Eiserner Vorhang. Tödliche Fluchten und Rechtsbeugung
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Biografisches Handbuch
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Hartmut Tautz

geboren am 10. Februar 1968 in Plauen | von Grenzhunden zu Tode gebissen am 9. August 1986 | bei Petržalka, Grenzstein 12/11 - 12/12, 11, Militärkrankenhaus Bratislava

Quelle: BStU

Weil er aus einer bürgerlichen Familie stammte, konnte der Magdeburger Abiturient Hartmut Tautz in der DDR nicht Musik studieren. Er versuchte über die tschechische Grenze in den Westen zu flüchten. Wenige Meter vor der Grenze zu Österreich fielen ihn zwei Hunde an, die von Grenzsoldaten auf ihn gehetzt worden waren.

Der Vater von Hartmut Tautz, ein Magdeburger Zahnarzt und Opernliebhaber, brachte seinem Sohn die Musik nahe. Hartmut Tautz lernte Klarinette und hegte den Wunsch Musik zu studieren. Das wurde ihm wegen seiner bürgerlichen Herkunft verwehrt. Er beschloss deshalb das Land zu verlassen. Im August 1986 reiste er nach Prag und von dort aus nach Bratislava. Am Abend des 8. August 1986 versuchte Hartmut Tautz in der Nähe von Petržalka die Grenze nach Österreich zu erreichen. Er hatte bereits mehrere Grenzsicherungsanlagen überwunden und konnte schon die Lichter des österreichischen Dorfes Kittsee sehen, als er einen Signaldraht berührte und bei der 11. Kompanie der Grenzwachbrigade Bratislava Alarm auslöste.

Zwei herbeigeeilte Grenzsoldaten ließen ihre Hunde von der Leine, die Hartmut Tautz aufspürten und anfielen. Als die Grenzer den Ort des Geschehens erreichten, ließen sie ihn zunächst liegen und befragten den Verletzten nach seinen Papieren und etwaigen Mitflüchtlingen. Die Hunde hatten dem wehrlosen Flüchtling an Beinen und am Kopf schwere Bisswunden zugefügt. Es dauerte noch lange, bis ein Krankenwagen erschien und Hartmut Tautz in das Militärkrankenhaus nach Bratislava brachte. Dort erlag er am 9. August 1986 um 1.15 Uhr seinen Verletzungen.

Am 13. August 1986 schrieb DDR-Konsul Richter aus Bratislava an die DDR-Generalstaatsanwaltschaft, der Todesfall Hartmut Tautz sei in einer Note des Regierungsamtes der SSR vom 11.8.86 mitgeteilt worden. Der ermittelnde Offizier habe ihm erklärt, „daß wir den Ermittlungsbericht und den Auszug aus dem Obduktionsprotokoll auf dem sonst üblichen Weg nicht erhalten werden”. Er teile deswegen vorab mit, das im Schein über die Leichenschau vom Arzt des Militärkrankenhauses Bratislava und vom obduzierenden Arzt des Gerichtsmedizinischen Instituts als Todesursache Blutverlust und eine „große Anzahl von Riß- und Quetschwunden an Kopf, Körper und Gliedmaßen“ festgestellt wurden. Das Konsulat in Bratislava und das DDR-Außenministerium (MfAA) verzögerten die von den Angehörigen gewünschte Überführung des Leichnams von Hartmut Tautz. Die Untersuchungsabteilung des DDR-Staatssicherheitsministerium teilte der Magdeburger Bezirksverwaltung mit: „Seitens der Sicherheitsorgane der CSSR wird davon abgeraten, den Eltern des Tautz die Möglichkeit zu geben, ihren Sohn zu sehen, da er schwere Verletzungen im Gesicht und im Halsbereich hat.” Am 22. August rief eine Mitarbeiterin der Urkundenstelle im Rat der Stadt Magdeburg im DDR-Außenministerium an und wies darauf hin, die Mutter sei verzweifelt darüber, „daß sich Überführung so in die Länge zieht.” Sie habe im Generalkonsulat angerufen, der Konsul habe „überhaupt nicht Bescheid“ gewusst. Am 27. August 1986 rief der MfAA-Mitarbeiter Balschulat bei der Abteilung Inneres der Magdeburger Stadtverwaltung an und teilte mit, dass inzwischen die Freigabe erfolgt sei. Das Bestattungswesen Berlin habe den Leichnam zur Nachobduktion durch Professor Otto Prokop im Institut für gerichtliche Medizin der Charité eingeliefert. Anschließend werde der Sarg zu dem von den Angehörigen gewünschten Ort der Beisetzung, dem Magdeburger Waldfriedhof, überführt.

Auf Betreiben der Angehörigen und der Platform of European Memory and Conscience rehabilitierte das Bezirksgericht Bratislava am 13. März 2017 Hartmut Tautz. Am Ort des Zwischenfalls erinnert heute ein Gedenkstein an Hartmut Tautz.

Mutter und Schwester von Hartmut Tautz im Gespräch mit der ehemaligen lettischen Außenministerin und EU-Kommissarin Sandra Kalniete während einer Protestaktion gegen das Vergessen am 27. Mai 2015 in Brüssel.
Bildquelle: Platform of European Memory and Consience.
Mutter und Schwester von Hartmut Tautz im Gespräch mit der ehemaligen lettischen Außenministerin und EU-Kommissarin Sandra Kalniete während einer Protestaktion gegen das Vergessen am 27. Mai 2015 in Brüssel.
Bildquelle: Platform of European Memory and Consience.
BILD, 26. August 2016.
BILD, 26. August 2016.



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Mutter und Schwester von Hartmut Tautz im Gespräch mit der ehemaligen lettischen Außenministerin und EU-Kommissarin Sandra Kalniete während einer Protestaktion gegen das Vergessen am 27. Mai 2015 in Brüssel.
Bildquelle: Platform of European Memory and Consience.
BILD, 26. August 2016.
Autor:
jos.
Recherche:
AH, MP, US , SM, jos., CB, App., HP
Quellen:
  • Zácek, Pavel; Faulenbach, Bernd; Mählert, Ulrich (Hrsg.): Die Tschechoslowakei 1945/48 bis 1989. Studien zu kommunistischer Herrschaft und Repression, Leipzig 2008, S. 152.
  • Vodicka, Karel: Die Prager Botschaftsflüchtlinge 1989. Geschichte und Dokumente, Göttingen 2014, S. 299.
  • MfAA, HA Kons. Angelegenheiten: Kartei über Todesfälle von DDR-Bürgern im Ausland.PAAA.
  • Schreiben des Generalkonsulates der DDR an Generalstaatsanwalt der DDR über MfAA, HA Kons. Angelegenheiten, Sektor III, vom 13.8.1986. BArch Berlin, DP 3 / 1457.
  • MfS, BV Magdeburg: Bericht über die Festnahme eines DDR-Bürgers durch die Sicherheitsorgane der CSSR. BStU, MfS, BV Magdeburg AP Nr. 2081/86 2.
  • DDR-Konsulat Bratislava: Fernschreiben an Rat der Stadt Magdeburg zum Sterbefall Kraus [Tautz] Hartmut und weiterer Schriftwechsel. PAAA, ZR 340/88 (Sterbefälle DDR-Bürger im Ausland T-Z 1986).
  • Standesamt I zu Berlin: Urkunde Nr. 202, S-Rep 500 Nr. 326.
  • Pulec, Martin: Organizace a cinnost ozbrojených pohranicních složek. Seznamy osob usmrcených na státní hranici. Praha 2006, S. 209.
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Abkürzungsverzeichnis
Name
Tautz, Hartmut
Geschlecht
männlich
Geburtsdatum
10. Februar 1968
Geburtsort
Plauen
Letzter Wohnort
Magdeburg
Staat des Vorfalls
Tschechoslowakei
Region des Vorfalls
Bratislavský kraj
Ort des Vorfalls
bei Petržalka
Todesursache
Verletzungsfolge
Datum des Vorfalls
8. August 1986
Ergänzendes Datum
9. August 1986
Anmerkung
Hartmut Tautz wurde am 8. August 1986 von Grenzhunden angefallen und schwer verletzt, er starb am folgenden Tag im Militärkrankenhaus von Bratislava
Todesalter
18
Teilprojekt
verbündete Ostblockstaaten
Fallgruppe
Todesfälle bei Fluchtversuchen
Personengruppe
Zivilisten / DDR
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