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Biografisches Handbuch

Gerd Radewagen

geboren am 14. März 1952 in Weißenfels | Suizid am 17. März 1979 | Ort des Zwischenfalls: Grenzkompanie Oebisfelde, Ortsteil Schwanefeld (Sachsen-Anhalt)
Drei Tage nach seinem 27. Geburtstag setzte Hauptmann Gerd Radewagen seinem Leben ein Ende. Zu diesem Entschluss trug vermutlich auch seine dienstliche Überlastung bei.

Gerd Radewagen wurde am 14. März 1952 in Weißenfels in Sachsen-Anhalt geboren. Sein Vater arbeitete als Bäckermeister in der dortigen Konsumkonditorei, bei der auch seine Mutter als Betriebshelferin beschäftigt war. Gerd Radewagen wurde 1958 in der Beuditzschule in Weißenfels eingeschult. Ab der 7. Klasse gehörte er einer Sportklasse an. Dank guter schulischer Leistungen kam er 1966 auf die Goethe-Oberschule in Weißenfels. Gleichzeitig erlernte er den Beruf eines Betriebsschlossers. Das Abitur bestand Radewagen mit „gut” und legte auch seine Facharbeiterprüfung erfolgreich ab. Im Laufe der vormilitärischen Übungen in der Gesellschaft für Sport und Technik (GST) wuchs sein Interesse an einer Berufslaufbahn als Offizier. Nach bestandener Aufnahmeprüfung begann 1970 für Gerd Radewagen die Offizierslaufbahn an der Offiziershochschule der Grenztruppen in Plauen.

Zwei Jahre später lernte Gerd Radewagen seine Frau kennen, mit der er sich 1973 verlobte und die er ein Jahr später heiratete. Gerd Radewagen war ein ehrgeiziger Mann, der mit Begeisterung seine Offizierslaufbahn absolvierte. Schon nach vier Jahren als Offizier der Grenztruppen brachte er es zum Kompaniechef. Den Vorschlag, die Militärakademie „Friedrich Engels” zu besuchen, lehnte er jedoch ab, denn er wollte nicht im Stabsbereich eingesetzt werden, sondern in der Position als Vorgesetzter von Soldaten und Offizieren vor Ort Verantwortung tragen. Bis 1977 diente er als stellvertretender Kompaniechef der 2. Grenzkompanie in Marienborn, seit dem 1. Oktober 1977 als Kommandeur der Einheit in Schwanefeld. Die Beurteilungen durch Vorgesetzte fielen durchweg positiv aus. Nach Aussagen aus seinem dienstlichen Umfeld hegte er jedoch des Öfteren Misstrauen gegenüber seinen Stellvertretern und erledigte häufig deren Aufgaben lieber selbst. Manche Untergebenen hielten ihn für überheblich und arrogant. Zudem habe er empfindlich auf Kritik reagiert, es sei ihm schwer gefallen, Fehler einzugestehen und sich gegebenenfalls dafür zu entschuldigen.

Seit Herbst 1978 sorgte Radewagen sich um seine körperliche Verfassung, er klagte häufig über Herzschmerzen. Seine Frau riet ihm, weniger zu rauchen und bei der Arbeit etwas kürzer zu treten. Untersuchungen des Medizinischen Dienstes verliefen jedoch zufriedenstellend. Dennoch fiel seiner Umgebung auf, dass er sich sogar nach Feierabend und selbst im Urlaub mit dienstlichen Angelegenheiten beschäftigte und in einem ständig mitgeführten Notizbuch seine Einfälle, etwa zur Verbesserung des Postendienstes, eintrug. Seit seiner Rückkehr aus dem Urlaub, den er anlässlich seines 27. Geburtstages mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter verbrachte, nahmen seine Kameraden bei ihm eine starke Veränderung wahr. In persönlichen Gesprächen habe er mehrmals geäußert, dass er sich der Erfüllung seiner dienstlichen Pflichten nicht mehr gewachsen fühle. Für die Vorbereitung zu seinem Geburtstag am 14. März 1979 bat er seine Frau, etwas zu Essen und Getränke zu besorgen. In der Erwartung, der Bataillonskommandeur und andere Offiziere würden ihn besuchen, sei er den ganzen Tag völlig aufgeregt in der Wohnung umhergelaufen. Als schließlich keiner der erwarteten Gäste eintraf, reagierte er sehr enttäuscht. Am 16. März 1979 klagte Radewagen über Herzschmerzen. Dennoch rauchte er mehrere Zigaretten kurz hintereinander. Am nächsten Morgen verabschiedete er sich von seiner Frau außergewöhnlich herzlich. Gegen 9.30 Uhr rief er sie aus dem Dienst an und sagte: „Ich komme hier nicht mehr klar. Mein Herz macht mir zu schaffen. Ich will nicht in Haldensleben enden und daß Du mit unserem Kind Euch dort einen verrückten Vater ansehen müßt.” Er dürfte damit auf die psychiatrische Abteilung des Landeskrankenhauses Haldensleben angespielt haben. Auf beruhigende Worte seiner Frau entgegnete er, es sei doch alles sinnlos. Dann brach er in Tränen aus und stammelte Abschiedsworte, bevor er den Hörer auflegte.

Ein Rückruf der Ehefrau blieb erfolglos, es ertönte nur das Freizeichen. Wenige Minuten später, gegen 9.38 Uhr, hörte ein Fähnrich mehrere Schüsse aus dem Dienstzimmer des Hauptmanns. Als er die Tür öffnete, lag Gerd Radewagen mit einer Schussverletzung in der linken Oberkörperseite neben seinem Schreibtisch. Drei Tage nach seinem 27. Geburtstag hatte der Hauptmann seinem Leben ein Ende gesetzt. Der Fähnrich leistete sofort Erste Hilfe, allerdings erfolglos. Der herbeigerufene Arzt aus Wefensleben stellte gegen 9.45 Uhr keinerlei Lebenszeichen mehr bei Gerd Radewagen fest.


Biografie von Gerd Radewagen, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/375-gerd-radewagen/, Letzter Zugriff: 23.04.2024