Eiserner Vorhang. Tödliche Fluchten und Rechtsbeugung
  • Startseite
  • Kontakt
  • Impressum
  • Datenschutz
Biografisches Handbuch
Alle Biografien

Lilli Gruner

Geboren am 7. Oktober 1941 in Wismar | ertrunken in der Nacht vom 28. auf den 29. August 1962 in der Ostsee | Ort des Vorfalls: Ostsee zwischen dem Küstengebiet bei Elmenhorst und Pelzerhaken

Quelle: Privatarchiv Anita Krätzner-Ebert

Die Studentin Lilli Gruner versuchte gemeinsam mit ihrem Bruder Peter Ende August 1962 mit einem Schlauchboot von Elmenhorst aus über die Ostsee in die Bundesrepublik zu fliehen. Am 3. September fand man ihre Leiche treibend im Wasser vor Pelzerhaken.

Lilli Gruner wurde am 7. Oktober 1941 in Wismar als jüngstes von vier Geschwisterkindern geboren. Der Vater starb, als sie 13 Jahre alt war. Die ruhige, zurückhaltende Lilli hatte ein enges Verhältnis zur älteren Schwester Maria, die als Sonderschullehrerin in Wismar arbeitete. Ihr ältester Bruder Fritz lebte nach seiner Flucht in die Bundesrepublik in Nürnberg. Mit Peter, der vier Jahre älter war als Lilli, wagte sie im Sommer 1962 gemeinsam die Flucht über die Ostsee.

Lilli wollte nach dem Schulabschluss ein Psychologiestudium aufnehmen, erhielt aber nicht den gewünschten Studienplatz. Stattdessen begann sie 1961 das Lehrerstudium für Deutsch und Körpererziehung in Rostock. In Warnemünde war sie in den Sommern als Rettungsschwimmerin tätig.

Lilli Gruner bei ihrer Arbeit als Rettungsschwimmerin.
Lilli Gruner bei ihrer Arbeit als Rettungsschwimmerin.
Quelle: Privatarchiv Anita Krätzner-Ebert

Auch ihr Bruder Peter studierte in Rostock, und zwar Medizin. Mit zwei Studienfreunden reiste er im Sommer 1961 durch die Bundesrepublik. Obwohl alle drei nach dem Mauerbau in die DDR zurückkehrten, wurde ihnen – und auch Lilli – die Reise zum Verhängnis. Einer der Studienfreunde floh Ende März 1962 in den Westen, der andere kurze Zeit später. Nun gerieten Peter und auch Lilli selbst ins Visier der Staatssicherheit. Im Mai 1962 wurden beide verhaftet und während der Untersuchungshaft in Rostock verhört. Es wurde massiver Druck auf sie ausgeübt, wodurch sich ihr Entschluss verstärkte, ebenfalls zu fliehen. Für Lilli und Peter stand dabei fest, dass sie diesen Schritt nicht ohne den anderen gehen würden – keiner wollte, dass der eine durch die Flucht des anderen in noch größere Schwierigkeiten gerät.

Lilli meldete sich im August 1962 freiwillig zum Ernteeinsatz in Elmenhorst im Kreis Grevesmühlen. Bis in die Bundesrepublik Deutschland war es von hier aus nicht weit. Sie beobachtete Nacht um Nacht aus einem Versteck heraus das Meer und bemerkte den regen Fährverkehr vor der Küste.

Lilli Gruner 1962 beim Ernteeinsatz in Elmenhorst.
Lilli Gruner 1962 beim Ernteeinsatz in Elmenhorst.
Quelle: Privatarchiv Anita Krätzner-Ebert

Die beiden Geschwister wollten versuchen, von einem dieser Schiffe in den Westen mitgenommen zu werden. Als Hilfsmittel über das Wasser diente ihnen lediglich ein altes, geflicktes Schlauchboot. Am 28. August 1962, einem Dienstagabend, machten sich die 20-jährige Lilli und der 25-jährige Peter auf den Weg. Es war bedeckt und regnerisch, aber warm. Die Ostsee hatte noch eine Temperatur von 15 Grad. Doch das Wetter schlug um, es kamen starke Winde auf. Für eine Fahrt auf stürmischer See war das lädierte Schlauchboot nicht gerüstet. Auch die Schwimmweste, die sich Lilli umgebunden hatte, konnte sie nicht vor dem Ertrinkungstod retten.

Am 5. September verhörte die Volkspolizei die Mutter und Schwester Maria, nachdem das Verschwinden von Lilli in Elmenhorst bemerkt und gemeldet worden war. In größter Sorge um den Verbleib der beiden Kinder schrieb die Mutter ihrer in Hamburg lebenden Schwester einen Brief. Diese übermittelte wenige Tage später die traurige Nachricht nach Wismar, dass am 4. September in den Lübecker Nachrichten vom Leichenfund einer jungen Frau berichtet worden war.

Lilli Gruner wurde am 3. September 1962 vor Pelzerhaken treibend im Wasser gefunden. Ihr Gesicht war vermutlich in eine Schiffsschraube geraten und dadurch entstellt. Beerdigt wurde sie zunächst in Lübeck als „unbekannte Tote“.

Grab von Lilli Gruner in Lübeck, in dem sie als unbekannte Leiche beigesetzt wurde.
Grab von Lilli Gruner in Lübeck, in dem sie als unbekannte Leiche beigesetzt wurde.
Quelle: Privatarchiv Anita Krätzner-Ebert

Nach der Identifizierung mithilfe des Zahnabdrucks, den ihr Wismarer Zahnarzt zur Verfügung stellte, konnte ihr Leichnam in die DDR überführt und in ihrer Heimatstadt Wismar bestattet werden. Die Leiche von Peter Gruner wurde nie gefunden. Als Sterbedatum ist bei beiden der 28. August 1962 vermerkt – der Dienstag, an dem sie sich mit einem Schlauchboot ins Wasser der Ostsee begaben.

Autorin:
JeLi
Recherche:
JeLi, MePe, HeHo, MP
Quellen:
  • MdI, Stab, Rapport Nr. 272 für die Zeit vom 28.9.1962 bis zum 29.9.1962: Lage an der Staatsgrenze Küste – Grenzdurchbruch. SAPMO-BArch, DO 1/2.3/4151.
  • Standesamt Wismar: Geburtsregistereintrag Nr. 665/1941.
  • Standesamt Lübeck-Travemünde: Sterberegistereintrag Nr. 234/1962. Stadtarchiv Lübeck.
  • Krätzner, Anita: Verraten, verhaftet, vermisst. Das Schicksal der Rostocker Studenten Lilli und Peter Gruner nach dem Mauerbau. (Diktaturen in Deutschland; Bd. 8) Rostock 2011.
  • Heinz, Michael; Krätzner, Anita: Verurteilt wegen „staatsgefährdender Hetze“ – Reaktionen auf den Mauerbau im Bezirk Rostock. Online unter: https://www.bstu.de/assets/bstu/de/Downloads/staatsfeindliche-hetze_rostock.pdf (zuletzt aufgerufen am 22.12.2020).
Druckversion
Abkürzungsverzeichnis
Name
Gruner, Lilli
Geschlecht
weiblich
Geburtsdatum
7. Oktober 1941
Geburtsort
Wismar
Letzter Wohnort
Rostock
Ort des Vorfalls
Ostsee
Leichenfundort
vor Pelzerhaken
Todesursache
Ertrinken
Datum des Vorfalls
in der Nacht vom 28. auf den 29. August 1962
Ergänzendes Datum
3. September 1962
Anmerkung
Leichenfund am 3. September 1962
Todesalter
20
Teilprojekt
Ostsee
Fallgruppe
bei Fluchtversuchen
Personengruppe
Zivilisten / DDR
Startseite Zum Projekt Kontakt Impressum Datenschutz
Freie Universität Berlin
Universität Greifswald
Universität Potsdam
Gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung