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Biografisches Handbuch

Josef Obremba

geboren am 22. Mai 1951 in Biała Prudnicka (Polen) | erschossen am 24. Juni 1971 | Ort des Vorfalls: nahe Bebendorf (heute Landesgrenze zwischen Thüringen und Hessen)
BildunterschriftJosef Ombremba
BildquelleBStU
Quelle: BStU
Der Gefreite und Postenführer Martin F. erschoss am 24. Juni 1971 nahe dem an der Grenze zwischen Thüringen und Hessen gelegenen Dorf Bebendorf seinen Posten Josef Obremba. Nach Aussagen von Martin F. habe Obremba zuerst auf ihn geschossen und versucht, in den Westen zu flüchten.

Im Alter von elf Jahren zog Josef Obremba gemeinsam mit seiner Mutter 1962 aus Polen nach Weimar. Sein Vater war bereits 1951 in Polen verstorben. In Weimar schloss Obremba die Schule mit der Mittleren Reife ab und erlernte den Beruf eines Drehers im VEB Weimar-Werk. Im Frühjahr 1970 legte er seine Facharbeiterprüfung ab. Seitens des Betriebes erhielt er für seine beruflichen Leistungen sehr gute Beurteilungen. Bei der Betriebssportgemeinschaft (BSG) Motor Weimar spielte er als begeisterter Handballer in einer Jugendmannschaft. Er war Mitglied der FDJ, des FDGB und der GST. Nachbarn beschrieben ihn „als ordentlich und hilfsbereit“. Auch als Wehrdienstleistender in der Grenzkompanie Pfaffenschwende beurteilten ihn seine Vorgesetzten durchweg positiv.

Am 24. Juni 1971 hatte Josef Obremba mit seinem Postenführer, dem gleichaltrigen Gefreiten Martin F., als Beobachtungsposten am Scheinwerfer Schwarzenbach Dienst zu verrichten. Ein Fahrzeug der Grenztruppen brachte die beiden Soldaten zum Schlagbaum bei dem Dorf Bebendorf, von wo aus sie sich zum Grenzabschnitt Schwarzenbach begaben. Was dann geschah, ist nur durch Aussagen des Postenführers Martin F. überliefert. Die beiden Soldaten hielten sich kurz nach ihrem Dienstbeginn am Rande einer etwa 14 Meter breiten und 15 Meter tiefen Schlucht auf, die unmittelbar an der Grenze lag. Auf der westdeutschen Seite sahen sie zwei Männer und eine Frau, die mit einem Plakat gegen das DDR-Grenzregime protestierten. Nachdem die kleine Protestgruppe sich wieder ins Hinterland entfernt hatte, soll Obremba gegenüber dem Postenführer behauptet haben, er habe mit dem Fernglas auf der anderen Seite der Schlucht eine Geldbörse im Grenzstreifen entdeckt und wolle diese holen. Der Postenführer stimmte zu, dass sich Obremba entgegen der dienstlichen Vorschrift auf die andere Seite der Schlucht begab, um die Geldbörse zu holen, obwohl er selbst diese mit dem Fernglas nicht ausmachen konnte. Er beobachtete seinen Posten beim Aufstieg aus der Schlucht. Da habe sich dieser plötzlich herumgedreht und gerufen: „F. du …!“ und einen Schuss auf ihn abgegeben. Daraufhin habe er eine Salve Dauerfeuer zurückgeschossen und gesehen, wie Obremba in die Schlucht gestürzt sei. Als Martin F. über den Rand der Schlucht hinabsah, meinte er zu erkennen, dass Obremba die Waffe auf ihn richtete. F. eröffnete erneut das Feuer.

Als die Nachbarposten an der Stelle eintrafen, stand F. am Rand der Schlucht. Er habe gestammelt: „Ich habe meinen Posten erschossen, was sollte ich denn machen?“. Einer der Posten stieg hinab und stellte den Tod Obrembas fest. Martin F. saß nun weinend am Rand der Schlucht. Laut Untersuchungsbericht des MfS hatte er zwölf Patronen verschossen, in Obrembas Waffe fehlte eine Patrone. In der Nähe des Toten wurden später vier weitere Hülsen gefunden, sodass er auch vier Schüsse abgegeben haben könnte. Zwischen Martin F. und Josef Obremba bestand nach dem Bericht der MfS-Ermittler ein kameradschaftliches Verhältnis. Andere Angehörige der Einheit konnten sich nicht erklären, warum Obremba eine Flucht versucht haben sollte. Er sei aber in den Tagen vor dem Zwischenfall leicht reizbar gewesen. Martin F. wurde nach dem Zwischenfall in eine andere Einheit versetzt und mit der Medaille für vorbildlichen Grenzdienst ausgezeichnet. Die Obduzenten stellten an der Leiche Obrembas vier Einschüsse fest, wobei jeder einzelne dieser Treffer tödliche Folgen gehabt hätte.

Die Überlieferungen des Staatssicherheitsdienstes enthalten auch einen Stapel von Briefen, Postkarten und Fotografien aus dem Spind Obrembas. Die Fotos hatte er in eine Propagandazeitung der Grenztruppen eingewickelt, auf deren Titelseite Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger abgebildet ist, der gerade eine Formation des Bundesgrenzschutzes abschreitet. Die dazugehörige Bildunterschrift lautet: „Altnazi und CDU-Kanzler Kiesinger inspiziert eine BGS-Einheit“. Alle Briefe und Postkarten an Josef Obremba sind durchweg in herzlichem Ton verfasst, voller Zuwendung von Verwandten, Freunden, Mitschülerinnen. Sie hielten ihn über Neuigkeiten zu Hause in Weimar auf dem Laufenden, über Discobesuche, Prämien zum 1. Mai oder Ausflüge ins Umland. Auch private Fotografien mit einer Freundin, mit Schulfreunden, mit der Mutter, mit einer Handballmannschaft und im Kreise seiner Kameraden aus der Grenztruppe sind überliefert. Sie zeigen Josef Obremba als fröhlichen Jungen mit gutgelaunten Menschen um sich herum.

Die Zentrale Erfassungsstelle Salzgitter leitete 1972 Vorermittlungen gegen Martin F. ein, die auf den Aussagen von zwei geflüchteten Kameraden Obrembas aus der Grenzkompanie Pfaffenschwende beruhten. Nach der Wiedervereinigung sagte Martin F. als Beschuldigter aus, er sei nach dem Geschehen derart „nervlich fertig“ gewesen, dass man ihn in einer medizinischen Einrichtung der Armee „ruhiggestellt“ habe. Die tödlichen Schüsse habe er aus Notwehr abgegeben. Die Berliner Staatsanwaltschaft kam zu keinem anderen Ergebnis und stellte 1995 das Ermittlungsverfahren ein.


Biografie von Josef Obremba, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/184-josef-obremba/, Letzter Zugriff: 29.03.2024