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Biografisches Handbuch

Manfred Weiß

geboren am 1. März 1943 in Gleiwitz (heute: Gliwice, Polen) | erschossen am 20. Mai 1962 | Ort des Vorfalls: bei Henneberg, nahe des ehemaligen Grenzübergangs Eußenhausen-Meiningen (Thüringen)
BildunterschriftManfred Weiß
Bildquelleopen source
Quelle: open source
Im thüringischen Grenzgebiet wurde am 20. Mai 1962 der Gefreite Manfred Weiß erschossen aufgefunden. Sein Posten war geflohen. Handelte es sich um einen Schusswaffenunfall oder um einen vorsätzlichen Mord?

Heute erinnert ein kleines Freiluftmuseum mit Skulpturenpark an den ehemaligen Grenzübergang Eußenhausen-Meiningen. Nicht weit von hier entfernt fand am 20. Mai 1962 kurz vor 1 Uhr eine Kontrollstreife den Postenführer Manfred Weiß in einem Gebüsch tot auf. Sein Gesicht war mit einer Tarnjacke zugedeckt, neben ihm lag das Maschinengewehr seines Postens Günter Jablonski. Manfred Weiß hatte sich zuletzt gegen Mitternacht über das Grenztelefon bei seiner Kompanie gemeldet. Er befand sich dann gemeinsam mit Jablonski auf dem Weg zur Postenablösung. Weil sie dort aber nicht eintrafen, wurde der Postenbereich von Manfred Weiß durch eine Kontrollstreife überprüft. Später entdeckte man Fußspuren im Zehn-Meter-Kontrollsteifen. Günter Jablonski war geflohen.

In der Grenzkompanie war man über den Todesfall schockiert. Der 19-jährige Manfred Weiß, ein gelernter Maurer, der nach dem Krieg in einer Pflegefamilie in Erfurt aufwuchs, muss aufgrund seines zurückhaltenden und kameradschaftlichen Charakters beliebt gewesen sein. Zudem schätzten die Offiziere den SED-Genossen, der als vorbildlich in der Dienstausführung und überlegen im Zweikampf beschrieben wird. Doch über den genauen Ablauf des Geschehens herrschte zunächst Unklarheit. Weiß wurde von vier Einschüssen in den Rücken getroffen. Die Schussentfernung betrug weniger als 2,50 Meter. Am Tatort fanden sich keine Spuren eines Kampfes. Konflikte zwischen Jablonski und Weiß waren nicht bekannt. Weil ein Taschentuch vor dem Mund des Toten lag, mutmaßlich um Erbrochenes zu entfernen, und das Gesicht abgedeckt war, ging der Kommandeur der 11. Grenzbrigade zunächst von einem fahrlässigen Schusswaffengebrauch durch Jablonski aus, der anschließend aus Angst vor einer Bestrafung die Fahnenflucht ergriffen habe. Dass das Taschentuch tatsächlich dazu gedient hatte, die Schreie des Opfers zu ersticken, entzog sich wahrscheinlich der Vorstellungskraft des Kommandeurs.

Günter Jablonski hatte schon seit Längerem mit seiner dreijährigen Selbstverpflichtung zur NVA gehadert. Zu dem Ärger über den eintönigen Dienst und der Unzufriedenheit mit der Verpflegung kam der Unwille, später wieder in die alten familiären Verhältnisse zurückkehren zu müssen. Um sich nicht selbst der Gefahr auszusetzen, bei dem Fluchtversuch erschossen zu werden, tötete er seinen Postenführer und überquerte unmittelbar danach die Grenze bei Eußenhausen.

Aufgrund einer Unterredung mit einem Staatsanwalt aus Meiningen erließ die Staatsanwaltschaft Schweinfurt am 21. Mai 1962 Haftbefehl gegen Jablonski wegen Mordverdachts, einem Auslieferungsantrag der DDR wurde nicht stattgegeben. Die Jugendkammer des Landgerichts Schweinfurt verurteilte Jablonski am 14. Dezember 1962 zu einer neunjährigen Haftstrafe. Er hatte zuvor den Mord an seinem Postenführer gestanden.

Als der Häftling sechs Jahre später auf Bewährung entlassen wurde, mag er angenommen haben, dass seine Schuld abgegolten sei. Beim Versuch, am 18. Dezember 1978 auf der Transitautobahn nach West-Berlin zu fahren, wurde er am Grenzübergang Marienborn festgenommen und vor dem Militärobergericht der DDR in Berlin angeklagt. Im Gerichtssaal saßen Angehörige des Getöteten und Soldaten der Grenztruppen, westliche Journalisten erhielten keine Genehmigung zur Prozessteilnahme. Am 12. Juni 1979 erging das Urteil. Günter Jablonski wurde abermals wegen Mordes verurteilt, diesmal zu lebenslangem Freiheitsentzug. Die in der deutsch-deutschen Transitkommission vorgebrachten Einwände der Bundesrepublik, die Verhaftung Jablonskis sei unrechtmäßig gewesen, da dieser als Bundesbürger auf der Autobahn Helmstedt – Berlin im Rahmen des Transitabkommens einen besonderen Schutz zu genießen hätte, wies die DDR-Seite zurück: Fahnenflüchtige seien von den Regelungen des Transitabkommens ausgenommen.

Ost- und West-Medien berichteten ausführlich über das Jablonski-Urteil. Die öffentlichen Ehrenbekundungen für Manfred Weiß mehrten sich. Er wurde jährlich am 13. August zu den „Opfern bewaffneter Anschläge und Provokationen an der Staatsgrenze“ gezählt. Am 15. März 1980 wurde in seiner ehemaligen Einheit feierlich eine Gedenktafel enthüllt und ein Gedenkzimmer eingeweiht.

Zum 41. Jahrestag der Grenztruppen der DDR benannte Verteidigungsminister Heinz Keßler 1987 die Grenzkompanie Henneberg nach Manfred Weiß. Im Stillen wurde Jablonski am 15. Dezember 1988 nach Bemühungen der Bundesregierung in den Westen entlassen, was auf der Leitungsebene in der Vollzugsanstalt Rummelsburg zu einigem Unmut führte. Nach dem Ende der DDR rehabilitierte das Kammergericht in Berlin Jablonski, weil dessen Festnahme unter Verletzung des Transitabkommens erfolgt war. Jablonski erstritt sich daraufhin über mehrere Instanzen im Oktober 2002 eine Haftentschädigung von 37 000 Euro.


Biografie von Manfred Weiß, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/253-manfred-weiss/, Letzter Zugriff: 29.11.2024