenzer Zdeněk Kubín die Einkreisung. Er konnte beobachteten, dass der Mann eine Pistole gegen seine rechte Schläfe führte und vernahm einen einzelnen gedämpften Schuss. Als sich die Grenzsoldaten der Stelle näherten, die der Mann zur Deckung aufgesucht hatte, fanden sie ihn dort sterbend vor. Peter Schulze hatte sich nach der Abgabe von sieben Schüssen mit der letzten Kugel aus seiner „Makarow“ selbst in den Kopf geschossen. Zdeněk Kubín sagte später aus, der Sterbende habe zuvor noch einige deutsche Worte gerufen, wovon er nur das Wort „Schweine“ verstand.

Bei Peter Schulze wurden neben seinem Personalausweis etwas Geld, ein Rasierapparat und ein volles Magazin mit 8 Patronen gefunden. Am 9. Februar 1976 fand die Obduktion der Leiche im Krankenhaus von Cheb statt, die den Suizid bestätigte. Zwei Tage später wurden die sterblichen Überreste Peter Schulzes über den Grenzübergang Vojtanov/Schönberg nach Leipzig überführt. Der Leichentransport erfolgte durch Mitarbeiter des DDR-Staatssicherheitsdienstes.  

BildunterschriftMitteilung des ČSSR-Innenministers Jaromir Obzina an den DDR-Innenminister Friedrich Dickel
BildquelleBStU, MfS, Allg. P. 10659/76
Abb. 1:


Biografie von Peter Schulze, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/426-peter-schulze/, Letzter Zugriff: 28.03.2024