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Biografisches Handbuch

Friedrich Lorenz jr.

geboren am 15. Dezember 1923 im nordböhmischen Varnsdorf (dt. Warnsdorf) | erschossen am 24. April 1955 | nahe der Kreuzung U Jána unterhalb des Berges Bouřný (Friedrichsberg) im Lausitzer Gebirge
BildunterschriftFriedrich Lorenz
BildquelleMartin Pulec
Quelle: Martin Pulec
Eine ČSR-Patrouille entdeckte im Grenzgebiet zur DDR eine Fußspur im Schnee, die ins Landesinnere führte. Kurz darauf stießen die Grenzsoldaten auf einen Mann, der sodann versuchte auf DDR-Gebiet zu entkommen. Sie eröffneten das Feuer auf den Flüchtenden und verwundeten ihn tödlich.

Friedrich (Bedřich) Lorenz jr. wurde am 15. Dezember 1923 im nordböhmischen Varnsdorf (dt. Warnsdorf) in eine deutsch-tschechische Familie geboren. Seine Mutter Ottilia Lorenz, geb. Teubner (1901-1990), war Deutsche mit jüdischen Vorfahren. Der Vater Friedrich (Bedřich) Lorenz sr. (1896-1962) war Tscheche und arbeitete als selbstständiger Handelsvertreter für verschiedene Textilfabriken in der Gegend um Varnsdorf. Friedrich Lorenz jr. hatte zwei jüngere Geschwister, Walter und Karin (1939-2010). Anfang der 1930er Jahre besuchte er in Varnsdorf ein deutsches Gymnasium. Bei der Volkszählung von 1930 bekannte sich die Familie Lorenz zur deutschen Nationalität. Bei der Volkszählung im Jahre 1939 in den ein Jahr zuvor von Deutschland annektierten Gebieten wählten jedoch alle Familienmitglieder bis auf Ottilia Lorenz die tschechische Nationalität. Die Familie Lorenz entging nach Kriegsende aufgrund der jüdischen Herkunft von Ottilia Lorenz der Vertreibung. Infolge der kommunistischen Machtübernahme 1948 verlor Friedrich Lorenz sr. seine Arbeit und der Familienbesitz wurde enteignet. Die Familienangehörigen wanderten in den folgenden Jahren nach Deutschland aus. Als letzter verließ Friedrich Lorenz sr. 1953 die Tschechoslowakei.

Nachdem Friedrich Lorenz jr. seine Vorarbeiter-Stelle in einer Textilfabrik in Krásná Lípa (dt. Schönlinde) aufgegeben hatte, zog er in die DDR um und heiratete die ebenfalls aus Varnsdorf stammende Christina Held. Von Großschönau (Sachsen) aus überquerte Lorenz mehrmals illegal die Grenze in sein Heimatland und betrieb dabei Schwarzhandel, Schmuggel sowie Spionage. Gemeinsam mit einem Freund schleuste er auch politische Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei nach West-Berlin. 1951 befürchtete Lorenz jr. seine Verhaftung in der DDR und flüchtete mit seiner Frau und der gemeinsamen Tochter Ursula nach West-Berlin.

Von dort aus zog die Familie nach Trier, wo Lorenz jr. später gemeinsam mit seinem Vater ein Textilgeschäft mit Lieferservice betrieb. Er war als Geschäftsmann erfolgreich, widmete sich seinen Hobbies wie Leichtathletik und Motorradfahren und führte eine harmonische Ehe.. Neben seiner beruflichen Tätigkeit diente er offenbar einem der amerikanischen Geheimdienste als Kurier oder „Agent-Fußgänger“ zur Spionage in der ČSR. Da die tschechoslowakische Westgrenze mit ihren starkstromgeladenen Stacheldrahtzäunen, Minen und schweren Patrouillen kaum passierbar war, wählte er den Weg über West-Berlin und die DDR. Bis 1953 arbeitete er mit seinem Vater in der Tschechoslowakei bei den Einsätzen zusammen, später erledigte er seine Aufgaben selbstständig. Für die Geheimdienstarbeit stand ihm in der Tschechoslowakei ein Netzwerk von Mitarbeitern zur Verfügung, denen Friedrich Lorenz jr. bei seinen Besuchen Anweisungen erteilte, die er ausbildete und finanziell unterstützte. Oft war es das Versprechen, später in den Westen ausgeschleust zu werden, das seine Kontaktleute dazu bewegte, für ihn Informationen wirtschaftlicher, militärischer und politischer Art zu sammeln. Als seine Ehefrau aber die Geburt ihres zweiten Kindes erwartete, entschloss sich Lorenz seine Spionagetätigkeit zu beenden. Im April 1955 wollte er zu seinem letzten Geheimdiensteinsatz aufbrechen.

Am Nachmittag des 24. April 1955 durchschnitt er im Schutz eines Schneesturms am Fuße des Berges Luž (dt. Lausche) bei Waltersdorf (Gemeinde Großschönau) einen Drahtzaun an der tschechischen Grenze. Er stieg durch die so entstandene Lücke und befestigte den Stacheldraht wieder hinter sich. Dann schritt er weiter ins tschechische Landesinnere, wobei er im Schnee rückwärtsgehend eine andere Richtung vorzutäuschen suchte. Zu dieser Zeit patrouillierte jedoch in der Nähe entlang des Grenzzaunes eine Streife, bestehend aus Jan Teník und Kamil Hudec als Postenführer. Sie bemerkten die frischen Spuren im Schnee, die sie zum durchgeschnittenen Zaun führten. Die Grenzwachen schlussfolgerten jedoch richtig, dass die Drähte im Zaun ins Landesinnere umgebogen worden waren und folgten den Spuren in umgekehrter Richtung.

Da das Feldtelefon nicht funktionierte, zündeten Hudec und Teník, um Verstärkung herbeizurufen, eine Leuchtrakete, die einen Durchbruch ins Innere signalisierte, und schossen dabei zusätzlich in die Luft. Die Signale wurden von ihren Kameraden nicht bemerkt, aber Friedrich Lorenz jr. hörte sie. Nach einer acht Kilometer langen Verfolgung holte ihn die Streife in der Nähe der Straße von Horní Světlá nach Nová Huť (dt. Oberlichtenwalde – Neuhütte) in der Nähe der Kreuzung U Jána ein.

Um sein Leben zu retten, ließ Lorenz seinen Mantel, seine Waffe und das Gepäck vor Ort, zog sich Turnschuhe an und rannte schnellstmöglich zur Grenze zurück. Dabei eröffnete die Patrouille das Feuer auf ihn. Schüsse trafen den 31-Jährigen in die Hüfte und ins Bein, er taumelte und stürzte nach wenigen Schritten zu Boden. Die Grenzer näherten sich vorsichtig und legten ihm sofort Handschellen an, ohne Erste Hilfe zu leisten. Danach verließ Kamil Hudec den Tatort und ging zum Grenzposten, um Meldung zu erstatten. Jan Teník bewachte den Verwundeten. Als Hudec mit seinen Vorgesetzten vom Grenzposten zurückkam, war Friedrich Lorenz jr. bereits tot. Seine Leiche wurde an einem unbekannten Ort beerdigt, angeblich auf einem verlassenen deutschen Friedhof. Die Grenzsoldaten Jan Teník und Kamil Hudec erhielten für die tödliche Aktion später Auszeichnungen.

An den von Friedrich Lorenz jr. zurückgelassenen Gegenständen und Papieren erkannten die Grenzwachen, dass es sich bei ihm um den Agenten eines westlichen Geheimdienstes handelte. Deshalb übernahm die tschechoslowakische Staatssicherheit den Fall. Sie nutzte die gefundenen Dokumente und einen zufällig entdeckten toten Briefkasten für eine umfangreiche Aktion, in deren Ergebnis der Erschossene, der lediglich Tarnausweise auf die Namen Rudolf Valtera und Bruno Noller mitgeführt hatte, identifiziert werden konnte. Mehrere seiner tschechoslowakischen Kontaktleute wurden aufgespürt und verhaftet. Mit fingierten Briefen, die Auskunft über seinen Sohn versprachen, versuchte die Staatssicherheit Lorenz sr. in die DDR zu locken. Dort wurde in Zusammenarbeit mit dem MfS bereits seine Verhaftung vorbereitet. Obwohl die ganze Familie sehr unter dem Verschwinden von Lorenz jr. litt, ging sein Vater nicht auf das Ansinnen ein.

Nach harten und gnadenlosen Ermittlungen, bei denen die meisten Beschuldigten bereits unter Halluzinationen, Selbsttötungsgedanken und anderen körperlichen und psychischen Störungen litten, wurden sie Mitte 1956 wegen Spionage und Hochverrats mit Freiheitsentzug bis zu 18 Jahren und Eigentumsverlust bestraft. Im Anschluss an den Hauptprozess fand ein Teilprozess statt, der eine Reihe weiterer Personen ins Gefängnis brachte, insbesondere wegen Beihilfe zum Verlassen der Republik und Nichtanzeige einer Straftat. Mit der Übergabe der Angeklagten an die Justiz wurde am 6. Mai 1956 in Rudé Právo, der Zeitung der Kommunistischen Partei der ČSR, ein propagandistischer Artikel veröffentlicht, der den gesamten Fall beschreibt und über die Erschießung von Bedřich Lorenz Jr. informiert. Die Kontaktleute von Lorenz wurden größtenteils 1960 im Rahmen einer Amnestie aus der Haft entlassen.

Christina Lorenz, heiratete nicht wieder. Auch wenn Friedrich Lorenz jr. 1959 für tot erklärt wurde, hoffte sie insgeheim für den Rest ihres Lebens auf die Rückkehr ihres Mannes. Sie musste ihren Lebensunterhalt als Textilverkäuferin verdienen und sich allein um ihre beiden Töchter kümmerte. Friedrich Lorenz sr. hat sich nie mit dem Tod seines Sohnes abgefunden. Er starb an einem Schlaganfall 1962 unter ungeklärten Umständen in einem Münchener Hotelzimmer. Bis heute ist die Familie davon überzeugt, dass ihn der tschechoslowakische Geheimdienst nach München gelockt und ihm etwas angetan hat.

Im Rahmen der strafrechtlichen Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit befasste sich die Behörde für die Dokumentation und Untersuchung der Verbrechen des Kommunismus bei der Polizei der Tschechischen Republik mit dem Tod von Friedrich Lorenz jr. Zum Zeitpunkt der Ermittlungen waren jedoch die beiden Grenzer, Kamil Hudec und Jan Teník, bereits gestorben. Es gelang weder die letzte Ruhestätte des Erschossenen festzustellen noch die Frage zu beantworten, ob Friedrich Lorenz sr. 1962 einem Racheakt der tschechoslowakischen Geheimpolizei zum Opfer fiel. (MaPu, Übers. MZ)


Biografie von Friedrich Lorenz jr., Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/friedrich-loren-jr/, Letzter Zugriff: 27.04.2024