Eiserner Vorhang. Tödliche Fluchten und Rechtsbeugung
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Biografisches Handbuch
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Ludwig Brandl

geboren am 10. September 1914 in Ottenzell (Kreis Kötzting, Oberpflalz) | erschossen am 12. August 1948 | Hamry u Nýrska (ČSR) im Böhmerwald

Quelle: Archiv bezpečnostních složek (ABS)

Mit seinem Bruder Josef und seiner Schwester machte sich der 33jährige Ludwig Brandl aus Ottenzell in Bayern auf den Weg über die tschechische Grenz in den Böhmerwald, um dort Heidelbeeren zu sammeln. Ludwig Brandl kehrte von dem Ausflug nicht mehr zurück.

Der im bayerischen Ottenzell geborene Ludwig Brandl war Arbeiter. Er lebte mit seiner Frau Therese Rodewald auch nach dem Krieg in diesem Ort, der damals zum Kreis Kötzting gehörte. Die durch das Deutsche Reich 1938 erzwungene Angliederung des Sudetenlandes beseitigte auch die frühere Grenze zur Tschechoslowakei im Böhmerwald. Nach Kriegsende wurde diese Grenze wiederhergestellt und die ehemaligen Grenzübergänge seitens der ČSR geschlossen. Die Einheimischen der Region passierten jedoch weiterhin die Grenze, um sich Lebensmittel und Dinge des täglichen Bedarfs zu besorgen. Auch Schmuggel und Bandenkriminalität gehörten zum damaligen Alltag in der Grenzregion. Die tschechischen Sicherheitsbehörden registrierten im Sommer 1948 zahlreiche illegale Grenzüberquerungen von Deutschen, die in der Gegend von Hamry Blaubeeren pflückten. Es kam dort allerdings auch zu Rinder- und Pferdediebstählen. So wurden in der Umgebung von Nýrsko 6 Zugpferde und 19 Rinder gestohlen und über die bayerische Grenze nach Deutschland geschafft.

Am 12. August 1948 befand sich der 17jährige rumänische Einwanderer Štepan Lingulár, der als Kutscher der ŠHPD (Vereinigung der tschechischen Landwirte) in Hamry u Nýrska beschäftigt war, auf dem Weg in das ehemalige deutsche Dorf Hinterhäuser, das nun Zadní Chalupy hieß, um Stroh zu holen. Das Dorf lag im Grenzgebiet und war auf behördliche Anweisung von seinen Einwohnern verlassen worden. Lingulár sollte bei der Gelegenheit die Umzugskisten der deutschen Übersiedlerin Klara Treml aus der nahe gelegenen Muckenmühle mitnehmen. Klara Treml und ihre Mutter Maria waren bereits im Juni 1948 ins Landesinnere abgeschoben worden, sie durften jedoch zur Abholung ihrer Habseligkeiten ins Grenzgebiet zurückkehren.

Beim Aufladen des Umzugsgutes kam gegen 12.45 Uhr ein Deutscher hinzu, den Klara Treml um Hilfe bat. Den tschechischen Ermittlungsunterlagen ist zu entnehmen, dass dieser Mann eine Kiste absichtlich auf das Bein des jungen Kutschers fallen ließ, ihn sodann tätlich angriff und niederschlug. Danach habe er das Pferd aus dem Geschirr abgehalftert und sei in Richtung der Grenze davongeritten. Sodann seien nach Angaben des Kutschers Lingulár sechs deutsche Männer aus einem nahegelegenen Wald herbeigeeilt, die Körbe mit Blaubeeren bei sich hatten und zum Teil mit Maschinenpistolen bewaffnet waren. Auch diese Männer hätten auf ihn eingeschlagen, bevor sie sich in den Wald zurückzogen.

Lingulár meldete den Überfall der Kommandantur des Nationalen Sicherheitskorps (SNB) in Nýrsko, woraufhin durch den dortigen Befehlshaber Oberleutnant Karel Kadlec SNB-Einheiten in die Gegend des Tatorts beordert wurden. Auch Kadlec selbst begab sich in das Grenzgebiet. Dort nahmen SNB-Streifen im Wald bei dem Einzelgehöft „Buchar“, etwa 2 km von der tschechoslowakischen Grenze entfernt, nacheinander insgesamt 13 Deutsche fest, die Blaubeeren sammelten. Darunter befanden sich auch die beiden Brüder Brandl und ihre Schwester. Unmittelbar nach deren Festnahme habe Ludwig Brandl die Flucht in Richtung des dichten Waldes vor der Staatsgrenze ergriffen. Die Soldaten Jan Konarosvký und Jaroslav Cerha verfolgten ihn und riefen Stůj! [Halt!] und auf Deutsch Halt! Auch sein Bruder Josef habe ihm zugerufen „Luk, bleib doch hier!“ [so in Deutsch im SNB-Protokoll]. Als der Flüchtende auf die Zurufe nicht reagierte, befahl der Kommandoführer Oberleutnant Karel Kadlec den Soldaten Konarovský und Cerha die Anwendung der Schusswaffen. Konarovskýs Schuss traf um 14.05 Uhr den Davonlaufenden. Ludwig Brandl starb auf der Stelle an einem Herztreffer.


Behelfsausweis
Quelle: Archiv bezpečnostních složek (ABS)

Kennkarte
Quelle: Archiv bezpečnostních složek (ABS)

Lageplan der tscheschichen Sicherheitskräfte
Quelle: Archiv bezpečnostních složek (ABS)



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Behelfsausweis

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Lageplan der tscheschichen Sicherheitskräfte

Quelle: Archiv bezpečnostních složek (ABS)

Die festgenommenen Deutschen wurden zur Untersuchungshaft nach Klatovy gebracht. Die bayerische Polizei ermittelte noch am gleichen Tag den Pferdedieb. Es handelte sich um den 1924 in Dešenice, Kreis Klatovy, geborenen Alois Geiger, der nach der Vertreibung im bayerischen Landkreis Kötzting wohnte. Durch Absprachen zwischen der bayerischen Polizei und dem SNB-Kommando in Klatovy kam es zur Rückgabe des gestohlenen Pferdes und im Gegenzug zur Freilassung der 12 deutschen Untersuchungshäftlinge. Ludwig Brandls Leichnam wurde nach der Autopsie am 13. August 1948 auf dem Pfarrfriedhof von Hamry zur letzten Ruhe gebettet. Es ist nicht überliefert, ob seine Familienangehörigen aus dem nur 16 km entfernten oberpfälzischen Ottenzell an der Beisetzung teilnehmen durften.

Die tschechische Polizeibehörde für die Dokumentation und Untersuchung der Verbrechen des Kommunismus (ÚDV) befasste sich im Jahr 2003 mit dem Todesfall Ludwig Brandls. Da jedoch sowohl der damalige Kommandoführer Oberleutnant Karel Kadlec wie auch der Todesschütze Jan Konarovský bereits verstorben waren, kam es zu keiner Strafverfolgung.

Autor:
jos.
Recherche:
MZ, jk, AH, MP, LB
Quellen:
  • ABS, f. Různé bezpečnostní spisy po r. 1945 (304), sign. 175-2, Sbor národní bezpečnosti, okresní velitelství Klatovy – Zpravodajství správní, 18. 8. 1948.
  • Bericht der SNB-Abteilung 8186, Einheitsnummer 5.181/48 vom 23.8.1948 mit den betreffenden Protokollen und Berichten der SNB-Abteilung Hamry, Einheitsnummer 1156/48 vom 18.8.1948. ABS Kanice, fond PS, použití zbraně, kt. 114, rok 1948.
  • Präsidium der Bayerischen Landpolizei, Staatsschutz: Präsident der Landpolizei von Bayern, Freiherr von Godin: Schreiben L/I - Az.: 32 a 10 vom 24.10.1949, Handschrift: Persönlich an: Bayerns Ministerpräsidenten Dr. Hans Ehard, Bayerns Staatsminister des Innern Dr. Willi Ankermüller, seinen Staatssekretär Dr. Schwalber und die Ministerialräte Dr. Kääb und Brandl sowie an die Militärregierung für Bayern, Mister Hugunin Punkt 2). Zwischenfälle und Spannungen an der Demarkationslinie zur Sowjetischen Besatzungszone und zur CSSR, 1948-1949 BayHStA, Präsidium der Landpolizei (MInn-Pol 2), Nr. 1
  • Jirík, Václav: Šumavská odysea. Prag: 2014, S. 99-103.
  • Pulec, Martin: Organizace a cinnost ozbrojených pohranicních složek. Seznamy osob usmrcených na státní hranici. Praha 2006, S.176 [Organisation und Tätigkeit bewaffneter Grenzeinheiten. Listen der Personen, die an der Staatsgrenze getötet wurden.] Prag 2006.
  • https://www.ustrcr.cz/uvod/dokumentace-usmrcenych-statni-hranice/usmrceni-statni-hranice-portrety/brandl-ludwig/. Den Text hat Eva Palivodová verfaßt, Übersetzung aus dem tschechischen durch Ruben Höppner. Archiv bezpecnostních složek (ABS), f. Odbor politického zpravodajství (2M), sign. 11252. [Archiv des Sicherheitsdienst, f. Abteilung für politische Berichterstattung (2M, Sign. 11252.] ABS, f. Ruzné bezpecnostní spisy po r. 1945 (304), sign. 175-2, Sbor národní bezpecnosti, okresní velitelství Klatovy - Zpravodajství správní, 18. 8. 1948.
  • Zácek, Pavel; Faulenbach, Bernd; Mählert, Ulrich (Hrsg.): Die Tschechoslowakei 1945/48 bis 1989. Studien zu kommunistischer Herrschaft und Repression, Leipzig 2008, S. 147.
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Abkürzungsverzeichnis
Name
Brandl, Ludwig
Geschlecht
männlich
Geburtsdatum
10. September 1914
Geburtsort
Ottenzell
Letzter Wohnort
Ottenzell
Staat des Vorfalls
Tschechoslowakei
Region des Vorfalls
Böhmerwald
Ort des Vorfalls
bei Hamry u Nýrska, Plzeňský kraj (Pilsen)
Leichenfundort
Böhmerwald
Todesursache
Schusswaffen
Datum des Vorfalls
12. August 1948
Todesalter
33
Teilprojekt
verbündete Ostblockstaaten
Fallgruppe
Todesfälle nach Festnahmen
Personengruppe
Zivilisten / Bundesrepublik
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