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Biografisches Handbuch

Thorsten Schallau

geboren am 10. Januar 1967 in Berlin | vermutlich zwischen dem 10. und 11. November 1988 in der Ostsee ertrunken (verschollen) | Ort des Vorfalls: Ostsee
Thorsten Schallau ist vermutlich beim Versuch, am 10. November 1988 mit drei Freunden zusammen von Heiligendamm aus mit dem Faltboot nach Fehmarn zu gelangen, ums Leben gekommen. Er gilt als vermisst, seine Leiche wurde nie gefunden.

Thorsten Schallau wurde am 10. Januar 1967 in Berlin geboren. Er hatte eine zwei Jahre ältere Schwester, die Eltern ließen sich später scheiden. Thorsten machte eine Ausbildung zum Maschinen- und Anlagenmonteur. Mit 18 Jahren wurde er Vater einer Tochter. Die Beziehung zu seiner damaligen Freundin zerbrach aber und Thorsten zog zurück in die Wohnung seiner Mutter. Von Frühjahr 1987 bis Herbst 1988 leistete er seinen Grundwehrdienst in der NVA ab: Er war in Bad Freienwalde als Kraftfahrer in einer Raketeneinheit tätig.

Mit seinem Schulfreund Dirk Glienke verbrachte er häufig Zeit am Zeuthener See, südöstlich von Berlin, wo Dirk ein Boot und einen Bootsstand besaß. Gemeinsam mit zwei weiteren Freunden verbrachten sie die Pfingsttage 1988 dort. Im Spätsommer des Jahres verfestigte sich bei den vier jungen Männern die Idee, die DDR auf illegalem Wege zu verlassen. Sie hofften darauf, im Westen ein besseres Leben führen zu können, Neues kennenzulernen, zu Reisen, Abenteuer zu erleben. Im Sommer 1988 war Thorstens ehemalige Freundin und Mutter seiner Tochter über die Spree in den Westen von Berlin geflohen. Die Gruppe um Schallau und Glienke hatte zunächst ähnliche Pläne, rechnete aber nach dieser erfolgreichen Flucht mit verstärkten Grenzsicherungsmaßnahmen an der Berliner Mauer. Die zu dieser Zeit mehrfach im West-Fernsehen gesendeten Berichte über geglückte Grenzübertritte über die Ostsee brachten die Freunde darauf, alternativ diesen Weg zu wählen.

Im September 1988 fassten sie zu viert in Dirk Glienkes Wohnung den Plan, mit Paddelbooten auf die Insel Fehmarn zu gelangen. Thorsten wollte bis Ende Oktober seine Armeezeit zu Ende bringen, um im Falle einer Festnahme nicht zusätzlich wegen Fahnenflucht juristisch belangt zu werden. Zudem wollten sie noch einige Vorbereitungen treffen. Als Hilfsmittel für die Flucht beschafften sie sich zwei Faltboote des Typs Kolibri, die für jeweils zwei Personen ausgelegt waren, dazu vier Paddel, zwei Spritzdecken und Gummibälle, um das Sinken der Boote zu verhindern. Zwei Kompasse befanden sich bereits im Repertoire von Dirk Glienke. Taucheranzüge sollten sie vor Kälte und Nässe schützen, jedoch konnten nur Dirk und ein weiterer aus der Gruppe diese käuflich erwerben. Thorsten bekam von Dirk einen orangefarbenen Wetteranzug geliehen, den er mit blauer Schuhfarbe aus einer Sprayflasche einfärbte. Der vierte Freund besorgte sich einen gebrauchten Motorradanzug. Dirk war der einzige Versierte im Umgang mit Booten, die anderen Drei hatten keine wesentliche Vorerfahrung im Paddeln und Navigieren. Eine Probefahrt hielten die jungen Männer dennoch nicht für notwendig, lediglich den Aufbau der Boote probten sie mehrfach in Thorstens Wohnung.

Als Fluchttermin wurde schließlich Mittwoch, der 9. November 1988, vereinbart. Sie vermuteten, an einem Wochentag weniger Aufsehen zu erregen als am Wochenende. Einen geeigneten Ort für die Ablandung hatte die Gruppe bereits Wochen zuvor in Heiligendamm ausgekundschaftet. Die ausgewählte Stelle lag in einem Wald am westlichen Rand des mecklenburgischen Küstenortes, nur 20 m vom Wasser entfernt. Der Reiseplan sah vor, dass drei Personen – unter ihnen Thorsten und Dirk – mit der Bahn fuhren. Als Gepäck hatten sie Reisetaschen mit den Taucheranzügen und ihren persönlichen Unterlagen dabei, die sie in Plastiktüten verpackt hatten. Der vierte Mann transportierte mit dem Wartburg seines Bruders die beiden Faltboote an die Küste. Gegen 17 Uhr trafen sie in Heiligendamm ein und begaben sich sogleich zu der Stelle, die für die Ablandung vorgesehen war. Allerdings hielten sich hier inzwischen Grenzposten auf und so beschloss die Gruppe, ihr Fluchtvorhaben nicht mehr an diesem Tag umzusetzen. Zwei von ihnen versteckten die Boote, danach aßen sie gemeinsam in einer Gaststätte an der Strandpromenade.

Im Haus „Max Planck“ buchten die Freunde anschließend zwei Zimmer für eine Nacht. Wie sich herausstellte gab es direkt neben dem Hotel eine mit Büschen bewachsene Stelle, die sie für günstig befanden und als Ausweichmöglichkeit für eine Ablandung auswählten. Am nächsten Morgen, dem 10. November, buchten sie aus der Notwendigkeit heraus, ihr Gepäck weiterhin unterstellen zu können, die beiden Hotelzimmer für eine weitere Nacht. Tagsüber erkundeten sie nochmals geeignete Ablandestellen in der Gegend um Boltenhagen herum, entschieden sich jedoch dafür, in Heiligendamm zu bleiben. Gegen 17 Uhr begannen sie dann mit den Vorbereitungen. Inzwischen war der Bruder des einen eingetroffen, um sein Auto abzuholen. Zwei aus der Gruppe holten die Boote aus dem Versteck, die anderen Zwei beobachteten die Stelle neben dem Hotel, da sie hier einige Stunden zuvor ebenfalls Grenzsoldaten gesichtet hatten. In dem Gebüsch bauten sie dann die Boote auf und gingen danach ins Hotelzimmer, um sich umzuziehen. Gegen 22 Uhr waren alle Vorbereitungen abgeschlossen.

Als der Scheinwerfer der Grenztruppen, der alle 20 Minuten für ca. zwei Minuten eingeschaltet wurde, erlosch, sprangen sie auf und trugen die Boote ins Wasser. Thorsten und Dirk gingen als eine Besatzung voran, die anderen beiden folgten im zweiten Boot. Bereits nach kurzer Zeit verloren sie aufgrund der Dunkelheit jeglichen Kontakt zueinander. Der Besatzung des zweiten Bootes war zudem kurz nach dem Start der Kompass verloren gegangen. Ohne Orientierung paddelten sie weiter und versuchten, sich an den Lichtern der Strandbeleuchtung und der Strömung zu orientieren. Nach vielen Stunden auf dem offenen, unruhigen Meer, das inzwischen hohe Wellen schlug, entdeckten sie einen Leuchtturm und steuerten diesen in der Hoffnung, er müsse vom Gebiet der Bundesrepublik aus seine Signale senden, an. Erschöpft erreichten beide das Festland, liefen landeinwärts und trafen nach kurzer Zeit auf Grenzsoldaten der DDR. Ihre Festnahme erfolgte am 11. November 1988 gegen sechs Uhr morgens in Kühlungsborn, nur wenige Kilometer westlich von Heiligendamm.

Die Suchmaßnahmen nach dem anderen Boot und dessen Insassen, die kurz darauf von der 6. Grenzbrigade Küste eingeleitet worden waren und bis zum Abend andauerten, blieben ohne Erfolg. Am 14. November wurde das stark beschädigte Faltboot von Thorsten und Dirk am Strand von Graal-Müritz von einem Zivilisten entdeckt. Darin befand sich die Jeans und der Personalausweis von Dirk Glienke. Dessen Leiche, bekleidet mit Neoprenanzug und Turnschuhen, wurde am Tag darauf am Strand von Rerik aufgefunden.

Die beiden Überlebenden wurden im Februar 1989 zu 25 Monaten Freiheitsentzug verurteilt.

Thorsten Schallaus Schicksal hingegen bleibt ungeklärt. Er gilt bis heute als vermisst, seine Leiche wurde nie gefunden.


Biografie von Thorsten Schallau, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/344-thorsten-schallau/, Letzter Zugriff: 29.03.2024