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Biografisches Handbuch

Jan Straßburg

geboren am 23. Dezember 1969 in Halle (Saale) | Suizid nach gescheiterter Fahnenflucht am 21. Juli 1989 | Ort des Vorfalls: Offiziershochschule „Ernst Thälmann“ Löbau (Sachsen)
BildunterschriftJan Straßburg
BildbeschreibungAufgenommen von seinem Großvater, der Hobbyfotograf war.
Bildquelleprivat
Quelle: privat
Nach einer gescheiterten Fahnenflucht nahm sich Jan Straßburg in einer Arrestzelle der Offiziershochschule Löbau das Leben.

Er sei ein sportlicher, freundlicher, wissbegieriger junger Mann gewesen, der wegen seiner humorvollen, offenen Art beliebt war, beschreibt eine damalige Freundin Jan Straßburg im Mai 2022. Straßburg wuchs in Halle (Saale) auf, seine Mutter war Zahnarzthelferin, sein Vater Konstrukteur in einem Baubetrieb. Sein Elternhaus war religiös geprägt, auch Jan Straßburg sang im Gemeinde- und Jugendchor seiner Kirche mit und engagierte sich in der Seniorenarbeit. Während seiner Ausbildung zum Elektromonteur sei er oft nachdenklich gewesen – wie viele andere Jugendliche in der Endzeit der DDR stieß er sich mit seinem Wunsch nach persönlicher Freiheit am DDR-Alltag und seinen fremdbestimmten Lebensperspektiven, zuweilen äußerte er Fluchtgedanken. Dennoch begann er am 1. September 1988 seinen Wehrdienst an einer Hochschulreifeeinrichtung in Zwickau, wo er auf die Abiturprüfungen vorbereitet werden sollte, um anschließend eine Laufbahn als Berufsoffizier einzuschlagen. Am 30. Januar 1989 erbat er jedoch seine Entpflichtung und begründete diese mit seiner religiösen Einstellung. Er wurde daraufhin exmatrikuliert und versah vom 4. April 1989 an seinen Grundwehrdienst als Soldat im Bataillon Materielle Sicherstellung an der Offiziershochschule „Ernst Thälmann“ in Löbau.

Am 6. April 1989 leitete der Staatssicherheitsdienst eine operative Personenkontrolle gegen Jan Straßburg ein. Die Einleitung der OPK „Republikaner“ begründete das MfS mit Sympathiebekundungen für die gleichnamige bundesdeutsche Partei und Absichten zur Fahnenflucht, die durch Inoffizielle Mitarbeiter in Straßburgs Einheit zugetragen wurden. Schon in seiner Jugend hatte er das Gespräch mit älteren Menschen gesucht, die den Zweiten Weltkrieg miterlebt hatten, und las Kriegsliteratur. Freunde nahmen dies als Interesse für die Geschichte wahr, für das MfS wurde er hingegen einer „verfestigten Position neofaschist. Charakters“ und der „Verherrlichung des Faschismus“ verdächtig.

Nachdem am 27. Juni 1989 die Außenminister Ungarns und Österreichs vor laufenden Kameras ein Loch in den Grenzzaun zwischen ihren Ländern schnitten, wollte Jan Straßburg seine Fluchtabsichten verwirklichen. Der 20-jährige Unteroffizier Bert R. schloss sich ihm an. R. sollte einen Monat später im Militärgefängnis Schwedt eine Haftstrafe wegen unerlaubten Fernbleibens vom Dienst antreten. Am Vormittag des 21. Juli 1989 beobachtete ein Offizier, wie Jan Straßburg mit einer Reisetasche und einen Beutel aus dem Zimmer des Unteroffiziers Bert R. das Kasernengelände verlassen wollte. Der Offizier war im Rahmen des „operativen Zusammenwirkens“ mit dem MfS beauftragt, ein besonderes Augenmerk auf Straßburg zu richten. Als er den Soldaten aufhielt und die mitgeführte Tasche kontrollierte, entdeckte er darin unter anderem Zivilkleidung und persönliche Sachen von Bert R. Auf Befragen gestand Straßburg, dass er gemeinsam mit R. über die ČSSR, Ungarn und Österreich in die Bundesrepublik flüchten wollte. Seine eigenen Sachen hatte er bereits in einem vor dem Kasernengelände parkenden „Polski Fiat“ des Gefreiten der Reserve Detlev O. verstaut. Detlef O. leistete seinen Reservedient als Kraftfahrer an der Offiziershochschule. Er hatte sich bereit erklärt, Jan Straßburg und Bert R. an die ČSSR-Grenze zu bringen.

Der Bataillonskommandeur verhängte gegen Jan Straßburg und Bert R. zunächst eine zehntägige Arretierung. Anschließend sollten sie der Untersuchungsabteilung des MfS überstellt werden. Doch es kam anders. Als ein Wachhabender gegen 15.00 Uhr die Tür der Arrestzelle von Jan Straßburg öffnete, lebte der 19-Jährige nicht mehr. Er hatte sich mit einem abgerissenen Streifen einer Wolldecke erhängt. Zuvor hatte er auf Verlangen seiner Vorgesetzten eine „Stellungnahme zum Sachverhalt“ verfasst. Seinen Fluchtversuch erklärt er darin mit „jugendlichem Leichtsinn“ und „Unerfahrenheit“. Die Stellungnahme enthält Formulierungen, die als freimütiges Bekenntnis zu einer rechtsradikalen Gesinnung verstanden werden können. Es bleibt unbekannt, unter welchen Umständen Jan Straßburg diese Aussagen niederschrieb und ob er möglicherweise dazu gedrängt wurde, seine Stellungnahme so zu formulieren, dass sie mit dem Persönlichkeitsprofil aus der OPK „Republikaner“ des MfS übereinstimmte. Er betonte in seiner Stellungnahme ausdrücklich, „daß ich keinerlei Hetze gegen Ausländer öffentlich äußerte oder nationalistische Parolen in der Öffentlichkeit aussprach“.

Auf Wunsch der Eltern wurde Jan Straßburg in Halle beerdigt.


Biografie von Jan Straßburg, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/322-jan-strassburg/, Letzter Zugriff: 29.03.2024