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Biografisches Handbuch

Werner Greifendorf

geboren am 30. März 1950 in Döbern | gestorben am 9. November 1978 | im Bezirkskrankenhaus Cottbus
BildunterschriftWerner Greifendorf
BildquelleStefan Appelius
Quelle: Stefan Appelius
Am 19. Oktober 1978 übergoss sich Werner Greifendorf während eines Hofgangs im Zuchthaus Cottbus mit einer brennbaren Flüssigkeit und zündete seine Häftlingskleidung an.

Werner Greifendorf kam als Sohn von Frieda und Emil Greifendorf am 30. März 1950 in Döbern auf die Welt. Er war ein gutmütiger und sehr anhänglicher Junge. Die Familie lebte mit ihren Kindern unter ärmlichen Verhältnissen in einer einer Zwei-Zimmer-Wohnung.

Emil Greifendorf soll ein aufbrausender Mensch gewesen sein. Die Ehe mit Frieda Greifendorf scheiterte. Nach der Scheidung seiner Eltern begann für den Dreijährigen eine jahrelangen Odyssee, die ihn von einem Heim ins andere führte. Er selbst erklärte später, er habe „nie ein richtiges Elternhaus kennengelernt“. Krankheiten fesselten den Jungen monatelang ans Bett und warfen ihn in der Schule zurück. Feste Freundschaften mit anderen Kindern oder Beziehungen zu Erzieherinnen kamen wegen der häufigen Heimwechsel nicht zustande.

Ende August 1967 unternahm Werner Greifendorf seinen ersten Fluchtversuch in die Bundesrepublik. Er war in der Vorweihnachtszeit in Dresden mehrerer Taschendiebstähle überführt worden, weswegen er mit einer Einweisung in einen Jugendwerkhof rechnete. Im hessischen Eschwege hoffte er bei seinem Onkel, einem Gastwirt, wohnen und arbeiten zu können. Nach dem Scheitern seines Fluchtversuchs verurteilte ihn das Kreisgericht Dresden wegen Paßvergehens in Tateinheit mit der Verletzung der Grenzschutzverordnung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten, die der Siebzehznjährige im Jugendgefängnis Luckau antrat. Nach seiner Entlassung lebte Werner Greifendorf wieder bei seiner Mutter und seinen Geschwistern in Riesa. Doch mit deren zweiten Ehemann Max Schoob verstand er sich nicht. Werner Greifendorf erhielt eine Stelle als Hilfsarbeiter bei der “Speicherei und Spedition AG Riesa”, einem alten Privatbetrieb. Wegen Eigentumsdelikten und Staatsverleumdung stand er jedoch bald wieder vor Gericht, das ihn zu einer Haftstrafe im Gefängnis Waldheim verurteilte.

Seine Haftentlassung im Frühjahr 1976 erfolgte unter schwerwiegenden Auflagen. So durfte er das Riesaer Kreisgebiet nicht ohne Genehmigung der Volkspolizei verlassen. Er musste bei dem Abschnittsbevollmächtigten der Volkspolizei, einem Inoffiziellen Mitarbeiter des MfS, als „Kontrollperson gem. § 48 StGB” zu wöchentlichen Aussprachen erscheinen. Hinzu kam, dass es ihm unter Strafandrohung verboten war, die meisten Lokale im Kreis Riesa zu betreten. Auch wurde ihm behördlicherseits durch ein „Umgangsverbot“ untersagt, etliche seiner alten Bekannten zu treffen. „Mir fehlte meine Freiheit“, hat er dazu später in einer Vernehmung erklärt: „Ich durfte nicht in Gaststätten gehen, nicht tanzen und nicht ins Theater.“ Doch seine Bitte, die Kontrollmaßnahme zumindest für das bei jungen Leuten besonders angesagte Tanzlokal „Zur Traube“ aufzuheben, blieb erfolglos.

Trotz der Überwachung verübte er erneut kleinere Eigentumsdelikte. Angesichts der drohenden Konsequenzen sah Greifendorf keine Perspektive mehr für sich in Riesa. Durch zahlreiche Eingaben und insgesamt sechs Ausreiseanträge hatte er 1975 und 1976 versucht, auf legalem Weg die DDR verlassen zu dürfen. Im März 1978 wollte er erneut die Flucht wagen. Er fuhr zu seiner Schwester nach Erlbach/Vogtland und erklärte ihr und ihrem Mann – beidewaren linientreue SED-Mitglieder ­ er wolle sich bei ihnen für ein paar Tage erholen. Doch schon nach zwei Tagen fuhr er mit dem Bus nach Bad Elster und passierte dort zu Fuß  den Grenzübergang in die ČSSR. Auf dem Weg zur bayerischen Grenze fiel er nahe der Ortschaft Krásná bei Aš einem Unterfähnrich der tschechoslowakischen Grenzwache auf, der in Zivilkleidung am Waldrand seinen Hund dressierte. Als ihn der Mann ansprach, versuchte sich Greifendorf damit herauszureden, er habe die Orientierung verloren. Der Mann glaubte ihm nicht und ließ  ihn von bewaffneten Kameraden festnehmen. Bereits einen Tag später saß Werner Greifendorf in einer Zelle des Dresdner MfS-Untersuchungsgefängnises. Bei einer Vernehmung sagte er dort aus: „Ich komme in der DDR nicht mehr zurecht! Und möchte nicht mein ganzes Leben hinter Gittern verbringen! Ich werde auch in Zukunft nichts unversucht lassen, bis ich mein Recht erlangt habe. […] Hinsichtlich des versuchten ungesetzlichen Verlassens der DDR werde ich solange straffällig werden, bis ich mein Ziel, in die BRD ausgewiesen zu werden, erreicht habe”. Er sei „kein Eigentum der DDR“ und nie sei habe ihm dieser Staat geholfen.

Am 30. Juni 1978 verurteilte ihn das Kreisgericht Dresden-Ost auf Antrag von Staatsanwalt Rößler unter dem Vorsitz von Richterin Krüger wegen „ungesetzlichem Grenzübertritt u. a.“ zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten. Zur Strafverbüßung kam er in die Strafvollzugseinrichtung Cottbus. In der Haftanstalt blieb er renitent. Am 19. Oktober 1978 übergoss er sich während eines Hofgangs mit brennbarem Verdünnungsmittel und zündete seine Häftlingskleidung an. Bevor er zusammenbrach soll er nach Aussagen von Mithäftlingen laut „Freiheit“ gerufen haben. Vier Häftlinge warfen sich auf ihn und erstickten die Flammen mit ihren Jacken. Nach seiner Einlieferung im Bezirkskrankenhaus Cottbus stellten die Ärzte lebensbedrohliche Verbrennungen bis zum 3. Grad fest. Vermutlich wollte der 28-Jährige mit seiner Aktion keinen Suizid begehen, sondern seine Ausreise in die Bundesrepublik erzwingen.

Sein jüngerer Bruder Andreas Schoob,  seine Mutter Frieda und zwei weitere Brüder fuhren mit dem Auto von Riesa zum Cottbuser Bezirkskrankenhaus. Sie wollten Werner Greifendorf dort besuchen. Doch „vor der Glasscheibe stand ein Bewacher mit einem Maschinengewehr” erinnert sich Schoob. “Sprechen konnten wir nicht mit ihm. Wir haben ihn nicht mal erkannt, er war ja von Kopf bis Fuß bandagiert.“ Werner Greifendorf erlag am 9. November 1978 seinen Verletzungen. Unter dem Vorgangsnamen „Asche“ überwachte das MfS seine Beisetzung in Riesa. Im Abschlussbericht dieser MfS-Aktion heißt es: “Die vorhandenen 3 Eingänge zum Friedhof wurden durch je 2 Mitarbeiter der KD Riesa und des Kommissariats I des VPKA Riesa abgesichert, die bei einem evtl. Auftauchen von Journalisten im Interesse der Pietät und der Achtung vor dem Toten journalistische Aktivitäten zu verhindern hatten.“

Anfang Januar 1979 berichtete die Die Welt, über den Zwischenfall im Cottbuser Gefängnis. Der Häftling habe die versuchte Selbstverbrennung überlebt. Er sei inzwischen außer Lebensgefahr und in das Haftkrankenhaus Leipzig verlegt worden. Diese Fehlinformation war die Folge einer gelungenen Desinformation von Markus Wolfs HV A-Abteilung “Aktive Maßnahmen”. Erst im Herbst 1979 meldete die Die Welt , dass Greifendorf seinen Verletzungen erlegen war. Ansonsten blieb das Ereignis in der westdeutschen Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet.

Die ehemalige Haftanstalt Cottbus ist seit 2011 eine Gedenkstätte. Anlässlich seines 35. Todestages errichtete das Menschenrechtszentrum Cottbus auf dem ehemaligen Gefängnishof ein vom Künstler Gino Kuhn gestaltetes Gedenkkreuz für Werner Greifendorf. Es steht dort, wo er sich nach Zeugenaussagen am 19. Oktober 1978 selbst angezündet hat.


Biografie von Werner Greifendorf, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/297-werner-greiffendorf/, Letzter Zugriff: 29.03.2024