Wera Sandner kam am 1. März 1946 im böhmischen Dorf Schwaderbach (heute Bublava) auf der tschechischen Seite des Erzgebirges unweit der sächsischen Grenze zur Welt. Wer ihr Vater war, ist unbekannt. Sie wurde nach dem Namen ihrer Mutter Anni Scherbaum als Wera Scherbaum in das Geburtenregister eingetragen. Im Mai 1946 musste Anni Scherbaum mit ihrer kleinen Tochter wie fast alle Deutschen das Dorf verlassen. In einem Lebenslauf, den Wera Sandner 1965 für ihre Arbeitsstelle beim Rat des Kreises Klingenthal verfasst hat, schrieb sie über die damalige Vertreibung: „Mit einem antifaschistischen Transport wanderten wir in die DDR aus.“ Die Einwohnerzahl der überwiegend katholischen Ortschaft Schwaderbach reduzierte sich nach der Zwangsaussiedlung der deutschen Bevölkerung drastisch. Im Jahr 1939 hatte Schwaderbach 3.835 Einwohner im Jahr 1950 nur noch 675. In Klingenthal heiratete Anni Scherbaum den Bergmann Kurt Sandner. Am 15. Dezember 1952 bewilligte der tschechische Nationalausschuss die Namensänderung von Wera Scherbaum entsprechend des neuen Familiennamens ihrer Mutter.
Wera Sandner wuchs im sächsischen Klingenthal auf. Ihre Mutter arbeitete als Adlerstickerin (Stepperin), ihr Stiefvater Kurt zunächst als Bergmann und seit 1956 als Glattreiber im VEB Blechblas- und Signalinstrumentenfabrik. Er gehörte der SED, der Deutsch-Sowjetischen-Freundschaftsgesellschaft (DSF) und dem FDGB an. Das Ehepaar Sandner bekam 1956 seine zweite Tochter Regina. Wera Sandner besuchte in Klingenthal die 8-klassige Oberschule. Sie wurde als talentierte Wintersportlerin entdeckt und auf der Kinder- und Jugendsportschule sowie im Leistungskader des Sportclubs Dynamo Klingenthal auf eine Karriere als Leistungssportlerin vorbereitet. Zu dieser Zeit gehörte sie der FDJ, der DSF und dem FDGB an. Krankheitsbedingt musste sie sich 1965 aus dem Winterssport zurückziehen. Sie erhielt eine Arbeitsstelle als Maschinenbuchhalter in der Abteilung Finanzen und später in der Steuerabteilung beim Rat des Kreises Klingenthal. Dem Sport blieb sie ehrenamtlich als Mitglied der Revisionskommission des DTSB-Kreisvorstandes Klingenthal verbunden. In ihrer Freizeit half sie in der Gastwirtschaft der Eltern ihres damaligen Verlobten aus. Da sie sich dort ausgenutzt fühlte und ihr Verlobter sie herablassend behandelte, entschloss sie sich im April 1970 die Verlobung zu lösen und Klingenthal zu verlassen. Sie begann als Maschinist im Schichtdienst des VEB Gaskombinat „Schwarze Pumpe“ zu arbeiten. Man hatte ihr dort für den Berufswechsel eine eigene Wohnung versprochen. In der Brigade „Erich Habersaath“ des Kraftwerks III sollte sie als Hilfsmaschinist zunächst den neuen Beruf erlernen. Auf eine Warteliste für die versprochene Wohnung gesetzt, erhielt sie in Hoyerswerda vorübergehend ein Zimmer in einer Wohnung mit sechs anderen jungen Frauen. Da ihr der Schichtdienst im Kraftwerk nicht zusagte, bewarb sie sich auf ein Stelle als Baukaufmann in Cottbus beim Kombinat Rohrleitung und Isolierung. Dort erhielt sie eine Anstellung als Sekretärin des Bauleiters auf einer Baustelle des Textilkombinats Cottbus. In der Stadt besuchte sie eine Volkshochschule und schloss die Weiterbildung erfolgreich als Industriekaufmann ab. In einer Beurteilung ihres Vorgesetzten vom Mai 1971 wurde ihre Arbeitsleistung „als vorbildlich“ gelobt und die Mitarbeit im Arbeitskollektiv positiv bewertet.
Während einer Urlaubsreise in die Tschechoslowakei lernte Wera Sandner am 17. Mai 1971 in einem Prager Café den aus Nürnberg stammenden Optiker Rolf Kühnle kennen, der dort gerade mit seinem Freund Heinz Wyremba zu einem dreitägigen Kurzurlaub eingetroffen war. Es muss Liebe auf den ersten Blick gewesen sein. Heinz Wyremba erinnerte sich später, dass er seinen Freund nach dem Zusammentreffen mit der DDR-Touristin drei Tage und drei Nächte nicht mehr gesehen hat. In der folgenden Zeit trafen sich Wera Sandner und Rolf Kühnle immer wieder in der Tschechoslowakei und in Ost-Berlin. Seinem Freund Wyremba offenbarte Rolf Kühnle, nachdem er den Jahreswechsel 1971/72 mit Wera Sandner im Prager Hotel „Ametyst“ gefeiert und sich mit ihr verlobt hatte: „Ich hol sie raus“.
Dem DDR-Staatssicherheitsdienst war die Liebesbeziehung zwischen Wera Sandner und Rolf Kühnle früh durch einen Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) mit Decknamen „Bernd“ zu Ohren gekommen. Der Mann wohnte mit seiner Familie in demselben Haus wie Wera Sandner und verfügte über einen Telefonanschluss. Er gestattete ihr die Entgegennahme von Anrufen ihres Nürnberger Geliebten. IM „Bernd“ meinte bei Wera Sandner „ein direktes Interesse“ an einer Flucht nach Westdeutschland festgestellt zu haben und berichtete das dem Staatssicherheitsdienst. MfS-Unterleutnant Hans Woithe von der für Spionageabwehr zuständigen Abteilung II/3 der MfS-Bezirksverwaltung Cottbus nahm die Berichte zum Anlass, um Wera Sandner am Donnerstag dem 5. August 1971 unter dem Namen Meißner in ihrer Arbeitsstelle anzurufen. Er verabredete sich mit ihr, um sie zu einem „Sachverhalt“ zu befragen. Der MfS-Mann holte Wera Sandner am folgenden Nachmittag in ihrer Wohnung ab und fuhr mit ihr im Dienstwagen vor die Stadt. Dort konfrontierte er sie mit seinen Informationen zu ihrer Beziehung mit der „WD-Person Kühnle“. In seinem Bericht über das Gespräch schrieb er, „sie berichtet aufgeschlossen und ehrlich über das Zustandekommen der Verbindung und welchen Charakter diese Verbindung zur Zeit hat. Da diese Fakten durch inoffizielle Berichte bekannt waren, kann eingeschätzt werden, daß die Kandidatin die Wahrheit sagte“. Mit der Bezeichnung „Kandidatin“ meldete Unterleutnant Woithe seine Absicht an, Wera Sandner als Informantin für das MfS anzuwerben. Er lockte sie mit dem Angebot, „daß wir an einer Reise in die CSSR und einem Treffen mit der WD-Person interessiert sind“. Da Wera Sandner ihren Geliebten weiter treffen wollte, blieb ihr kaum eine andere Wahl, als auf dieses Angebot einzugehen. Sie verpflichtete sich am 13. August 1971 schriftlich unter dem Decknamen „Regina“ zur Zusammenarbeit mit dem DDR-Staatssicherheitsdienst. Zwei Wochen später verfasste MfS-Unterleutnant Woithe seinen formalen „Vorschlag zur Verpflichtung der Kandidatin Sandner, Wera“. Darin teilte er seinen Vorgesetzten mit, dass er den ersten Hinweis auf Wera Sandner durch seinen Kollegen Oberleutnant Siegfried Jäger erhalten hatte, der mit einer Familie im Wohnhaus von Wera Sandner befreundet sei. Wera Sandner habe gegenüber dieser Familie, die im gleichen Aufgang wohnt, ihre persönlichen Probleme offenbart „und schüttet sich ihr Herz aus, wenn sie Sorgen hat“. Der MfS-Mann charakterisierte „die Kandidatin“ als eine Frau, die „für Geld und andere Annehmlichkeiten sehr zu haben ist. Durch ihr Alter bedingt, läßt sie sich durch ältere Menschen belehren und auch lenken und leiten, d. h. sie ist leicht beeinflußbar. Einen stark ausgeprägten Willen hat sie nicht, was beim ersten Gespräch erkannt wurde.“ Unterleutnant Woithe schlug vor, Wera Sandner für die „Blickfeldarbeit“ zu nutzen und „an jüngere Personen anzusetzen, da in diesen Kreisen die Perspektive einer prophylaktischen Abwehrarbeit“ bestehe. „Dabei kann ihre sprichwörtliche Kontaktfreudigkeit und ihr Äußeres weitgehend ausgenützt werden.“
Die Cottbuser MfS-Leute hegten jedoch Misstrauen gegenüber der neu gewonnenen Informantin „Regina“ und ließen sie durch einen IM „Germano“ und eine IM „Tanja“ überwachen. Die Spitzelberichte der beiden Inoffiziellen enthalten widersprüchlichen Angaben zu Wera Sandners Verhältnis „mit einem Westdeutschen“. Sie gab demnach den Namen des Mannes nicht preis, erwähnte aber, dass sie im März 1972 während der Leipziger Messe mit ihm ein Hotelzimmer teilte und ihn danach auch wieder in Prag getroffen hatte. Dort sei es zu Streitigkeiten und dem Ende der Beziehung gekommen. Deswegen würde ihr Bekannter im Sommer nicht wie geplant nach Bulgarien, sondern nach Spanien reisen. Offenbar wollte Wera Sandner mit diesen Äußerungen eine falsche Fährte legen, denn am 14. August 1972 flog die 26-Jährige von Berlin-Schönefeld nach Bulgarien und traf sich dort in Burgas mit Rolf Kühnle. Dort meldete sich Wera Sandner im Hotel mit einem gefälschten westdeutschen Pass unter dem Namen Eveline Monika Barbara Wyremba aus Baden an. Am 23. August 1972 fuhr das Paar mit Kühnles Wagen in das bulgarisch-jugoslawische Grenzgebiet und versuchte in der Dunkelheit gegen 22:30 Uhr bei der Kontrollstelle Kalotina, die bulgarische Grenze nach Jugoslawien zu passieren. Was dann geschah, ist den Überlieferungen der bulgarischen Militärstaatsanwaltschaft folgendermaßen zu entnehmen: Der Grenzsoldat Petkow habe in der Dunkelheit eine Gestalt entdeckt und angerufen. Auf seine Stopp-Rufe und Warnschüsse habe die Person nicht reagiert und sei in ein Waldstück geflüchtet. Daraufhin habe er das Feuer in Richtung des Waldstücks eröffnet. Dann habe sich Petkow der Stelle genähert, an der die Gestalt im Wald verschwunden war und in Richtung des vermuteten Fluchtwegs drei Salven aus seiner Maschinenpistole abgefeuert. Ein zweiter Grenzer, der gemeinsam mit seinem Streifenführer hinzukam, schoss ebenfalls mit seiner MPi mehrere Salven in das Waldstück.
Am 25. August 1972 um 15.20 Uhr rief DDR-Konsul Dr. Peter Krause aus der Botschaft in Sofia bei dem Leiter der Hauptabteilung Konsularwesen im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR (MfAA) August Klobes an und teilte ihm mit, am 23. August 1972 um 22.30 Uhr seien eine männliche und eine weibliche Person „in Richtung Türkei“ tot aufgefunden worden. Die männliche Person sei ein „BRD-Bürger“, die weibliche eine DDR-Bürgerin namens Sandner, „Vorname Vera, geb. 1.3.46 in Schwaderbach (CSR)“. Die bulgarische Seite habe angefragt, ob etwas dagegen spreche, die Toten dort beizusetzen. Krause stellte außerdem die Frage: „Was soll als Todesursache genannt werden?“ August Klobes gab diese Angaben seiner für Todesfälle im Ausland zuständigen Mitarbeiterin Ursula Gott weiter sowie an die DDR-Generalstaatsanwaltschaft und an den MfS-Offizier Werner Ullmann, der in der Abteilung Sicherung des Reise- und Touristenverkehrs (SRT) des Staatssicherheitsdienstes arbeitete. Klobes (MfAA) bat Ullmann (MfS) um Entscheidung, wie zu verfahren sei.
Am 31. August 1972 telefonierte der Mitarbeiter der Hauptabteilung Konsularwesen Freier mit Staatsanwalt Wagner von der Generalstaatsanwaltschaft (GStA) der DDR. Wagner erklärte, dass die Angelegenheit Sandner „sehr kompliziert sei, da ein westdeutscher Bürger an der Sache beteiligt war“. Um alle offenen Fragen zu klären sei ein Mitarbeiter der Generalstaatsanwaltschaft nach Bulgarien gefahren, aber noch nicht zurückgekehrt. Wagner äußerte die Auffassung, „er halte eine Überführung der Leiche in die DDR aus ganz bestimmten Gründen für nicht opportun“. Am 4. September 1972 teilte Staatsanwalt Wagner dem MfAA mit, es werde durch die Generalstaatsanwaltschaft kein Verfahren eingeleitet. „Aus bestimmten Gründen muß aber gesichert werden, daß eine Überführung der Leiche unterbleibt“. Es solle den Eltern mitgeteilt werden, daß die Beisetzung in Bulgarien bereits erfolgt ist. Als Todesursache sei den Eltern zu erklären, dass ihre Tochter mit einem westdeutschen Bürger „einen gewaltsamen Grenzdurchbruch versuchte und dabei den Tod fand“. Die Westpresse habe bereits über den Vorfall berichtet.
August Klobes (MfAA) kabelte in diesem Sinn am folgenden Tag an die Abteilung Inneres beim Rat des Kreises Klingenthal: „Im August 1972 fand die DDR-Bürgerin Vera Sander [sic], geb. 1. März 1946, wohnhaft Klingenthal, Schulstr. 67, bei dem Versuch, die Staatsgrenze der VR Bulgarien gewaltsam zu durchbrechen, den Tod. Ihre Beisetzung erfolgte in Bulgarien.” Er bitte die Eltern „in entsprechender Form davon in Kenntnis zu setzen”. Dem Rat des Kreises Cottbus schrieb Klobes: „Im August 1972 verstarb während eines Aufenthaltes in der VR Bulgarien Vera Sander, Cottbus, Hans-Beimler-Straße 5“. Er bitte die Wohnungsfrage zu regeln und zu veranlassen, „daß den Eltern die Hinterlassenschaft der Verstorbenen übergeben wird“.
Am 6. September 1972 sprach Kurt Sandner mit dem Mitarbeiter des MfAA Freier. Laut dessen Gesprächsprotokoll, beklagte sich der Vater darüber, dass er seit 14 Tagen von verschiedenen Instanzen keine befriedigende Antwort über die Hintergründe des Todes seiner Tochter erhalten habe. Nun habe ihm die bulgarische Botschaft bestätigt, dass seine Tochter bei einem Versuch, „gewaltsam die Staatsgrenze der VRB zu durchbrechen, den Tod gefunden hat“. Als Freier ihm mitteilte, „daß die Beisetzung der Tochter bereits in der VRB erfolgt sei, brach er in Tränen aus. Er fragte immer wieder, wie es möglich sei, daß ein ausländischer Bürger in der VRB ohne Benachrichtigung der Angehörigen beerdigt werden könne und ob er den Bestattungsort erfahren könne“. Freier erklärte ihm, die Beisetzung sei nach den gesetzlichen Bestimmungen in Bulgarien erfolgt, er werde ihm die amtlichen Dokumente nach Abschluss der Untersuchung zukommen lassen. „Herr Sandner machte einen völlig verstörten Eindruck. Es muß angenommen werden, daß er in seinem Zustand nicht alle dargelegten Fakten aufgenommen hat.“
In Reaktion auf westliche Presseberichte hatte bereits am 1. September 1972 die bulgarische Zeitung Anteni unter der Kopfzeile „Eine Augustnacht ohne Morgengrauen“ über den Vorfall an der jugoslawischen Grenze berichtet. Der Artikel erschien mit der Überschrift: „Bulgarien ist kein Platz für Abenteuer. Nichtbeachtung der Gesetze der Gastfreundschaft. Eine tragische, doch bezeichnende Geschichte an unserer westlichen Grenze – zwei Opfer der Propaganda“. Als Autoren werden Georgi Raikow und Koljs Petrow genannt. Ihr Artikel enthält konkrete Angaben über den angeblichen Ablauf unmittelbar an der Grenze. Der Posten habe erst nach Warnrufen und Warnschüssen in Richtung der vermuteten „Grenzverletzer“ geschossen. „Die Frau trug eine rote Bluse und dunkelblaue Hose.” Der Mann sei durch seine helle Sportjacke dem Posten in der Dunkelheit aufgefallen. Die Grenzstreife habe vorschriftsmäßig gehandelt. „Unantastbar und heilig sind die Grenzen unserer Heimat.“ Der Zwischenfall sei „tragisch und bezeichnend. Wir berichten davon, damit es keine Illusionen für anderen ‚Touristen‘ gibt.“
Erst am 7. September 1972 informierte der stellvertretende Vorsitzende der Abteilung Inneres des Rates Klingenthal Grube das Ehepaar Sandner offiziell über den Tod ihrer Tochter. Er berichtete darüber dem Außenministerium nach Ost-Berlin, die Eltern hätten sich beschwert, dass sie erst von der bulgarischen Botschaft Näheres über den Tod ihrer Tochter erfuhren. Erst nachdem er „das verwerfliche Verhalten ihrer Tochter ins richtige Licht gerückt“ habe, „nahm das Gespräch einen besseren Verlauf.“ Die Eltern hätten dann auch von ihrer Forderung nach einer Leichenüberführung Abstand genommen. Sie fragten nach der Möglichkeit das Grab zu besuchen. Grube bat das Außenministerium um Mitteilung, was er den Eltern auf ihre Bitte antworten solle.
Am 16. Oktober 1972 wandte sich der Rechtsanwalt und Notar Dr. Gottfried Neubert aus Klingenthal an die DDR-Botschaft in Sofia und stellte im Auftrag der Eltern die Frage, wieso eine Überführung der Leiche von Rudolf Kühnle in die Bundesrepublik möglich gemacht wurde, eine Überführung von Wera Sandner in die DDR als „befreundetem Land“ aber nicht. Rechtsanwalt Neubert bat um Mitteilung, ob es nach bulgarischem Recht zulässig sei, eine Beisetzung ohne Zustimmung der Angehörigen anzuordnen. Er bat auch um Mitteilung „in welchem Ort und an welcher Stelle und auf welche Weise die Beisetzung erfolgt ist“.
Am 8. November 1972 fand im DDR-Außenministerium eine Beratung zwischen der MfAA-Hauptreferentin Ursula Gott und dem MfS-Offizier Werner Ullmann darüber statt, wie auf das Schreiben von Rechtsanwalt Neubert zu reagieren sei. Man kam aber zu keinem Ergebnis, da keine Formulierung gefunden wurde, die nicht eine “Kettenreaktionen anderer Art auslöst. Es scheint nur möglich, auf diese Frage überhaupt nicht einzugehen”. Ullmann teilte Frau Gott nach Rücksprache in seiner Dienststelle am folgenden Tag mit, eine Antwort auf das rechtsanwaltliche Schreiben könne nur in der Weise erfolgen, wie sie bereits dem Vater gegeben wurde. Die Hauptabteilung Konsularwesen solle erwägen, „ob für künftige Fälle nicht von Anfang an eine Überführung der Leiche vorgesehen werden sollte, damit ähnliche Probleme wie bei S. ausgeschaltet werden“. MfAA-Hauptabteilungsleiter Klobes schrieb schließlich am 15. November 1972 an Rechtsanwalt Neubert, die DDR-Botschaft in Sofia habe Schritte zur Klärung seines Anliegens unternommen, dem Rat des Kreises seien inzwischen die Sterbeurkunde, Auskünfte zum Beisetzungsort Wera Sandners einschließlich Fotos der Grabstätte und Informationen zu Reisemöglichkeiten übermittelt worden.
Die Überlieferungen des DDR-Außenministeriums enthalten eine aus dem Bulgarischen übersetzte „Anordnung über die Einstellung des Untersuchungsprozesses Nr. 53/1972“ vom 25. September 1972, die von Militärstaatsanwalt Oberst Wladimir Georgiew Momtschilow unterzeichnet ist. Das Dokument enthält die Untersuchungsergebnisse der bulgarischen Militärstaatsanwaltschaft. Demnach entdeckte der Grenzsoldat Petkow gegen 22:30 Uhr einen „Grenzverletzer“ 10 m vom Grenzstreifen entfernt. Er habe „Stehenbleiben“ gerufen und mit dem Maschinengewehr Warnschüsse in die Luft abgegeben. Die Person sei aber in einem Waldstück verschwunden. Daraufhin habe er erneut gerufen und in die Luft geschossen. Wegen der realen Gefahr, „daß der Grenzverletzer durch Sprünge das fremde Territorium erreicht“ habe sich der Soldat der Stelle genähert, an der die Person in den Wald geflüchtet war. Er habe dann dreimal hintereinander in die Richtung geschossen, wo er die Person vermutete. Durch die Schüsse alarmiert, seien der Rangälteste der Streife und ein weiterer Soldat herbeigeilt. Letzterer habe dann nochmals in die gleiche Richtung wie sein Kamerad geschossen. Wenige Momente später traf die Alarmgruppe ein und fand in einem Gebüsch etwa drei Meter voneinander entfernt die Leichen eines Mannes und einer Frau. Die Untersuchungsgruppe der Kreisverwaltung des Innenministeriums habe ab 06:35 Uhr am 24. August 1972 den Tatort untersucht und fotografiert. Die beiden Toten konnten durch ihre Papiere identifiziert werden. Wera Sandner trug außerdem einen gefälschten bundesdeutschen Pass auf den Namen Eveline Monika Barbara aus Baden bei sich, den sie auch zur Anmeldung im Hotel vorgelegt hatte. Das Fahrzeug Rolf Kühnles, ein türkisfarbener Skoda, wurde bei der nahgelegenen Landstraße unweit des Grenzübergangs Kalotina entdeckt. Militärstaatsanwalt Momtschilow stellte das Untersuchungsverfahren ein. Eine deutsche Übersetzung des Einstellungsbeschlusses wurde von der DDR-Botschaft aus Sofia dem DDR-Außenministerium übermittelt. Darin heißt es, die Verfahrenseinstellung erfolgte „wegen Fehlen eines verübten Verbrechens durch die Grenzsoldaten im Zusammenhang mit der Ermordung von Kühnle und Sandner“. Eine anders lautenden Übersetzung des Beschluss findet sich in den Überlieferungen des Bonner Auswärtigen Amtes. Darin ist nicht von einer „Ermordung“ die Rede, sondern davon, dass „im Zusammenhang mit dem Tode Kühnles und Sanders die Grenzsoldaten kein Verbrechen begangen haben“. Militärstaatsanwalt Momtschilow ordnete an, die persönlichen Gegenstände der beiden Todesopfer seien dem bulgarischen Außenministerium zu übergeben, das sie je nach Eigentum der DDR-Botschaft und der bundesrepublikanischen Handelsvertretung übergeben solle. Eine Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Sofia wurde erst im Dezember 1973 eröffnet, nachdem der deutsch-deutsche Grundlagenvertrag in Kraft getreten und die Aufnahme beider deutschen Staaten in die UNO erfolgt war.
Bei der Autopsie der Leichen wurden an Rolf Kühnles Körper acht Einschüsse und bei Wera Sandner sechs Schussverletzungen festgestellt. Die bulgarische Todesurkunde Nr. 926 für Wera Sandner – darin wird sie Schadner genannt – unterzeichnete der Beauftragte für das Personenstandswesen (Standesbeamter) des Volksrates des Stadtbezirks „Wassil Lewski“ in Sofia, Todor Christow Antschew. In dem Dokument wird als Todesursache angegeben: „Schußverletzungen am Brustkorb, starker Blutverlust. Bei Grenzverletzung durch Grenzstreife erschossen.“ Obwohl das DDR-Außenministerium eine deutsche Übersetzung der Todesurkunde erhielt, veranlasste dessen Hauptreferentin Gott beim Standesamt I in Berlin die Ausstellung einer Sterbeurkunde für die Eltern von Wera Sandner, die keine Angaben über die Todesursache enthielt.
Doch der Tod des deutsch-deutschen Liebespaares an der bulgarisch-jugoslawischen Grenze führte zu weiteren für die DDR unangenehmen Verwicklungen. DDR-Konsul Krause schrieb am 31. Januar 1973 an August Klobes, die Konsularabteilung des bulgarischen Außenministeriums sei von dem westdeutschen Konsul Dr. Jürgen Oesterhelt um eine Exhumierung und Überführung der Leiche von Wera Sandner in das Grab ihres Verlobten Rolf Kühnle nach Nürnberg gebeten worden. Eine notariell beglaubigte Zustimmung der Eltern Wera Sandners habe der westdeutsche Konsul seinem Schreiben beigefügt.
DDR-Konsul Peter Krause erklärte gegenüber seinem Ansprechpartner im bulgarischen Außenministerium Markow mündlich, das westdeutsche Anliegen sei „eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der DDR“ und deswegen abzulehnen. Es müsse „im Prinzip als eine Variante der Alleinvertretungsanmaßung angesehen werden“. Ohne Bezugnahme auf die Konsultation mit der DDR-Botschaft solle durch das bulgarische Außenministerium die westdeutsche Vertretung „mit aller Deutlichkeit darauf hingewiesen werden, daß sie für DDR-Bürger nicht zuständig ist“. Außerdem solle mitgeteilt werden, dass eine Exhumierung nach bulgarischem Recht erst nach 6 bis 7 Jahren zulässig sei.
Am 13. Februar 1973 mahnte Rechtsanwalt Neubert im Auftrag der Eltern die Übergabe der hinterlassenen Gegenstände, Reisegepäck, Schmuck und Kleidung, von Wera Sandner an, „da zwischen dem Todesfall und dem jetzigen Zeitpunkt fast 6 Monate liegen und in dieser Zeit die Erfassung und Versendung und Übergabe der Hinterlassenschaft längst hätte erfolgen können“. Am 26. Februar antwortete MfAA-Hauptabteilungsleiter Klobes, die Hinterlassenschaft sei „mit letzter Post“ dem Rat des Kreises übermittelt worden. Dies scheint unzutreffend gewesen zu sein, denn am 1. März fragte er bei Konsul Krause in Sofia erneut nach dem Verbleib der Hinterlassenschaft. Klobes bat Krause „nochmals Nachforschungen nach dem Verbleib der persönlichen Sachen der Verstorbenen einzuleiten, damit diese Angelegenheit abgeschlossen werden kann“. Am 25. Mai 1973 teilte Konsul Krause mit, nun sei der Koffer vom bulgarischen Außenministerium übergeben worden. Es dauerte weitere fünf Monate bis Ursula Gott am 3. Oktober 1973 die Transportstelle des DDR-Außenministeriums anwies, den Koffer aus Sofia nach Klingenthal zu schaffen und bei der dortigen Abteilung für Innere Angelegenheiten abzuliefern. Wera Sandners Vater hatte nämlich tags zuvor Frau Gott im DDR-Außenministerium aufgesucht und wiederum die Aushändigung der persönlichen Gegenstände seiner Tochter gefordert. Außerdem bat er nochmals darum, dass die Leiche seiner Tochter exhumiert und in die Bundesrepublik zur Beisetzung nach Nürnberg überführt werde. Das sei mit Frau Lisa Kühnle, der Mutter ihres Verlobten, abgesprochen. Frau Kühnle habe bei bulgarischen Stellen bereits Schritte dazu eingeleitet. Die SED reagierte auf Kurt Sandners beharrliche Bemühungen um Aufklärung des Todes seiner Tochter mit Parteiausschluss wegen „parteifeindlicher Handlungen und Verleumdung bulgarischer Klassengenossen“.
Am 1. Juli 1976 schickte Krauses Nachfolger Konsul Kurt Spörl aus der DDR-Botschaft in Sofia eine “Niederschrift über eine Vorsprache des DDR-Bürgers Kurt Sandner und Ehefrau” nach Ost-Berlin. Es sei dem Ehepaar wieder um die Überführung nach Nürnberg gegangen. Spörl vertröstete die Eltern mit dem Hinweis, er müsse sich auf bulgarischer Seite über weitere Fragen sachkundig machen. Nach Ost-Berlin schrieb er: „Nach Einsichtnahme in die Unterlagen halte ich es nicht für zweckmäßig, dem gewünschten Vorhaben zu entsprechen.“
Am 14. Juni 1980 wandte sich Lisa Kühnle aus der Krankenanstalt in Elztal-Dallau an den Ministerrat der DDR und erbat erneut die Leichenüberführung Wera Sandners in die Grabstätte ihres Sohnes Rolf Kühnle nach Bad Königshofen. Sie legte ihrem Schreiben ein Bild des Grabsteins bei, auf dem bereits der Name Wera Sandner eingemeißelt ist. Sie befürchte, schrieb sie, dass die sterblichen Überreste der Verlobten ihres Sohnes in Bulgarien „in ein Massengrab kommen“. Sie werde die Kosten der Überführung tragen. „Ich bete jeden Tag darum, dass es geschieht und das ist vielleicht mein letzter Wunsch. Bitte, sehr geehrte Herren, betrachten Sie die Tat der Republik-Flucht nach 8 Jahren als gesühnt, die Beiden waren jung und verliebt und töricht. Es war ja nicht politisch. Bitte, einer armen, gottgläubigen Mutter zuliebe. Mit vorzüglicher Hochachtung! Lisa Kühnle”.
Die Akte Wera Sandner des DDR-Außenministeriums endet mit einem kleinen von Hauptabteilungsleiter August Klobes paraphierten Notizzettel hinter Lisa Kühnles Bittbrief: „Genn. Gott, Bitte Vorgang! nicht antworten“.