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Biografisches Handbuch

Horst Henniger

geboren am 3. April 1925 in Nordhausen | erschossen am 22. Juni 1950 | Ort des Vorfalls: nahe dem Wiedigshof bei Walkenried (Niedersachsen)
Der 25-jährige Horst Henniger wurde während einer Schmuggeltour im innerdeutschen Grenzgebiet durch die Kugel eines DDR-Grenzpolizisten getötet. Er befand sich mit zwei Begleitern auf westdeutschem Gebiet, als der Schuss abgegeben wurde.

Im Zweiten Weltkrieg diente Horst Henniger bei der Kriegsmarine. Im Mai 1944 wurde er Vater einer Tochter, deren Mutter er bald nach dem Krieg im Dezember 1945 in Viöl (Nordfriesland) heiratete. Hernach lebte der Kühlerbauer im thüringischen Nordhausen. Beim niedersächsischen Zoll war er als „gewerbsmäßiger Grenzgänger“ bekannt. Er überquerte etwa zweimal wöchentlich die Grenze mit Handelsgütern. Der Zollgrenzdienst auf der westlichen Seite schritt gegen den Warenschmuggel nicht ein. Auf der Ostseite nahm die Volkspolizei solche Grenzgänger in der Regel kurz fest und beschlagnahmte das Schmuggelgut.

Am Morgen des 22. Juni 1950 befand sich Horst Henniger mit seinem Freund Heinz S. und seinem Bekannten Otto M. in der Nähe des Schlagbaums Wiedigshof auf einer Schmuggeltour durch das innerdeutsche Grenzgebiet. Die drei Männer waren auf Fahrrädern unterwegs. Über den Ablauf des Geschehens gab es später unterschiedliche Darstellungen. Nach amtlichen Meldungen der Volkspolizei und des niedersächsischen Zollgrenzdienstes befanden sich Horst Henniger und seine Begleiter auf dem Rückweg von Bad Sachsa nach Gudersleben (DDR), als sie eine Streife der DDR-Grenzpolizei entdeckte. Die drei Männer versteckten sich auf der westlichen Seite für etwa zehn Minuten in einer Senke. Als sie die Deckung verließen, schoss Volkspolizei-Wachtmeister Karl-Ernst Kaiser mit seinem Karabiner aus etwa 200 Metern Entfernung über die Grenze hinweg und traf Horst Henniger in den Rücken. Die Kugel durchschlug sein Herz, Henniger verstarb noch, bevor die in der Nähe postierten niedersächsischen Zöllner am Ort des Geschehens eintrafen. Die Leiche Hennigers wurde zwei Tage später in Braunschweig obduziert und am 26. Juni 1950 in Nordhausen beigesetzt.

In einem Bericht der Volkspolizei wurde die Tat als Unfall dargestellt: Wachtmeister Kaiser habe einen Warnschuss auf die „Grenzverletzer“ abgeben wollen, beim Durchladen des Karabiners hätte sich versehentlich ein Schuss gelöst, der Getroffene sei noch einige Meter weitergelaufen und dann auf westlichem Gebiet zusammengebrochen. Im März 1993 sprach der Schütze während seiner Vernehmung ebenfalls von einem Unfall; er habe sich ein Fahrrad von einem Arbeiter geliehen, um näher an die Männer heranzukommen. Beim Anhalten sei der Tragriemen des Karabiners abgerutscht und der Lauf des Gewehrs auf dem Boden aufgeschlagen. Als er die Waffe wieder hochnahm, habe sich versehentlich ein Schuss aus der bereits durchgeladenen Waffe gelöst. Er habe zuvor keinen Warnschuss abgegeben, da sich die drei Männer auf westlichem Gebiet befanden. Auf Nachfrage behauptete er, der Sicherungshebel des Karabiners habe sich möglicherweise gelöst, als er zuvor beim Beobachten der „Grenzgänger“ im Gebüsch lag oder als das Gewehr zu Boden fiel. Die kriminalpolizeilichen Ermittler hielten einen solchen Ablauf für höchst unwahrscheinlich. Auch sein damaliger Postenführer G., der ebenfalls zur Sache vernommen wurde, hält die Version seines früheren Kollegen Kaiser für unglaubwürdig. Unmittelbar nach der Schussabgabe, die er nicht selbst sehen konnte, habe der Schütze gerufen: „Ich bin ein Mörder, ich bringe mich jetzt um.“ Die beiden Begleiter Hennigers sagten 1993 aus, sie hätten genau gesehen, wie der Volkspolizist mit seinem Karabiner auf sie gezielt habe.

Die Staatsanwaltschaft Erfurt ermittelte unmittelbar nach der Tat im Jahr 1950 wegen fahrlässiger Tötung gegen den Todesschützen. Im Zuge einer Überprüfung schlug die Staatsanwaltschaft Mühlhausen das Verfahren nieder. In der Begründung hieß es, der Volkspolizist habe pflichtgemäß in Ausübung seines Dienstes gehandelt. Der Beschuldigte blieb nach eigenen Angaben 1950 zwei bis drei Wochen im Arrest, anschließend sei er versetzt und 1972 im Range eines Leutnants aus dem Dienst entlassen worden. Nach der Wiedervereinigung eröffnete die Staatsanwaltschaft Erfurt das Verfahren gegen den Todesschützen erneut. Da die Verjährung für dieses Delikt jedoch bereits eingetreten war, wurde das Verfahren wegen Totschlags 1998 eingestellt.


Biografie von Horst Henniger, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/15-horst-henniger/, Letzter Zugriff: 29.03.2024