Eiserner Vorhang. Tödliche Fluchten und Rechtsbeugung
  • Startseite
  • Kontakt
  • Impressum
  • Datenschutz
Biografisches Handbuch
Alle Biografien

Werner Greiffendorf

Geboren am 30. März 1950 in Döbern | gestorben am 9. November 1978 | Bezirkskrankenhaus Cottbus

Quelle: Stefan Appelius

Am 19. Oktober 1978 übergoss sich Werner Greiffendorf während eines Hofgangs im Zuchthaus Cottbus mit einer brennbaren Flüssigkeit und zündete seine Häftlingskleidung an.

Werner Greiffendorf war ein gutmütiger und sehr anhänglicher Junge. Was ihn nicht davor schützte, nach der Scheidung seiner Eltern mit gerade drei Jahren in einem Kinderheim zu landen.

Kindheit


Werner Greiffendorf in der Kindheit
Quelle: Privat / Stefan Appelius

Werner Greiffendorff als Kind mit seiner Mutter
Quelle: Privat / Stefan Appelius



Previous



Next

  • Werner Greiffendorf in der Kindheit>
  • Werner Greiffendorff als Kind mit seiner Mutter>

Werner Greiffendorf in der Kindheit

Quelle: Familie

Werner Greiffendorff als Kind mit seiner Mutter

Quelle: Privat / Stefan Appelius

Es war der Beginn einer jahrelangen Odyssee, die ihn von einem Heim ins andere führte. Krankheiten, die den Jungen monatelang ans Bett fesselten und in der Schule hoffnungslos zurückwarfen, häufig wechselnde Bezugspersonen – Werner Greiffendorf selbst erklärte später, er habe „nie ein richtiges Elternhaus kennengelernt“.

Die Frage, wie es Ende August 1967 zu seinem ersten Fluchtversuch in die Bundesrepublik kam, ist nicht leicht zu beantworten. Entstand der Fluchtplan, weil man den Jugendlichen in Dresden in der Vorweihnachtszeit wegen mehrerer Taschendiebstähle überführt hatte und zur Strafe für zwei Jahre in einen Jugendwerkhof schicken wollte? Oder hatte er die Eigentumsdelikte nur begangen, um es sich vor der Einlieferung in den Jugendwerkhof noch einmal gutgehen zu lassen? Sicher ist nur: Werner Greiffendorf wollte in jenem Sommer erstmals auf die andere Seite des Eisernen Vorhangs, zu einem Onkel, einem Gastwirt im hessischen Eschwege. Er selbst erklärte in einer Vernehmung: „Ich wollte drüben bei meinem Onkel wohnen und arbeiten. Weil ich hier nichts werden kann, wollte ich weg.” Das Kreisgericht Dresden (Stadtbezirk Ost) sprach Greiffendorf des Paßvergehens in Tateinheit mit Verletzung der Grenzschutzverordnung für schuldig und verurteilte den damals Siebzehnjährigen zu einer Haftstrafe von einem Jahr und acht Monaten im Jugendgefängnis Luckau. Nach seiner Entlassung lebte Werner Greiffendorf mit seiner Mutter und seinen Geschwistern in Riesa. Er arbeitete als Lagerist der “Speicherei und Spedition AG Riesa”, einem alten Privatbetrieb. Wegen Eigentumsdelikten und Staatsverleumdung kam er bald wieder vor Gericht und zur Strafverbüßung in das Zuchthaus Waldheim.

Im Frühjahr 1976 wurde er aus der Haft mit schwerwiegenden Auflagen entlassen. Die gegen ihn verhängten staatlichen Kontrollmaßnahmen sahen vor, dass er das Riesaer Kreisgebiet nicht ohne Genehmigung der Volkspolizei verlassen durfte. Bei dem Abschnittsbevollmächtigten der Volkspolizei, der zugleich inoffiziell für das MfS arbeitete, hatte er als „Kontrollperson gem. § 48 StGB” zu wöchentlichen Aussprachen zu erscheinen. Hinzu kam, dass es ihm unter Strafandrohung verboten war, die meisten Lokale im Kreis Riesa zu betreten. Auch wurde ihm behördlicherseits durch ein „Umgangsverbot“ untersagt, etliche seiner alten Bekannten zu treffen. „Mir fehlte meine Freiheit“, hat er dazu später in einer Vernehmung erklärt: „Ich durfte nicht in Gaststätten gehen, nicht tanzen und nicht ins Theater.“ Doch seine Bitte, die Kontrollmaßnahme zumindest für das bei jungen Leuten besonders angesagte Tanzlokal, die „Traube“, aufzuheben, blieb ungehört.

Trotz der Überwachung verübte er erneut kleinere Eigentumsdelikte. Angesichts der drohenden Konsequenzen sah Greiffendorf keine Perspektive mehr für sich in Riesa. Zuvor hatte er bereits durch zahlreiche Eingaben und insgesamt sechs Ausreiseanträge versucht, auf legalem Weg die DDR zu verlassen. Nun wollte er erneut die Flucht wagen. Er fuhr zu seiner Schwester nach Erlbach ins Vogtland und erklärte ihr und ihrem Mann, die beide überzeugte SED-Anhänger waren, er wolle sich bei ihnen für ein paar Tage erholen. Doch schon nach zwei Tagen verschwand er spurlos aus Erlbach. Mit dem Bus war er nach Bad Elster gefahren und hatte dort den Grenzübergang in die ČSSR passiert. Auf dem Weg zur tschechoslowakisch-bayerischen Grenze fiel er bei einem Waldstück nahe der Ortschaft Krásná bei Asch einem Grenzsoldaten auf, der in Zivilkleidung am Waldrand seinen Hund dressierte. Greiffendorf versuchte sich damit herauszureden, er habe die Orientierung verloren. Der Mann glaubte ihm nicht und rief  bewaffnete Kameraden herbei. Bereits einen Tag später saß Werner Greiffendorf in einer Zelle der Dresdner MfS-Zentrale. „Ich komme in der DDR nicht mehr zurecht! Und möchte nicht mein ganzes Leben hinter Gittern verbringen! Ich werde auch in Zukunft nichts unversucht lassen, bis ich mein Recht erlangt habe. […] Hinsichtlich des versuchten ungesetzlichen Verlassens der DDR werde ich solange straffällig werden, bis ich mein Ziel, in die BRD ausgewiesen zu werden, erreicht habe”, heißt es in einem MfS-Vernehmungsprotokoll.

Drei Wochen nach seiner Verhaftung verurteilte ihn das Kreisgericht Dresden-Ost auf Antrag von Staatsanwalt Rößler unter dem Vorsitz von Richterin Krüger wegen „Republikflucht“ zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten. Zur Verbüßung der Strafe kam er in die Strafvollzugseinrichtung nach Cottbus. In der Haftanstalt blieb er renitent. Am 19. Oktober 1978 übergoss er sich während eines Hofgangs im Gefängnis Cottbus mit einer brennbaren Flüssigkeit und zündete seine Häftlingskleidung an. Bevor er zusammenbrach soll er nach Aussagen von Mithäftlingen laut „Freiheit“ gerufen haben. Werner Greiffendorf beabsichtigte mit seiner Aktion keinen Suizid, er wollte seine Ausreise in die Bundesrepublik erzwingen.

Sein Bruder Andreas Schoob fuhr mit seiner Mutter und zwei weiteren Brüdern mit dem Auto von Riesa nach Cottbus in das Bezirkskrankenhaus. Sie wollten Werner Greiffendorf dort besuchen. Doch „vor der Glasscheibe stand ein Bewacher mit einem Maschinengewehr” erinnert sich Schoob. “Sprechen konnten wir nicht mit ihm. Wir haben ihn nicht mal erkannt, er war ja von Kopf bis Fuß bandagiert.“ Werner Greiffendorf erlag am 9. November 1978 im Bezirkskrankenhaus Cottbus seinen Verletzungen. Unter dem Vorgangsnamen „Asche“ überwachte das MfS seine Beisetzung in Riesa. Im Abschlussbericht dieser MfS-Aktion heißt es: “Die vorhandenen 3 Eingänge zum Friedhof wurden durch je 2 Mitarbeiter der KD Riesa und des Kommissariats I des VPKA Riesa abgesichert, die bei einem evtl. Auftauchen von Journalisten im Interesse der Pietät und der Achtung vor dem Toten journalistische Aktivitäten zu verhindern hatten.“


MfS-Aufnahme des Häftlings Werner Greiffendorf
Quelle: BStU / Familie

MfS-Foto der Beerdigung von Werner Greiffendorf
Quelle: BStU / Familie

Das Grab von Werner Greiffendorf
Quelle: BStU / Familie



Previous



Next

  • MfS-Aufnahme des Häftlings Werner Greiffendorf>
  • MfS-Foto der Beerdigung von Werner Greiffendorf>
  • Das Grab von Werner Greiffendorf>

MfS-Aufnahme des Häftlings Werner Greiffendorf

Quelle: BStU

MfS-Foto der Beerdigung von Werner Greiffendorf

Quelle: BStU

Das Grab von Werner Greiffendorf

Quelle: BStU / Familie

Anfang Januar 1979 berichtete die Tageszeitung Die Welt, daß sich ein gewisser Werner Greiffendorf im Cottbuser Gefängnis zu verbrennen versucht habe. Er sei inzwischen außer Lebensgefahr und in das Haftkrankenhaus Leipzig verlegt worden. Das war die Folge einer gelungenen Desinformation von Markus Wolfs MfS-Abteilung “Aktive Maßnahmen”. Erst viele Monate später, im Herbst 1979, meldete die Zeitung, dass Greiffendorf seinen Verletzungen erlegen war. Zu diesem Zeitpunkt lagen die Ereignisse schon so weit zurück, dass sie in der westdeutschen Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet blieben.

Autor:
App.
Recherche:
App.
Quellen:
  • MfS: Angaben zur Familiengeschichte Werner Greiffendorfs, auch über einen Taschendiebstahl aus dem Jahr 1966. BStU MfS MF B SKS 52719.
  • Informationen über den ersten Fluchtversuch von Werner Greiffendorf (1967). BStU MfS E SKS 23285.
  • MfS, BV Dresden: Anklageschrift gegen Werner Greiffendorf wegen vollendeten ungesetzlichen Grenzübertritts in schwerem Fall. Dazu umfangreiche Angaben über den Werdegang des Greiffendorf, einschließlich früherer Strafen wegen Passvergehens und Verletzung der Grenzschutzverordnung, Eigentumsdelikten, Staatsverleumdung. Der Beschuldigte wird als unverbesserlicher Rückfalltäter bezeichnet, der die DDR für einen Sklaven- und Ausbeuterstaat hielt. Enthält auch Details über die Festnahme in der CSSR und Einzelheiten über die Protestaktion des Greiffendorf im Cottbuser Gefängnis. BStU MfS BV Dresden AU 1828/77 Bd. 1 u. 2.
  • MfS, BV Dresden: Biographische Angaben über den Werdegang Werner Greiffendorfs (Schule, Ausbildung) und die Charakterisierung als Person, „die zu einer erheblichen Gefährdung der inneren Ordnung und Sicherheit [der DDR] werden kann.“BStU MfS BV Dresden AP 140/84.
  • BStU MfS BV Dresden AIM 2642/85.
  • MfS, HA VII/8: Informationen über den Krankenhausaufenthalt von Werner Greiffendorf und die anschließende Beisetzung in Riesa. Mit Foto-Dokumentation. BStU MfS HA VII/8 ZMA 615/78.
  • MfS-Sammelakte mit Information zum letzten Arbeitsplatz des Greiffendorf vor seiner letzten Festnahme. BStU MfS Allg. S 4/80.
  • MfS, BV Dresden, KD Riesa: Unterlagen über Werner Greiffendorfs Bruder. BStU MfS BV Dresden KD Riesa 1454.
  • MfS, HA VII/8: Information über den Tod von Werner Greiffendorf an Generalmajor Joachim Büchners vom 20.10.1978 und an Generalleutnant Bruno Beater sowie weitere Angaben zur Überwachung der Beisetzung.. BStU MfS HA VII/8 ZMA 615/78.
  • E-Mail Stefan Pschera (Erlbach) vom 17.09.2013 an Stefan Appelius.
  • Telefoninterview von Stefan Appelius mit Andreas Schoob, 16.09.2013.
  • Interview von Stefan Appelius mit Andreas Schoob (Riesa), 18.09.2013.
  • Vgl ausführlicher zum Todesfall Werner Greiffendorfs Stefan Appelius: „Alarm! Ein Strafgefangener brennt!“ Der vergessene Widerstand des Werner Greifendorf (1950–1978), in: Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin Nr. 35/2014, S. 69-79. Im Internet abrufbar unter: https://zeitschrift-fsed.fu-berlin.de/index.php/zfsed/article/view/453/435
Druckversion
Abkürzungsverzeichnis
Name
Greiffendorf, Werner
Geschlecht
männlich
Geburtsdatum
30. März 1950
Geburtsort
Döbern
Letzter Wohnort
Riesa
Staat des Vorfalls
DDR
Region des Vorfalls
Brandenburg
Ort des Vorfalls
Zuchthaus Cottbus
Todesursache
Sonstige
Datum des Vorfalls
19. Oktober 1978
Ergänzendes Datum
9. November 1978
Todesalter
28
Teilprojekt
verbündete Ostblockstaaten
Fallgruppe
nach Festnahmen
Personengruppe
Zivilisten / DDR
Startseite Zum Projekt Kontakt Impressum Datenschutz
Freie Universität Berlin
Universität Greifswald
Universität Potsdam
Gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung