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Biografisches Handbuch

Erwin Vogt

geboren am 17. April 1920 in Breslau (heute: Wrocław, Polen) | erschossen am 3. September 1950 | Ort des Vorfalls: Waldweg von Fuhrbach nach Sonnenstein/Wehnde auf der Höhe „Wehnder Hütte” (Thüringen)
Erwin Vogt lebte mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern in Ostwestfalen. Im Spätherbst 1950 wollte er seine in der DDR wohnende Mutter besuchen. Dazu überquerte er mit dem Fahrrad die grüne Grenze zwischen Niedersachsen und Thüringen. Nachdem er auf Zuruf von DDR-Grenzpolizisten nicht anhielt, traf ihn eine tödliche Kugel.

Erwin Vogt kam am 17. April 1920 in Breslau (heute: Wrocław, Polen) auf die Welt. Er zog als Vertriebener im März 1948 in das ostwestfälische Herzebrock-Clarholz und heiratete dort im November 1949 seine Frau Irmgard, mit der er eine Tochter und einen Sohn hatte. Vogts Mutter lebte in Oberthau, Kreis Merseburg, in Sachsen-Anhalt. Am frühen Morgen des 3. September 1950 überquerte Erwin Vogt mit dem Fahrrad die grüne Grenze zwischen Niedersachsen und Thüringen, um seine Mutter in der DDR zu besuchen. Zu dieser Zeit existierten im Bereich des Grenzkommandos Jützenbach weder Grenzzäune noch Grenzsicherungsanlagen. Lediglich bewaffnete Grenzpolizisten patrouillierten im Grenzbereich, um gegen „illegale Grenzgänger“ vorzugehen. Erwin Vogt fuhr auf einem Weg, der von Fuhrbach bei Duderstadt im Landkreis Göttingen nach Sonnenstein/Wehnde im thüringischen Eichsfeld führte. Nach etwa vier Kilometern auf DDR-Gebiet traf er gegen 5.45 Uhr an einer Weggabelung plötzlich auf zwei DDR-Grenzpolizisten, die eine am Vorabend im Grenzgebiet festgenommene Frau ins nahe gelegene Wehnde bringen sollten. Als Vogt an der Gruppe vorbeifuhr, rief einer der Polizisten: „Halt! Stehenbleiben! Grenzpolizei!“ Da er dem nicht Folge leistete und seine Fahrt beschleunigte, luden die beiden Volkspolizisten ihre Karabiner durch und gaben Warnschüsse ab. Nachdem der Flüchtende dennoch weiterfuhr, zielte Herbert O. nach eigenen Angaben freihändig auf den Hinterreifen des inzwischen ca. 150 Meter entfernten Fahrrads. Die Kugel traf Erwin Vogt in den Rücken. Herbert O. ( Jg. 1929), schilderte seinen Vorgesetzten das weitere Geschehen seinerzeit folgendermaßen: „Der Radfahrer zuckte zusammen und bediente nicht mehr die Pedale. Er fuhr noch ein Stück ca. 20 mtr. und bog dann nach links in den Waldrand ein. Hier stürzte er vom Rad und blieb reglos liegen.“ Er sei sofort zu dem Mann gelaufen und habe eine Schußverletzung mit starken Blutungen festgestellt. „Von der Stelle, wo der Radfahrer getroffen wurde, bis zu diesem Punkt, wo er vom Rad stürzte, war eine gut sichtbare Blutspur festzustellen.“ Der Schütze rannte zu dem Getroffenen, nahm dessen Fahrrad und fuhr damit in seine Dienststelle, um Hilfe zu holen.

Erwin Vogt, der seine Frau, eine zweijährige Tochter und einen dreijährigen Sohn hinterließ, wurde in dem kleinen niedersächsischen Grenzdorf Brochthausen beigesetzt. Laut einem Artikel der Illustrierten Stern stimmte der dortige Gemeindedirektor zunächst einer Beerdigung in seinem Dorf nicht zu, da er „keinen Mord decken“ wollte. „Der Leichenwagen fährt wieder über die Grenze in die Ostzone. Hier wird ein Grab geschaufelt für Erwin Vogt. Da meldet sich die Mutter und bittet, dem Sohn ein Grab in der Westzone zu geben, damit seine Frau und seine beiden Kinder zur Beerdigung kommen können. Als Toter fährt Erwin Vogt zum zweiten Mal über die Grenze, die er lebend nicht überschreiten durfte.“

Das Landgericht Mühlhausen verurteilte im April 2000 den früheren DDR-Grenzpolizisten Artur Herbert O. in erster Instanz wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten auf Bewährung. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil im Dezember 2000 auf und sprach den Angeklagten frei, da Zweifel an der Rechtswidrigkeit der Tat bestünden.


Biografie von Erwin Vogt, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/22-erwin-vogt/, Letzter Zugriff: 26.04.2024