Eiserner Vorhang. Tödliche Fluchten und Rechtsbeugung
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Biografisches Handbuch
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Astrid Stahnke

geboren am 11. Oktober 1964 in Rostock | ertrunken am 3. März 1981 um 14 Uhr in der Ostsee | Ort des Vorfalls: Nordöstlich der Insel Poel (Außenreede Wismar)

Quelle: BStU

Am 3. März 1981 um 12:25 Uhr sichtete das westdeutsche Motorschiff „Margret Oltmann“ auf der Ostsee ein Schlauchboot mit zwei Personen. Bei stürmischer See und Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt versuchte die Besatzung die beiden Insassen des Bootes zu retten. Die 16-jährige Astrid Stahnke im Schlauchboot war jedoch schon derart entkräftet, dass sie nicht an Bord geholt werden konnte.

Astrid Stahnke wuchs als Einzelkind in einem behüteten Elternhaus in Rostock auf. Sie besuchte die 10. Klasse der Polytechnischen Oberschule (POS) und beabsichtigte im Herbst 1981 eine Lehre bei der Post zu beginnen. Anfang 1980 lernte das damals noch 15jährige Mädchen den Fahrer ihres Schülerbusses (Sievershagen – Rostock) kennen. Sie stand immer vorne im Bus und unterhielt sich mit ihm über die Schule und über Musik. Es war der Beginn einer Romanze. Astrid verliebte sich in den 35jährigen gelernten Landmaschinen- und Traktorenschlosser. Nachdem ihr der junge Mann schließlich gestand, verheiratet zu sein, schlug er ihr im Spätsommer 1980 eine gemeinsame Flucht in die Bundesrepublik Deutschland vor. Dort wollte er Astrid Stahnke heiraten und mit ihr zusammenleben.

Nachdem Astrid Stahnke ihren Eltern die Liebesbeziehung mit dem älteren Mann monatelang verschwieg, berichtete sie ihnen im Herbst 1980, sie habe sich in einen 22jährigen Mitarbeiter des VEB Dieselmotorenwerk Rostock verliebt. Sie bekamen den jungen Mann allerdings nicht zu sehen. Von ihren Fluchtabsichten waren die Eltern nicht unterrichtet.

Inzwischen hatte der Busfahrer von seinem Nachbarn ein Schlauchboot polnischer Fabrikation erworben. Am Abend des 2. März 1981 um 21 Uhr fuhr das Paar gemeinsam mit einem Moped und dem Boot von Rostock nach Kühlungsborn-Ost. Die Temperatur an diesem Abend betrug 2 Grad Celsius. Es war laut Seewetterbericht Ostwind angesagt. Nachdem das Boot um 22:30 Uhr zu Wasser gelassen war, paddelte der Busfahrer etwa eine Stunde lang mit schnellen kräftigen Zügen Richtung „Sperrgebiet Staatsgrenze Nord“. Danach war er derart erschöpft, dass er nicht mehr paddeln konnte. Ein mitgenommener Kompass konnte in der Dunkelheit nicht abgelesen werden und fiel schließlich bei stärker werdendem Seegang ins Meer. Spätestens seit Mitternacht hatte das Paar die Orientierung verloren.

Etwa um 10:00 Uhr morgens wurde das Schlauchboot von der Schlagwelle überrollt, die es bis zum Rand mit Wasser füllte. Das Paar war nun komplett durchnässt und bereits sehr geschwächt. Etwa eine Stunde später wurde das Schlauchboot an der Boje Wismar vorbeigetrieben. Die Windstärke betrug 5 – 6, die Dünung gut einen Meter. Der Busfahrer bemerkte schließlich ein sich näherndes Schiff, das den Hafen von Wismar ansteuerte. Zu diesem Zeitpunkt lag Astrid Stahnke der Länge nach in dem zur Hälfte mit Wasser vollgeschlagenen Schlauchboot.

Das Schlauchboot wurde durch Wurfleineneinsatz an die Backbordseite des Motorschiffs bugsiert. Doch der Versuch, das junge Mädchen im Windschatten mit einer Strickleiter an Bord zu holen schlug fehl. Auch das Anlegen einer Leine misslang. Astrid Stahnke rutschte zweimal völlig leblos aus der Schlinge ins Wasser und trieb rasch ab. Schließlich fiel der Steuermann des Motorschiffs selbst ins Wasser. Am Ende gelang es der Besatzung nach einer etwa einstündigen Rettungsaktion mit größter Mühe nur noch, den stark unterkühlten Busfahrer und den Steuermann an Bord zu holen.

Die Leiche von Astrid Stahnke konnte erst gegen 15 Uhr von der Mannschaft eines polnischen Motorschiffs aus der Ostsee geborgen werden. Die Staatliche Versicherung der DDR weigerte sich, den Eltern des jungen Mädchens Leistungen zu erstatten, da sie bei der Begehung einer „Straftat gegen die Staatliche Ordnung der DDR“ ums Leben kam. Der Busfahrer hingegen überlebte die Rettungsaktion. Er wurde am 23. Juni 1981 vom Kreisgericht Rostock-Stadt wegen „Verletzung der Staatsgrenze Nord“ zu einer Haftstrafe von vier Jahren verurteilt.

Autor:
App.
Recherche:
App., CB
Quellen:
  • Informationen der Abt. I A der Staatsanwälte der Bezirke an den GstA zu politischen Straftaten (Rostock). BArch, DP 3 / 412.
  • MfS-Untersuchungsvorgang. BStU, MfS, BV Rostock, AU 1754/81, Bd. 1 - 3.
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Abkürzungsverzeichnis
Name
Stahnke, Astrid
Geschlecht
weiblich
Geburtsdatum
11. Oktober 1964
Geburtsort
Rostock
Letzter Wohnort
Rostock
Ort des Vorfalls
Ostsee
Todesursache
Ertrinken
Datum des Vorfalls
3. März 1981
Todesalter
16
Teilprojekt
Ostsee
Fallgruppe
Todesfälle bei Fluchtversuchen
Personengruppe
Zivilisten / DDR
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