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Biografisches Handbuch

Achim Bergmann

geboren am 19. Dezember 1940 in Gräfenhainichen | ertrunken beim Fluchtversuch am 10. Oktober 1972, geborgen am 7. November 1972 | Ort des Vorfalls: Elbe, Elb-Kilometer 471,8, nahe Aulosen (Sachsen-Anhalt)
Bei dem Versuch, die Elbe zwischen Sachsen-Anhalt und Niedersachsen mithilfe einer Tauchausrüstung zu durchschwimmen, ist Achim Bergmann auf der Flucht ertrunken.

Günter Achim Bergmann kam am 19. Dezember 1940 in Gräfenhainichen (Landkreis Wittenberg) zur Welt. Zuletzt lebte er in Quedlinburg im Harz, wo er als Schlossermeister beim VEB Kraftfahrzeug-Instandsetzungswerk arbeitete und wo auch seine Verlobte wohnte. Vielleicht hatte ihn diese Verbindung zu einem Ortswechsel bewogen. Achim Bergmann war das letzte in der DDR verbliebene Familienmitglied. Sein Bruder lebte in Frankreich, seine Eltern durften ein Jahr zuvor in die Bundesrepublik ausreisen.

Achim Bergmann beantragte bei seinem Betrieb ab dem 6. Oktober 1972 drei Tage Urlaub. Als Begründung gab er an, in seinem alten Heimatort Gräfenhainichen Hypohekenangelegenheiten erledigen zu müssen. Aus dem Bericht eines Stasi-Informanten geht hingegen hervor, dass sich Achim Bergmann am 8. Oktober 1972 mit seinem Bruder in Polen traf. Vermutlich hatte dieser ihm in Frankreich eine Tauchausrüstung besorgt und war als Einziger in die Fluchtpläne eingeweiht worden. Einen Tag nach der Rückkehr aus Polen verkaufte der 31-Jährige seinen Wartburg, für den er beim staatlichen Vermittlungskontor 5 670 Mark erhielt. Die Information über den Autoverkauf erreichte erst am 28. Oktober 1972 die Kreisdienststelle des MfS in Quedlinburg, die das Veräußern des Fahrzeugs als Vorbereitung zur Flucht wertete, denn Achim Bergmann war nach seinem dreitägigen Urlaub nicht wieder zur Arbeit erschienen. Nachdem fast drei Wochen seit dem Treffen in Polen vergangen waren, hatte der in Frankreich lebende Bruder bei einem Freund in Quedlinburg angerufen und nachgefragt, ob dieser etwas über den Verbleib seines Bruders wisse. Der Freund erkundigte sich daraufhin besorgt beim Kommissariat der Volkspolizei in Quedlinburg und berichtete dort über den Autoverkauf und die Nachfrage des Bruders aus Frankreich. Nun erst gingen auch die Sicherheitsbehörden von einem „Versuch des ungesetzlichen Verlassens der DDR“ aus.

Wenige Tage später, am 7. November 1972, erreichte die Kreisdienststelle des Staatssicherheitsdienstes in Quedlinburg ein Fernschreiben mit der Mitteilung über einen Leichenfund bei Elb-Kilometer 471,8. Es handelte sich bei dem Toten um Achim Bergmann, einen großgewachsenen, gut durchtrainierten jungen Mann mit langen, blonden Haaren. Bergmann hatte versucht, die Elbe zwischen Sachsen-Anhalt und Niedersachsen mithilfe einer Tauchausrüstung zu durchschwimmen. Er wurde am südlichen Ufer vor dem Schutzstreifen der 1. Grenzkompanie in Aulosen von einem DDR-Boot geborgen. Als man ihn fand, trug er einen Taucheranzug französischer Herkunft und hatte zudem seinen Führerschein, eine Landkarte, einen Kugelschreiber, einen Kompass und eine leere Messerscheide am Körper. Das Messer ging vermutlich während der Flucht verloren. Die nach der Bergung hinzugezogene Ärztin ging von einer zwei- bis vierwöchigen Liegezeit der Leiche aus. Warum die gut vorbereitete Flucht über die Elbe missglückte, bleibt ungeklärt. Vielleicht ertrank Günter Achim Bergmann, weil die Atemautomatik der Tauchausrüstung ausfiel, denn zu dem Zeitpunkt, als man ihn aus der Elbe barg, waren seine Sauerstoffflaschen noch ausreichend befüllt.

Nachdem Bergmanns Eltern in der Bundesrepublik von dem Unglück ihres Sohnes erfahren hatten, wandte sich der Vater am 11. November 1972 an die Polizei in Dannenberg. Bis dahin wussten die Angehörigen noch nicht, was ihrem Sohn zugestoßen war. Obwohl für Günter Achim Bergmann bereits seit dem 10. Oktober eine Vermisstenmeldung vorlag, hatten sie noch keine Informationen von amtlichen DDR-Stellen erhalten. Am 13. November 1972 versuchte die Mutter Bergmanns, mehr zu erfahren. Sie durfte über Marienborn in die DDR einreisen. Aber erst in Quedlinburg erfuhr sie von Bekannten, dass die Bestattung ihres Sohnes schon tags darauf, am 14. November 1972, stattfinden sollte. Die Bitte der Mutter, den Sarg noch einmal zu öffnen, wurde abgelehnt. Auch lief ihre persönliche Nachfrage nach den Todesumständen ihres Sohnes bei der Polizeidienststelle in Quedlinburg ins Leere, da der zuständige Sachbearbeiter angeblich gerade nicht im Dienst war. Die den Eltern später ausgehändigte Sterbeurkunde enthielt keine weiteren Anhaltspunkte und ließ viele Fragen zum tragischen Geschehen am 10. Oktober 1972 offen. Der pathologische Befund der Medizinischen Akademie Magdeburg gab als Todesursache Ertrinken an. Die Familie quälte seinerzeit die Ungewissheit darüber, ob Achim Bergmann vielleicht gewaltsam, durch Schusswaffengebrauch, ums Leben gekommen sein könnte. Neben vielen offenen Fragen stand jedoch fest: Achim Bergmann wollte in den Westen, vielleicht zu den Eltern, vielleicht zu seinem Bruder nach Frankreich.


Biografie von Achim Bergmann, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/192-achim-bergmann/, Letzter Zugriff: 26.04.2024