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Biografisches Handbuch

Roland Feldmann

geboren am 29. Dezember 1956 in Ronneburg | gestorben nach Fluchtversuch mit dem Auto am 15. Mai 1988 | Ort des Vorfalls: Grenzübergangsstelle Hirschberg (Thüringen)
Die Ablehnung des Ausreiseantrags für seine Familie im Mai 1988 stürzte Roland Feldmann in tiefe Verzweiflung. Der Versuch, mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern die Sperren am DDR-Grenzübergang Hirschberg mit einem Lieferwagen zu durchbrechen, endete tödlich.

Nach Abschluss der 5. Klasse erlernte Roland Marhold im VEB Wärmegeräte Elsterberg den Beruf eines Löters. Da seine Eltern schon länger in Trennung lebten, wohnte er zum Teil bei seinem Vater, einem Berufskraftfahrer, zum Teil bei der Mutter. Da es zwischen Vater und Sohn wiederholt zu Schwierigkeiten gekommen war, wies die „Jugendhilfe“ den Jungen in den Jugendwerkhof im Jagdschloss „Fröhliche Wiederkunft“ in Wolfersdorf ein. Dort erwarb er einen Teilabschluss als Tischler und arbeitete in diesem Beruf nach seiner Entlassung zunächst bei dem VEB Laboreinrichtung Gera. Doch lange hielt es ihn in diesem Betrieb nicht. In kurzer Folge wechselten seine Arbeitsverhältnisse, da ihm die Arbeit häufig nicht zusagte. Als er dann heiratete, nahm er, wohl weil er nicht länger wie der ungeliebte Vater heißen wollte, den Namen seiner Frau an und hieß nun Roland Prange. In einschlägigen Geraer Gaststätten geriet er in zweifelhafte Gesellschaft und kam schließlich auf die schiefe Bahn. Wegen Autoeinbrüchen, Entwendung von Buntmetallschrott und Autodiebstahls verurteilte ihn das Kreisgericht Gera im April 1982 zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren und drei Monaten. Unter diesen Umständen zerbrach auch seine Ehe.

Nach seiner vorzeitigen Haftentlassung wegen guter Führung trat Roland Prange im Januar 1984 eine Stelle als Heizer beim VEB Obst- und Gemüsekonserven Gera an. Im April desselben Jahres erhielt er eine Vorladung zur Kriminalpolizei. Diesmal nicht wegen eines Vergehens, sondern weil Kriminalobermeister Bischoff ihn sich als V-Mann (IMK) auserkoren hatte. In der Begründung zur Einleitung des Anwerbungsvorgangs hieß es, Prange sei „eine sehr kontaktfreudige Person“, halte sich häufig in „Schwerpunktgaststätten“ auf und habe Verbindungen zu anderen Vorbestraften. Nach acht Kontaktgesprächen mit dem Kripomann unterschrieb Roland Prange eine Schweigeverpflichtung. Er berichtete Belanglosigkeiten über einzelne Bekannte sowie aus den Lokalen „Elstertal“, „Clara Zetkin“, „Trampers Lokal“, „Alt Debschwitzer“, „Quisisana“ und „Gastronom“.

Zu jener Zeit lernte er Helga Feldmann kennen. Die Liebe zu der jungen Mutter von zwei Kindern veränderte sein Leben schlagartig. Er kümmerte sich tagsüber um die Kinder, ging kaum noch aus, trank wenig und arbeitete gut. Kriminalobermeister Bischoff notierte am 14. Januar 1985 ein vermeintliches Problem der Zusammenarbeit: „Negativ wirken sich gegenwärtig die Heiratsabsichten aus“, Prange habe erklärt, „daß er nicht gewillt ist, operativ wirksam zu werden, indem er alte Verbindungen herstellt bzw. zielgerichtet Gaststättenbesuche durchführt. Seiner Meinung nach hat er Lehren aus der letzten Straftat gezogen und möchte nicht wieder in den alten Trott verfallen.“ Kurz darauf schlug Bischoff vor, „auf Grund fehlender operativer Möglichkeiten die inoffizielle Zusammenarbeit zu beenden“.

Roland Prange heiratete 1986 Helga Feldmann und nahm erneut einen anderen, nämlich ihren Nachnamen an. Sie brachte ihre beiden Kinder mit in die Ehe, gemeinsam bekamen sie einen weiteren Sohn. Anfang 1988 stellten die Feldmanns einen Antrag auf Übersiedlung in die Bundesrepublik. Sie erklärten gegenüber den DDR-Behörden, dass Roland Feldmann als Vorbestrafter wiederholt in seiner Arbeitsstelle verdächtigt worden sei, Eigentumsdelikte begangen zu haben, „in der DDR keine Gerechtigkeit bestünde und man mit Preissteigerungen in der DDR nicht einverstanden sei“. Nach der Antragstellung verlor Roland Feldmann seinen Arbeitsplatz als Heizer im Haus der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft in Gera. Laut einer Protokollnotiz erfolgte am 13. Mai 1988 eine „Aussprache“ mit der Abteilung Innere Angelegenheiten. Dabei wurde „dem Ehepaar F. dargelegt, daß die Kriterien für eine Übersiedlung nach der BRD durch sie entsprechend des gegenwärtigen Erkenntnisstandes nicht erfüllt werden. Eine Ablehnung ihres Ersuchens wurde jedoch nicht ausgesprochen.“ Die Eheleute hätten „sich bei diesem Gespräch forsch, anmaßend und dummdreist“ verhalten.

Die Ablehnung des Ausreiseantrags für seine Familie stürzte Roland Feldmann in tiefe Verzweiflung. In der Nacht vom 14. zum 15. Mai 1988 verließ er gegen 1 Uhr seine Wohnung. Er wolle frische Luft schnappen, erklärte er seiner Frau und kehrte eine halbe Stunde später zurück. Dann offenbarte er ihr seinen spontanen Fluchtplan. Er habe ein Auto gestohlen, mit dem sie über die Autobahn und den Grenzübergang Hirschberg in den Westen flüchten könnten. Das Ehepaar weckte den zweijährigen Sohn und seinen fünfjährigen Bruder und stieg mit ihnen in das Fahrzeug. Die Tochter war nicht zu Hause, sondern bei ihren Großeltern. Mit dem gestohlenen Lieferwagen fuhr Roland Feldmann in Richtung Autobahn. Zwei Kilometer vor der Autobahnzufahrt hielt er an, weil das Kleinkind noch einmal zu trinken bekommen sollte. Frau Feldmann setzte sich anschließend mit den Kindern auf die Ladefläche, den kleinen Sohn legte sie in seinen Kinderwagenaufsatz.

Am frühen Morgen des 15. Mai 1988 telegrafierte die Grenzübergangsstelle Hirschberg an den DDR-Verteidigungsminister, im Bereich der Grenzübergangsstelle Hirschberg sei durch „Handlungen aller Mitarbeiter der GÜSt laut Grundvariante“ um 5.16 Uhr der „Grenzdurchbruch“ einer vierköpfigen Familie verhindert worden. Ein gestohlener Kleinbus vom Typ Barkas B 1 000 der Produktionsgenossenschaft des Handwerks „Eintracht“, Konditorei Gera, durchbrach demnach den Schlagbaum der Vorkontrolle und raste mit etwa 100 Stundenkilometern auf den Grenzübergang zu. Dort befahl der Diensthabende Offizier nach der Alarmauslösung durch die Vorkontrolle sofort die Schließung des stählernen Sperrschlagbaums. Gegen dieses tödliche Hindernis prallte das Fahrzeug ungebremst, seine Frontpartie wurde total zerstört. Roland Feldmann war sofort tot, seine Frau und die beiden Kinder wurden schwer verletzt.

Um 5.18 Uhr traf „die Terrorgruppe“ unter Leitung des stellvertretenden Zugführers am Ereignisort ein und sorgte bis 5.22 Uhr für die „Verblendung des Ereignisortes mittels Sichtblenden und Tarnnetz“. Bevor die Bergung der Verletzten aus dem Heckteil des Fahrzeugs begann, fotografierte ein „Dokumentarist“ des Ministeriums für Staatssicherheit die eingeklemmte Frau durch die Hecktür des zerstörten Wagens. Nach der „Verblendung“ des Fahrzeugs hob der Kommandant der Grenzübergangsstelle die Unterbrechung des Reiseverkehrs um 5.32 Uhr wieder auf. Um 5.50 Uhr brachte ein Krankenwagen die beiden Kinder zum Kreiskrankenhaus nach Schleiz. Frau Feldmann konnte selbst mit Hilfe von Brechstangen nicht aus dem Fahrzeug befreit werden. Um 6.07 Uhr traf ein Schweißgerät ein, durch dessen Einsatz der in das Fahrzeug eingedrungene Sperrschlagbaum zertrennt und die Verletzte geborgen werden konnte. Um 6.46 Uhr wurde sie zur Notversorgung in das Kreiskrankenhaus von Schleiz abtransportiert.

Um 6.48 Uhr zog ein Lkw der Grenztruppen mithilfe eines Stahlseils das zerstörte Fluchtfahrzeug aus der Sperre und schleppte es in den „Raum Sicherstellung“. Es sei nicht zu verhindern gewesen, dass sich Reisenden dabei der Anblick „einer sichtbar eingequetschten männl. Person auf dem Fahrersitz“ bot. Pioniere der Grenztruppen benötigten fast zwei Stunden zur Bergung der Leiche von Roland Feldmann aus dem zerstörten Fahrerhaus.

Einen Tag nach der gescheiterten Flucht der Familie Feldmann ordnete Oberstleutnant Willms von der Stasi-Bezirksverwaltung Gera, Abteilung VII, die Verstärkung der Grenzsperren im Übergang Hirschberg durch eine zusätzliche Stahlleitplanke seitwärts des Sperrschlagbaums an. Das Kreisgericht Gera verurteilte Frau Feldmann nach ihrer Genesung im Januar 1989 zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren und acht Monaten sowie zu 30 000 Mark Schadensersatz für das zerstörte Fahrzeug und die Beschädigung der Grenzanlagen. Sie trat die Strafe am 18. April 1989 im Frauengefängnis Stollberg an. Nach der friedlichen Revolution konnte sie am 22. Dezember 1989 die Haftanstalt verlassen. Helga Feldmann erstattete 1994 bei ihrer Zeugenvernehmung auf Hinweis des zuständigen Kriminalbeamten Strafantrag gegen die noch unbekannten Tatverantwortlichen, die den Schlagbaum im Grenzübergang Hirschberg heruntergelassen hatten. Im Mai 1995, sieben Jahre nach Roland Feldmanns Tod, entschied die zuständige Staatsanwaltschaft nach Erörterung der Sachlage das Ermittlungsverfahren einzustellen.


Biografie von Roland Feldmann, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/236-roland-feldmann/, Letzter Zugriff: 18.04.2024