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Biografisches Handbuch

Ulrich Peters

geboren am 28. Februar 1935 in Greifswald | Vermutlich in der Nacht des 19. Septembers 1966 ertrunken, tot geborgen am 7. Dezember 1966 | Ort des Vorfalls: Ostsee
BildunterschriftUlrich Peters
BildquelleLandesarchiv Greifswald
Quelle: Landesarchiv Greifswald
Am 7. Dezember 1966 wurde in Schweden am Strand von Simrishamn die Leiche des Greifswalder Mediziners Ulrich Peters gefunden. Er hatte die DDR im September 1965 schon einmal über die Ostsee verlassen und ist in die Bundesrepublik gelangt, jedoch zurückgekehrt. Vermutlich versuchte er diesen Weg ein Jahr später erneut.

Ulrich Peters wurde am 28. Februar 1935 in Greifswald geboren. Sein älterer Bruder und er waren die Söhne eines in der Stadt niedergelassenen Zahnarztes. Die Mutter sorgte sich als Hausfrau um die Kinder. Ulrich Peters wurde beschrieben als ein gebildeter, vielseitig interessierter Mensch mit Liebe zu klassischer Musik und Malerei. Er hatte wohl eine charmante, einnehmende Erscheinung ohne dabei aufdringlich zu sein, sodass ihm immer alle zugetan waren.

Der schulische und berufliche Werdegang von Ulrich Peters zeigen sich sehr linear: Nach dem Besuch von Grund- und Oberschule von 1941 – 1954 nahm Ulrich Peters in direktem Anschluss zum Wintersemester das Medizinstudium in Greifswald auf. Nach zwei Semestern wechselte er 1955 an die Universität in Leipzig, absolvierte hier 1956 die ärztliche Vorprüfung, bestand am 1.12.1959 das Staatsexamen und promovierte am 3.12.1959 zum Doktor der Medizin. Im Februar 1960 begann er in Stralsund im Krankenhaus am Sund seine zwölfmonatige Pflichtassistenz und wohnte in dieser Zeit am Knieperdamm 72. Im Anschluss zog er zurück nach Greifswald und schloss zum 1. April 1961 einen Ausbildungsvertrag mit der Kreispoliklinik Greifswald, um den Facharzt „Praktischer Arzt“ zu erwerben. Ehe er diese Ausbildung aufnahm, war er zuvor im Februar und März für zwei Monate als Vertretung in der Landarztpraxis Vitte auf Hiddensee tätig. Die Zeit als Assistenzarzt in Greifswald beendete er im September 1963, stellte den Antrag auf Anerkennung zum Facharzt beim Rat des Kreises Greifswald und war während des Bearbeitungsverfahrens Schiffsarzt im Medizinischen Dienst des Verkehrswesens. Bis Mitte Dezember war er Betriebsarzt beim Fischereikombinat Rostock und fuhr als Schiffsarzt beim Transport- und Verarbeitungsschiff „Martin-Andersen-Nexö“ mit, im Anschluss begleitete er das Fracht- und Ausbildungsschiff MS Theodor Körner. Mitte Januar 1964 kommt aus Rostock eine schriftliche Aufforderung, noch Unterlagen für die Anerkennung zum Facharzt nachzureichen. Da Ulrich Peters gerade auf See war, ergänzte er erst am 11. Februar 1964 Ulrich Peters den Antrag und am 17. Februar wurde diese mit Rückwirkung zum 1. Februar ausgestellt. Nun konnte der nächste Schritt für die geplante Übernahme der Praxisräume des Vaters folgen: Es wurde ein Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis gestellt, der mit der Bitte um Befreiung von der Ausschreibungspflicht für die Praxisräume des Vaters verbunden war. Mitte Mai wurde der Bitte zum Teil entsprochen: Die Ausschreibungspflicht für die Arbeitsräume wurde aufgehoben. Die Niederlassungsgenehmigung für Ulrich Peters als Facharzt konnte aufgrund einer weiteren Reise als Schiffsarzt erst Ende des Jahres ausgegeben werden. Ab dem 1. Januar 1965 durfte Ulrich Peters dann seine Arbeit in eigener Praxis aufnehmen.

Bis hierhin klingt alles nach einem soliden Werdegang mit wenigen und schnell zu bewältigenden Hürden. Doch es gibt auch einen anderen Teil der Geschichte um Ulrich Peters, die viele Fragen mit sich bringt und bis auf wenige Momente nicht mehr zu klären ist. Gesichert ist, dass es ihm mindestens einmal gelang, über die Ostsee nach Westdeutschland zu gelangen. 1964 zog ihn ein Freund ins Vertrauen, mit dem Faltboot über die Ostsee aus der DDR fliehen zu wollen, weil ihm das Leben in der DDR unerträglich geworden sei, worauf Peters antwortete, dass er da mitkommen wolle. Die beiden trainierten gemeinsam in einem Zwei-Mann-Faltboot im Schaproder Bodden. Im September 1965 ließen er und sein Freund sich von dessen Mutter nachts mit einem Boot an das südliche Ende der Insel Hiddensee, den Gellen bringen, wo sie das Faltboot aufbauten und den Kurs auf die dänische Insel Mön einschlugen und dort auch ankamen. Die dänischen Behörden sorgten dann dafür, dass sie am 17. September 1965 über Puttgarden auf Fehmarn in die Bundesrepublik Deutschland einreisen konnten.

Nach der Ankunft erklärte Peters seinem Freund zu dessen Überraschung, dass er wieder zurück gehen werde, und in der Bundesrepublik lediglich einen Urlaub verbringen wolle. Mit Hilfe des Passes eines entfernten Verwandten aus der Bundesrepublik, der auf denselben Nachnamen ausgestellt war, reiste er später von Westberlin als Tourist nach Ostberlin ein und fuhr von dort regulär als Ulrich Peters zurück nach Greifswald. Dieser ‚Urlaub‘ blieb scheinbar unentdeckt. Vielleicht war es sein erster inoffizieller Gang in die BRD, jedoch nicht sein letzter. Angeblich soll er sich in seiner Zeit als Schiffsarzt öfter mal beim Landgang davongestohlen haben, um seine Herzdame, die ursprünglich auch aus der Region stammte und mit ihrer Familie nach Westdeutschland geflohen war, zu besuchen. Hierfür gereichte ihm der westdeutsche Ausweis seines Verwandten zum Nutzen. Seine Sehnsucht und Kühnheit reichten sogar soweit, dass er sich bei einem Landgang in London ein Flugticket geholt haben soll, um kurz nach Westdeutschland zu reisen. All diese kurzen Besuche blieben wohl unerkannt oder er blieb zumindest aus unbekannten Gründen unbehelligt.

Im September 1966 wagte Ulrich Peters erneut, über den im vergangenen Jahr gelungenen Weg in die Bundesrepublik zu kommen. Er ließ sich wieder von der Mutter seines Gefährten der vorherigen Ostseeüberquerung zum Gellen nach Hiddensee übersetzen, von wo er mit einem Faltboot startete. Diesmal waren die Wetterbedingungen jedoch nicht optimal und als ein Sturm aufkam, alarmierte die Bekannte telefonisch ihren Sohn in Westdeutschland über den Vorgang. Dieser versuchte von der westdeutschen Seite aus, den Bundesgrenzschutz dazu zu bewegen, nach Ulrich Peters zu suchen, was ihm aber nicht gelang. Das Faltboot soll wohl am nächsten Tag schon mit einigen Kleidungsstücken auf Hiddensee wieder angeschwemmt worden sein, doch Ulrich Peters war verschollen.

Aus Vorermittlungsunterlagen der Zentralen Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität (ZERV) ist Folgendes bekannt: Am 7. Dezember 1966 wurde seine Leiche am Strand von Simrishamn, Schweden, gefunden. Am 9.12. wurden seine sterblichen Überreste obduziert, hierbei fand man bei der Leiche einen Plastikbeutel mit einem Segelschein, ausgestellt auf Dr. Ulrich Peters, einen Personalausweis der Bundesrepublik Deutschland, ausgestellt auf jemanden aus Heide/Holstein mit gleichem Nachnamen, sowie eine Fünfzigmarknote.

Es ist nicht klar, wann genau seine Familie in Greifswald von seinem Tod erfahren hat. Die Genehmigung des Rats des Kreises Greifswald zur Überführung der Leiche des Verstorbenen von Schweden nach Greifswald ist auf den 2. Mai 1967 datiert, die Freigabe seitens der schwedischen Behörden trägt das Datum vom 13. Juni. Wahrscheinlich sehr zeitnah nach dem Eintreffen am Zielort wurden Ulrich Peters‘ sterbliche Überreste am 16. Juni auf dem Alten Friedhof in Greifswald beigesetzt.

Bis zu diesem Zeitpunkt gab es aber Unsicherheiten über den Verbleib von Ulrich Peters, sowohl in der DDR als auch auf westdeutscher Seite. Einer Lochkartei des MfS ist zu entnehmen, dass im November 1966 bekannt wurde, dass Peters wohl am 24. September eine Reise nach Ungarn unternommen haben soll, von der er noch nicht zurückgekehrt sei. Vorerst vermutete man, dass er über Österreich nach Westdeutschland geflohen sei und leitete ein Ermittlungsverfahren ein. Weder seine Angehörigen aus Greifswald noch seine westdeutsche Verwandtschaft konnten Auskunft über seinen Verbleib geben. Ein späterer Eintrag dokumentiert dann den Fund seiner Leiche am 7. Dezember 1966 in Schweden und die Löschung der Fahndung nach Ulrich Peters.

In der Bundesrepublik beschäftigte man sich zeitlich etwas später, jedoch länger mit seinem Verschwinden: Am 13. Dezember 1966 erhielt ein in Reutlingen lebender Bekannter von Ulrich Peters eine Postkarte aus Greifswald mit der Notiz, dass der Greifswalder Arzt angeblich vom 18.9. bis 19.10.1966 in der damaligen CSSR gewesen sein soll, aber bis November immer noch nicht nach Greifswald zurückgekehrt sei. Am 18. Dezember wandte sich der Mann aus Reutlingen dann an die Vereinigung der Opfer des Stalinismus in Bonn, um herauszufinden, „ob Dr. Peters etwa in der BRD aufgetaucht“ sei. Die Organisation konnte nur mitteilen, dass zu diesem keine Erkenntnisse vorlägen und dass auch Erkundigungen beim Notaufnahmelager Gießen sowie verschiedenen Flüchtlingsverbänden ohne Erfolg blieben. Im April meldete sich der Reutlinger erneut bei der Vereinigung und teilte mit: „Am 19.3. schrieb mir die schon vorher erwähnte Dame: -Dr. Peters ist tot, an Schwedens Küste angeschwemmt, mysteriös- Damit hat Ulbricht‘s Großzuchthaus wieder ein Opfer. Näheres wäre jetzt wohl am besten von Schweden zu erfahren, u.a., ob er ertrunken oder erschossen ist, was die Besatzungen der Seewanzen auch weit außerhalb der eigenen Hoheitsgewässer bei ihren ‚Rettungen aus Seenot‘ zu tun pflegen, wie ich es von dem Fluchtversuch einiger Stralsunder Lehrlinge 1964 weiß.“ Dies veranlasste den Verband dazu, sich an den Untersuchungsausschuss freiheitlicher Juristen zu wenden, welcher am 11. Mai 1967 den Vorfall an die Zentrale Erfassungsstelle der Landesjustizverwaltungen in Salzgitter (ZESt) meldete. Es wurde ein „Vorermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen Verdachts des Totschlags z[um] N[achteil] Ulli Peters“ eingeleitet. In einem weiteren Brief aus Greifswald an den Herrn aus Reutlingen vom August 1967 berichtet die Bekannte, dass Ulrich Peters nun in Greifswald im Familiengrab „neben seinen Großeltern in einem Meer von Blumen“ beigesetzt wurde und ergänzte: „Wie man jetzt hört, ist er schon vom Urlaub zurück gewesen und war auf Hiddensee, daher an Schwedens Küste. Er war dort am 7.12. beigesetzt worden. Verzögert soll sich die Überführung haben durch eine Zollangelegenheit.“, was der Empfänger des Schreibens als Lügengeschichte deutete, welche einen anderen Tatbestand, seiner Ansicht nach Erschießen, vertuschen sollte. Die ZESt fand im Zuge der Ermittlungen heraus, dass Peters zuvor schon einmal über die Ostsee geflohen war und befragte im April 1968 seinen einstigen Fluchtgefährten. Dieser gab jedoch an, seit ihrer gemeinsamen Flucht keinen Kontakt mehr zu ihm gehabt zu haben. Er persönlich glaube jedoch nicht an eine Tötung durch die Grenzsicherungsorgane, da seine noch in der DDR lebende Mutter ihm mitgeteilt habe, dass zum Zeitpunkt der Flucht ein heftiger Sturm geherrscht habe und er einen Unglücksfall infolge der Witterungsbedingungen für wahrscheinlicher hielte. Die vermeintliche Beihilfe seiner Mutter verschwieg er. Die Ermittler der ZESt ließen sich aus Schweden Fotokopien der Protokolle über den Todesfall zu Peters zusenden, um mehr zu erfahren. Aus dem Obduktionsprotokoll geht hervor, dass aufgrund der fortgeschrittenen Verwesung die Todesursache nicht eindeutig feststellbar war, aber sich keine Hinweise für ein fremdes Verschulden fanden und man annehme, dass der Tod durch Ertrinken eingetreten sei. Diese Information veranlasste die Mitarbeiter der westdeutschen Behörde, den Fall nicht in die Liste der Totschläge aufzunehmen und von einer Vorlage zu Verfolgung eines Strafverfahrens abzusehen.

Ob es sich bei Ulrich Peters letztem Versuch, in die Bundesrepublik zu kommen, um eine Flucht mit dem Ziel, sich nun in Westdeutschland niederzulassen, handelt, bleibt ungewiss. Seine Familie in Greifswald wies eine mögliche Flucht immer zurück und hielt daran fest, dass er bei einem Segelunfall ums Leben gekommen sei. Ob dies mit dem Ziel geschah, den unbescholtenen Leumund der Familie zu schützen oder auf Druck von dritter Seite kam, ist nicht mehr zu ergründen. Doch nach seinem Tod durfte sein Bruder, der auch Arzt war, die Praxis nicht mehr übernehmen. Der Fassung, dass er vom Urlaub im September zurückgekehrt und nochmal nach Hiddensee zum Segeln gewesen sei, wo er verunglückte, widerspricht allerdings die Lochkartei des MfS zu Peters‘ Verschwinden, da hier seine Familie nach November 1966 angab, nichts von ihm gehört zu haben, seit er von seiner angeblichen Reise nach Ungarn nicht zurückgekehrt war. Was die berufliche Karriere betraf, hatte Peters keine Not. Auch ist nichts bekannt über eine regimekritische Haltung, die ihn dazu hätte veranlasst haben können, die DDR zu verlassen. Auffallend ist, dass seine wiederholten Ausflüge nach Westdeutschland vorher scheinbar ohne Konsequenzen blieben. Aufschluss darüber könnte seine Stasi-Akte geben, doch die wurde laut Eintrag auf der Lochkartei am 7. November 1969 vernichtet.

Der Tod von Ulrich Peters und die dazugehörige Geschichte stechen durch die widersprüchlichen Einzelheiten heraus. Es ist nicht klar, ob es sich bei seinem Wagnis tatsächlich um eine Flucht handelte oder einen erneuten Versuch, nur auf eine bestimmte Zeit nach Westdeutschland zu gehen, um später wiederzukehren. Sicher ist jedoch, dass Ulrich Peters die DDR entgegen den damals geltenden gesetzlichen Bestimmungen verlassen hat.



Biografie von Ulrich Peters, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/ulrich-peters/, Letzter Zugriff: 27.04.2024