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Biografisches Handbuch

Ronny Zwick

geboren am 2. Mai 1970 in Zeitz | in der Nacht vom 14. zum 15. September 1988 ertrunken | Ort des Vorfalls: Ostsee
Ronny Zwick hat im September 1988 gemeinsam mit seinem älteren Bruder versucht, von Kühlungsborn aus schwimmend Fehmarn oder die dänische Insel Falster zu erreichen. Auf ihrem Weg wurden sie aber von einem Boot des DDR-Grenzschutzes entdeckt. Bei der Festnahme geriet Ronny aus den Augen seines Bruders und konnte auch in einer aufwändigen Suchaktion des DDR-Grenzschutzes zur See nicht mehr gefunden werden. Seine Leiche wurde bis heute nicht geborgen.

Ronny Zwick kam am 2. Mai 1970 als eines von sechs Geschwistern in Zeitz an der Weißen Elster im Süden Sachsen-Anhalts zur Welt. Er blieb nach seiner Kindheit und Ausbildung in Zeitz und arbeitete dort als Transportarbeiter im VEB Lackwerke.

Einer seiner älteren Brüder, der auch in Zeitz wohnte und arbeitete, war am 30. April 1987 bei einem Fluchtversuch an der Zollkontrolle beim Passieren der Grenze zwischen der Tschechoslowakei und der DDR in Bad Schandau verhaftet und im Anschluss in einem Verfahren am Kreisgericht Zeitz wegen Verstoßes gegen §213 des DDR-Strafgesetzbuches verurteilt worden. Am 14. September desselben Jahres wurde dieser mit einem Jahr Bewährung aus der Haft entlassen.

Beide Brüder haben in der folgenden Zeit Ausreiseanträge gestellt, die allesamt negativ beschieden wurden. Darüber hinaus wurden sie, wie Ronnys großer Bruder später bei der Zentralen Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität (ZERV) zu Protokoll gibt, aufgrund der Tatsache, dass ein Bruder der beiden nach erfolgreichem Ausreiseantrag in Westberlin lebte, an ihrer persönlichen wie beruflichen Weiterentwicklung gehindert.

Im Sommer 1988 verbrachte Ronny seinen Urlaub an der Ostsee. Währenddessen hat er auch Kühlungsborn, das recht nahe an der Grenze zur BRD liegt, besucht. Bei seiner Rückkehr wurden er und sein Bruder, dessen Bewährungsfrist noch nicht abgelaufen war, sich einig, dass sie die DDR verlassen wollten, obwohl offiziellen Ausreiseanträge nicht genehmigt worden waren. Sie beschlossen weiter, dass sie die Flucht über die Ostsee wagen wollten. Einerseits schreckten sie die intensiven Sicherungsmaßnahmen der Landgrenze ab, andererseits wollten sie die DDR so unauffällig wie möglich verlassen – wahrscheinlich, weil sie ihrer recht großen Familie in der DDR mit ihrer Flucht keine weiteren Schwierigkeiten bereiten wollten. Sie fühlten sich gut vorbereitet, weil sie die Schifffahrtsrouten studiert hatten und sich beide nach Aussage von Ronnys Bruder in körperlich sehr guter Verfassung befanden. Als Hilfsmittel sollten ihnen Neoprenanzüge und ein wasserdichter Kompass dienen. Ronnys Bruder war außerdem als Orientierungsläufer darin geübt, sich an den Sternen zu orientieren. Die ungefähr 38 Kilometer, die sie in Richtung Fehmarn schwimmen mussten, bereiteten den beiden keine großen Sorgen.

So begannen sie mit Ablauf der Bewährungszeit von Ronnys großem Bruder ihre Reise an die DDR-Ostseeküste. Auf dem Weg stahlen sie in Berlin einen Neoprenanzug für Ronny und in Rostock erwarben sie einen weiteren Neoprenanzug für Ronnys Bruder sowie ein Fernglas. Sie begaben sich noch am Abend des 14. September mit einem sogenannten Schwarztaxi nach Kühlungsborn und ließen sich dort am Ortseingang absetzen, nachdem ihr Fahrer ihnen Fragen nach ihrem Aufenthaltsort gestellt hatte. Sie warteten in Gebüschen versteckt den Einbruch der Nacht ab, um sich dann zu dem Ronny bekannten FDGB-Ferienheim zu begeben, das unmittelbar hinter dem Strand lag. Auf dem Weg dorthin trafen sie auch auf eine Streife, die sie den Grenztruppen der DDR zuordneten, wurden aber nicht bemerkt.

Auf dem Gelände des FDGB-Ferienheims zogen sie sich aus, cremten sich mit Fettcreme ein und legten ihre Neoprenanzüge an. Ihre Kleidung packten sie in eine Reisetasche, die sie mit ins Wasser nahmen. Dann warteten sie die Grenzstreife und den Suchscheinwerfer ab und begaben sich in die Ostsee, wo sie nach einigem Schwimmen ihre Kleidertasche in der Hoffnung losließen, dass diese nicht zurück an den Strand gespült würde.

Die Bedingungen schienen ihnen recht gut zu sein: auf See waren nur moderate Wellen von maximal einem halben Meter Höhe zu beobachten, es herrschte ein leichter Wind und der Himmel war nur teilweise bewölkt, außerdem hatte die Ostsee noch eine Temperatur von etwa 15° C. Sie schwammen hintereinander -­ Ronny voraus, weil er der bessere Schwimmer war – blieben dabei aber ständig im Gespräch und entsprechend nahe beieinander. Als hinter ihnen eine Fähre nach Schweden ihre Route passierte, wussten sie, dass sie die Fahrrinne überquert hatten und waren guter Dinge, bis sie von einem Suchscheinwerfer erfasst wurden. Zeitgleich damit ertönte auf dem Boot, von dem der Scheinwerfer ausging, ein Alarm und die beiden wussten, dass es sich um ein DDR-Grenzboot handeln musste. Entsprechend ihren vorher gefassten Absprachen trennten sich die beiden nun, wurden jedoch abwechselnd immer wieder vom Suchscheinwerfer angeleuchtet und das Grenzboot setzte sich schließlich zwischen die beiden. Dabei verloren sie einander aus den Augen. Ronnys Bruder wehrte sich nach eigener Aussage so heftig gegen die Aufnahme in ein zu Wasser gelassenes Schlauchboot, dass er mit einem Gegenstand bewusstlos geschlagen wurde und erst auf dem Grenzboot wieder erwachte, wo er sich komplett entkleiden musste, eine Decke gereicht bekam und anschließend von einem bewaffneten Posten bewacht wurde. Aufgrund einer Lungenentzündung wurde er zunächst in das Haftkrankenhaus Bützow überstellt, bevor er seine Haft in Bautzen antreten konnte. Diese musste er aber nicht bis zum Ende durchstehen, denn im Juni 1989 wurde er kurzfristig ins damalige Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) verlegt und von dort in die BRD abgeschoben.

Von Ronny fehlt, seitdem ihn sein Bruder aus den Augen verlor, jede Spur. Aus den Rapporten der 6. Grenzbrigade Küste (GBK) geht hervor, dass eine umfangreiche Suchaktion nach ihm gestartet wurde, an der zeitweise fünf Schiffe, ein Boot und zwei Helikopter beteiligt waren. Diese Suchaktion verlief jedoch ergebnislos. In denselben Unterlagen findet sich die Notiz, Ronny sei kurzzeitig mit dem Rücken nach oben treibend gesehen worden. Dies glaubte sein Bruder nicht. Für ihn war wahrscheinlich, dass sich Ronny heftig gewehrt haben dürfte, denn er sei ein 1,80 m großer und durchtrainierter Mann gewesen, der durch nichts kleinzukriegen gewesen sei. Seine Mutter wird dies später gegenüber der ZERV nicht bestätigen: Ronny sei kein besonders ambitionierter Schwimmer gewesen und seine Gesundheit habe sich zu dem Zeitpunkt nicht in einem guten Zustand befunden. Wirklich fragwürdig ist die Notiz im Rapport der 6. GBK, sein Bruder habe ausgesagt, dass Ronny in Lederjacke und Badehose geschwommen sei, gefolgt von dem Hinweis, dass man derart bekleidet bei 15° C Wassertemperatur nur etwa 2 Stunden und 15 Minuten überleben würde. Dies widerspricht nicht nur den Aussagen von Ronnys Bruder gegenüber der ZERV, sondern auch einem vorhergehenden Rapport der 6. GBK, nachdem die beiden mit Nassanzügen bekleidet abgelandet seien.

Die ZERV stellt das Ermittlungsverfahren im April 1994 ein. Dafür sprach den Ermittlern zufolge, dass Ronny Zwick in allen Unterlagen der DDR-Behörden als auf See vermisst geführt und deswegen auch das Ermittlungsverfahren eingestellt wurde. Selbst wenn es gewaltsame Festnahmeversuche gegeben haben sollte, sei davon auszugehen, dass die Handelnden im Vertrauen auf die Rechtsgültigkeit ihrer Befehle handelten.

Ronny Zwicks Leiche ist bis heute verschollen und die Frage, ob jemand die Verantwortung für seinen Tod trägt, wird sich nicht mehr aufklären lassen. Seine Mutter hatte bis 1992 keinerlei Informationen zum Verbleib ihres Sohnes erhalten. Als sie unmittelbar nach dessen Tod beim Volkspolizeikreisamt nachfragte, sagte man ihr: „Ihr Sohn ist abgesoffen und [sein Bruder] hat ihn auf dem Gewissen.“


Biografie von Ronny Zwick, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/364-ronny-zwick/, Letzter Zugriff: 20.04.2024