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Biografisches Handbuch

Waldemar Estel

geboren am 5. Februar 1932 in Schwarzenhagen | erschossen am 3. September 1956 | Ort des Vorfalls: nahe Buttlar (Thüringen)
BildunterschriftWaldemar Estel
BildquelleBStU
Quelle: BStU
Ein hellgrüner Mercedes Benz mit spanischem Kennzeichen fuhr am frühen Nachmittag des 3. September 1956 auf der Fernverkehrsstraße 84 von Rasdorf (Hessen) kommend bis kurz vor die Straßensperre an die DDR-Grenze heran. Ein Mann entstieg dem Fahrzeug und ging mit einer Landkarte in der Hand über die Grenze auf den Gefreiten der Deutschen Grenzpolizei Waldemar Estel zu. Er fragte ihn etwa in einer fremden Sprache. Estel richtete seine MPi auf den Mann und erklärte ihm, er sei festgenommen. Auf dem Weg zum nahe gelegenen Grenzkommando Buttlar erschoss der Festgenommene den Grenzpolizisten.

Eine ungewöhnliche deutsch-deutsche Begegnung ereignete sich am 4. September 1956 an der innerdeutschen Grenze. An der Straßensperre zwischen dem hessischen Rasdorf und dem thüringischen Buttlar trafen mehrere Beamte des Zolls, des Bundesgrenzschutzes, der hessischen Polizei und ein Oberstaatsanwalt aus Fulda mit einem Major der DDR-Grenzpolizei und dessen Begleitern zusammen.

Ein merkwürdiger Vorfall hatte sich ereignet: Ein hellgrüner Mercedes Benz mit spanischem Kennzeichen fuhr am frühen Nachmittag des 3. September 1956 auf der Fernverkehrsstraße 84 von Rasdorf (Hessen) kommend bis kurz vor die Straßensperre an die DDR-Grenze heran. Ein Mann stieg aus dem Auto aus und ging mit einer Landkarte in der Hand über die Grenze auf den Gefreiten der Deutschen Grenzpolizei Waldemar Estel zu. Der Spanisch sprechende Mann stellte Fragen, woraufhin Estel seine MPi auf den Mann richtete und ihn festnahm. Auf dem Weg zum nahe gelegenen Grenzkommando Buttlar erschoss der Festgenommene den Grenzpolizisten.

Der ermittelnde Kommissar Franz Wekwerth aus Fulda notierte, was der Abschnittsleiter der „Ostgrenzpolizei“ den westdeutschen Ermittlern über einen Zwischenfall vom Vortag mitteilte: Eine männliche Person war demnach um kurz nach 15 Uhr in den Grenzstreifen gelaufen und sprach dort einen der beiden Volkspolizisten an, die mit einem Pferdegespann den Grenzstreifen ackerten. Er zeigte ihm eine Landkarte und fragte etwas in fremder Sprache. Später wurde vermutet, es sei Spanisch gewesen. Der Grenzpolizist, es handelte sich um den Gefreiten Waldemar Estel, habe den Mann vorläufig festgenommen, da er die DDR-Grenze verletzt hatte. Unterwegs in Richtung Buttlar gab Estel vier Signalschüsse ab – das bedeutete „Grenzverletzer abholen“ –, damit das Kommando in Buttlar Verstärkung zur Übernahme des Mannes entsende. Als er sich mit dem Festgenommenen, der vor ihm ging, bereits 400 Meter von der Grenze entfernt hatte und zwei aus Buttlar anrückende Grenzpolizisten schon in Sichtweite waren, „habe der Festgenommene den Polizisten von vorn angefallen, ihn an der Uniform angepackt und ihn mit dem Knie einen Stoß in den Unterleib versetzt. Dabei habe der Polizist seine Mütze und Waffe (Maschinenpistole) verloren. Zugleich habe der Festgenommene eine Schußwaffe gezogen und auf den Polizisten insgesamt vier Schüsse abgegeben“. Der angeschossene Gefreite Waldemar Estel konnte sich noch einige Meter vom Tatort wegschleppen, bevor er seinen Verletzungen erlag. Der Schütze floh in Richtung Grenze zurück. Mehrere Grenzpolizisten nahmen ihn unter Feuer, worauf er zurückschoss. Hinter der Grenze wartete ein Mann an der nahe gelegenen Straße. Er sprang mit dem Flüchtenden in einen dort geparkten Mercedes 180 D, polizeiliches Kennzeichen M L 4286, Nationalitäten-Kennzeichen E, mit dem die beiden davonrasten.

Kommissar Wekwerth teilte am 7. September 1956 per Fernschreiben dem Landeskriminalamt Hessen mit, es habe sich der Verdacht nicht bestätigt, dass der Mörder Estels ein ehemaliger Soldat der „Blauen Division“ sei, die in Deutschland ein Treffen durchführte. Am 11. September 1956 schrieb Wekwerth an den Oberstaatsanwalt beim Landgericht Fulda: „Der eventuell bestehenden Meinung, der Tat könne ein politisches Motiv zugrunde liegen, muß entgegengetreten werden. Es kann kein politisches Motiv dafür bestehen oder Anerkennung finden, einen deutschen Volkspolizisten zu erschießen. Dieses umso mehr, als es sich bei den Tätern um Ausländer handeln dürfte.“

Die zeitgenössische DDR-Presse machte die „Bonner Regierung“ für Estels Tod verantwortlich. In Heiligenfelde fanden nach seinem Tod zum “ehrenden Gedenken für den Genossen Estel” regelmäßig Gedenkveranstaltungen des Grenztruppentruppenteils “Fritz Heckert” und der örtlichen FDJ- und SED-Organisationen statt. In den bei diesen Gelegenheiten gehaltenen Reden, wurde immer wieder behauptet, Waldemar Estel sei von “gedungenen Mördern” getötet worden. Die FDJ-Zeitung Junge Welt schrieb 1982 anlässlich des 50. Geburtstages von Waldemar Estel unter der Überschrift „Ein Held unserer Zeit“, Waldemar Estel sei „im Frieden für den Frieden als Verteidiger unserer sozialistischen Heimat“ gestorben. „Bis zum letzten Atemzug blieb er unserer sozialistischen Sache treu. Revolutionäres Heldentum ist nicht an Zeiten gebunden, sondern an Taten.“ Bei einer Gedenkveranstaltung aus gleichem Anlass, erklärte der SED-Kreisleitungssekretär Hans Krause am 5. Februar 1982 in Heiligenfelde laut Magdeburger Volksstimme: “Ein solcher Tag wie der heutige schmerzt besonders, aber aber er gräbt auch noch tiefer den Haß gegen die Feinde unserer sozialistischen Ordnung in unsere Herzen, die die Mörder gedungen und bezahlt haben, die dem jungen Leben des Genossen Waldemar Estel auf verbrecherische und heimtückische Weise ein Ende setzten.” Am 3. September 1982 wurde in Buttlar eine von dem Bildhauer Ehrenfried Rottenbach geschaffene Stele für Waldemar Estel eingeweiht. Bei Buttlar befindet sich an der Bundesstraße 84 ein Gedenkstein für Waldemar Estel, an dem sich Angehörige der Kameradschaft “Florian Geyer” und Mitglieder der Kreisorganisation der Linken alljährlich zu Estels Todestag versammeln.

Waldemar Estel kam am 5. Februar 1932 in Schwarzenhagen (heute Ortsteil von Rochau, Kreis Stendal) zur Welt. Seine Mutter Hedwig arbeitete als Landarbeiterin, sein Vater Fritz als Melker. Er fiel als Wehrmachtssoldat im Zweiten Weltkrieg. Waldemar Estrel hatte drei Schwestern und zwei Brüder. Seine Mutter erhielt durch die Bodenreform 1946 in Heiligenfelde eine Neusiedlerstelle. Waldemar Estel half ihr als Jugendlicher zunächst bei der Bewirtschaftung der Felder bevor er auf einen Arbeitsplatz in einer Ziegelei in Kleinau wechselte. Im Jahr 1952 meldete er sich freiwillig zur Deutschen Grenzpolizei und kam an der innerdeutschen Grenze im Raum Buttlar zum Einsatz.

Bei dem Todesschützen handelte es sich tatsächlich um einen spanischen Staatsbürger. Die Fahndung der westdeutschen Polizei nach ihm blieb 1956 erfolglos, da er bereits am Tag des Zwischenfalls mit zwei Begleitern die französische Grenze überquert hatte. Die nach der Wiedervereinigung erneut aufgenommenen Ermittlungen durch Interpol führten zur Identifikation jenes Mannes, der 1956 mit seinem Mercedes Benz nach der Schießerei an der innerdeutschen Grenze flüchtete. Es handelte sich um einen Offizier der spanischen Luftwaffe namens Antonio de la Lastra Rueda, der noch lebte und in Madrid wohnte. Laut Auskunft von Interpol Madrid führten Lastra Rueda und sein Begleiter seit 1950 Waffen, sie standen im Rang von Obersten der Luftwaffe. Nach Informationen des Auswärtigen Amtes endete ein spanisches Kriegsgerichtsverfahren gegen Lastra Rueda 1956 mit dessen Freispruch.

Siehe ergänzend zu diesem Fall die Biografie von Siegfried Tittmann.


Biografie von Waldemar Estel, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/247-waldemar-estel/, Letzter Zugriff: 29.03.2024