In den Akten des Ministeriums des Innern (MdI) der DDR findet sich in dem Dokument „Wasserleichen aus der Ostsee, Schriftverkehr und Ermittlungen“ ein Schreiben der Hauptabteilung Kriminalpolizei vom 17. Oktober 1974 an den Generalstaatsanwalt der DDR, in dem der Fund von drei männlichen Leichen in der Zeit vom 25. September bis zum 27. September 1974 dokumentiert wird, die in dänischen Gewässern oder von dänischen Kuttern geborgen und anschließend nach Dänemark gebracht wurden. Am 1. Oktober wurden dem Dienstvorsteher des Fährbahnhofs Warnemünde Identifizierungsmaterial und Protokolle in dänischer Schrift zu den drei Personen von einem dänischen Polizeileutnant übergeben. Daraufhin konnte die am 26. September geborgene Leiche von Verwandten als Jürgen Max und der Leichnam, der am 27. September aufgefunden wurde, ebenfalls von Angehörigen als Frank Engelhardt identifiziert werden. Gegen beide waren Ermittlungsverfahren wegen des Verdachtes des ungesetzlichen Grenzübertrittes gemäß § 213 StGB eingeleitet worden.
Bei der am 25. September 1974 geborgenen Leiche gestaltete sich die Identifizierung schwierig. Ein Fischer hatte den Toten in seiner Reuse bei Nysted, im Süden der Insel Lolland, aufgefunden und dies der Polizei gemeldet. Der unbekannte Mann wurde zur Leichenschau ins Krankenhaus von Nysted gebracht.
Der Leichnam muss etwa vier bis sechs Wochen im Wasser gelegen haben. Einige Merkmale ließen sich dennoch eindeutig beschreiben: Die Person war ca. 1,72 m groß, hatte eine rote Badehose mit weißen Streifen an beiden Seiten und einer Tasche mit Reißverschluss sowie ein gelb-kariertes Hemd der Größe 39 und blaue Schwimmflossen der Marke Palma an. Beim geschätzten Alter kamen der Amtsarzt und der Hospitalzahnarzt zu unterschiedlichen Befunden: Laut Zahnbefund wurde er auf 30-35 Jahre geschätzt, die Leichenschau sprach eher von 40-50 Jahren. Als Todesursache wurde „Ertrinken“ notiert, es wurden keine Anzeichen von Gewalteinwirkung festgestellt.
Am 16. Oktober 1974 forderte das MdI die BDVP der Bezirke unter Hinweis auf diese Personenmerkmale auf, ihre Vermisstenvorgänge aus der Zeit von Januar bis September 1974 zu überprüfen. Die Hauptabteilung Kriminalpolizei wollte bei Identifizierung der Person bis zum Folgetag um 16:00 Uhr in Kenntnis gesetzt werden. Aus allen BDVP kamen Fehlermeldungen zurück, nur nicht aus der BDVP Dresden: Hier wurde die Vermisstenmeldung eines 31-jährigen Mannes aus Dresden übermittelt, die sich in fast allen Punkten mit den Angaben zur Leiche vom 25. September 1974 deckte. Die Kleidung und Größe der Kleidung waren zu 100 Prozent identisch – rote Badehose mit weißen Streifen und Reißverschlusstasche, gelb-kariertes Hemd – und auch die Körpergröße stimmte mit 1,71 m fast exakt überein. Der junge Mann galt seit dem 25. August als vermisst. Am 7. Oktober 1974 wurde sein Krad am Zeltplatz in Markgrafenheide aufgefunden.
Es ist durchaus plausibel, dass sich der 31-jährige Dresdner Schwimmflossen besorgt hatte und Ende August bei warmen Temperaturen von Markgrafenheide aus Richtung Dänemark schwimmend aus der DDR fliehen wollte. Auch die Liegezeit der Leiche im Wasser würde in diesem Fall mit den Befunden aus Dänemark übereinstimmen.
Frank Engelhardt versuchte einige Wochen später von Graal-Müritz aus in einem Nassanzug nach Dänemark zu schwimmen und auch Jürgen Max floh von Graal-Müritz aus. Die Route war bei Flüchtlingen aus der DDR durchaus beliebt, auch wenn das Gedser Feuerschiff seit 1972 nicht mehr seinen Dienst tat. Dass dieser Rettungsanker auf halber Strecke zwischen der DDR und Dänemark inzwischen fehlte, war den DDR-Bürgern vielleicht auch nicht bekannt.
Warum dem MdI die Nachricht von der BDVP Dresden nicht als Hinweis auf die Identifizierung der Leiche von Nysted diente, bleibt unklar. Am 13. November 1974 schrieb der stellvertretende Leiter der Hauptabteilung Kriminalpolizei dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR, dass die Überprüfungen zu den Leichenfunden abgeschlossen seien und die Leiche vom 25. September aufgrund der unzureichenden Identifikationsmerkmale nicht als DDR-Bürger identifiziert werden konnte.
Die Angaben aus der Vermisstenmeldung der BDVP Dresden lassen sehr stark vermuten, dass es sich bei der Leiche um den 31-jährigen Mann handelte, dessen Krad in Markgrafenheide gefunden wurde. Weitere Recherchen erbringen möglicherweise den eindeutigen Beweis, der bislang noch nicht vorliegt.
Unbekannter Mann vom 25. September 1974
Am 25. September 1974 wurde eine unbekannte männliche Leiche aus der Reuse eines Fischers bei Nysted geborgen. Die Person konnte nicht identifiziert werden. Der Mann hatte Schwimmflossen an den Füßen, trug eine Badehose und ein kariertes Hemd. Vermutlich war hier ein DDR-Bürger ertrunken, womöglich lag auch ein Fluchthintergrund vor.
Biografie von Unbekannter Mann vom 25. September 1974, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/unbekannter-mann-vom-25-september-1974/, Letzter Zugriff: 07.10.2024