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Biografisches Handbuch

Reginald Lehmann

geboren am 10. März 1930 in Riesa | erschossen am 27. Juli 1956 | Ort des Vorfalls: bei Ilsenburg (Sachsen-Anhalt)
Bei dem Versuch, die Grenze zwischen Sachsen-Anhalt und Niedersachsen nahe des Flusses Ecker zu überwinden, wurde Reginald Lehmann von Grenzposten entdeckt und festgenommen. Nach erneutem Fluchtversuch traf ihn ein tödlicher Schuss in den Rücken.

Reginald Albert Lehmann wurde am 10. März 1930 im sächsischen Riesa geboren. Dort lernte er im Jahre 1950 auch seine zukünftige Frau kennen. Zu dieser Zeit war er bei der Wismut AG im Uranbergbau beschäftigt. Anschließend arbeitete er kurzzeitig in einem Stahlwerk in Riesa und fand dann eine Anstellung bei der Gesellschaft für Sport und Technik (GST). Nach der Hochzeit im Dezember 1954 bezog das Ehepaar seine erste gemeinsame Wohnung in Riesa. Seit 1956 war Reginald Lehmann als Kraftfahrer bei der Kasernierten Volkspolizei, in der Dienststelle Zeithain, tätig.

Im Juli 1956 besuchte die Ehefrau Lehmanns einen Lehrgang. Am Freitag, dem 27. Juli, kam sie gegen 17 Uhr nach Hause und wunderte sich, dass ihr Mann noch nicht da war. In der Wohnung fand sie lediglich seine Uniform, die über einem Stuhl hing. Sie machte sich auf den Weg zu ihren Eltern, vielleicht war dort auch ihr Mann. Gerade in der elterlichen Wohnung eingetroffen, klingelten zwei Offiziere an der Tür. Ohne Umschweife teilte man ihr mit, dass ihr Mann tot sei, er habe versucht, Fahnenflucht in die Bundesrepublik zu begehen. An dem Grenzfluss Ecker sei er von Grenzposten entdeckt und aufgefordert worden stehenzubleiben. Da er den Befehl ignoriert habe, sei er erschossen worden. Frau Lehmann konnte sich nicht erklären, warum ihr Ehemann überhaupt in den Westen wollte. Nie hatte er darüber ein Wort verloren, dass er mit ihrer Ehe oder seiner Arbeit bei der Kasernierten Volkspolizei unzufrieden sei, und nun sollte er plötzlich aus dem Nichts heraus eine spontane Entscheidung zur Flucht getroffen haben? Frau Lehmann vermutete, dass es vielleicht doch Ärger auf der Arbeit gab. Vielleicht hatte er vor, seine zwei Schwestern, die im Rheinland lebten, zu besuchen. Allerdings beschränkte sich der Kontakt zu dieser Westverwandtschaft auf Geburtstags- und Weihnachtskarten. Auch Reginald Lehmanns Eltern konnten sich nicht erklären, was ihren Sohn zum Fluchtversuch in die Bundesrepublik bewogen haben soll. Fluchtabsichten hatte er auch ihnen gegenüber nicht geäußert.

Als Frau Lehmann am Abend des Unglückstages in ihre Wohnung zurückkehrte, stellte sie fest, dass der gute gestreifte Anzug, ein Koffer und Unterwäsche ihres Mannes fehlten, außerdem sein Ausweis, sein Führerschein, sein Fahrlehrschein, der Dienstausweis, ein FDJ- und ein Parteidokument. Hatte Reginald Lehmann vielleicht doch insgeheim seine Flucht sorgfältig vorbereitet? Einen Abschiedsbrief an seine Ehefrau, der Licht ins Dunkel hätte bringen können, hinterließ er nicht.

Die Wachposten im Abschnitt Maitzenkopf bis großes Maitzental bemerkten am 27. Juli 1956, gegen 20 Uhr, eine männliche Person, die sich in hohem Tempo in Richtung Grenze zwischen Sachsen-Anhalt und Niedersachsen bewegte. Die Grenzposten nahmen seine Verfolgung auf und stellten ihn. Sie führten den Mann entlang des Grenzweges am Stacheldrahtzaun ab. Der Postenführer ging hinter ihm, seine Maschinenpistole im Hüftanschlag. Plötzlich sprang der Festgenommene in ein durch Unwetter ausgespültes Erdloch und kroch unter dem Stacheldrahtzaun hindurch. In gebückter Haltung bewegte er sich dann weiter auf den noch etwa zwei Meter entfernten Grenzfluss Ecker zu. Dann fiel ein gezielter Schuss, der den Mann in den Rücken traf. Er sackte kurz zusammen, versuchte aber dennoch, sich weiter fortzubewegen. Einer der Posten sah, wie der noch vorwärts Taumelnde stürzte und mit dem Kopf gegen einen Baumstumpf schlug. Das Postenpaar erreichte den Verletzten, zog ihn zurück auf den Grenzweg und verband ihn notdürftig. Mit Hilfe weiterer herbeigeeilter Grenzpolizisten wurde eine behelfsmäßige Trage angefertigt und der Verletzte abtransportiert. Reginald Lehmann überlebte diesen Transport nicht. Gegen 21 Uhr hörte sein Puls auf zu schlagen.

Die am 30. Juli 1956 durchgeführte Sektion des Leichnams im Gustav-RückertKrankenhaus in Magdeburg ergab als Todesursache eine „innere und äußere Verblutung durch Gefäßzerreißung“ durch einen „Durchschuss von hinten nach vorn“. Ein Fernschreiben an die Grenzbereitschaft Halberstadt enthielt die Mitteilung, die Witwe und die Eltern Reginald Lehmanns hätten der Verbrennung seiner Leiche zugestimmt. Während der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen in den 1990er Jahren erklärte die Witwe jedoch, dass sie niemals ihr Einverständnis dafür gegeben habe. Zudem sei sie danach auch gar nicht gefragt worden. Nach der Urnenüberführung veranlasste die Witwe die Beisetzung ihres Mannes in Riesa.

Etwa vier Wochen nach dem Grenzzwischenfall wurde der Schütze für sein Verhalten ausgezeichnet. Er bekam eine Armbanduhr mit gravierter Widmung des Chefs der Deutschen Grenzpolizei und erhielt die Auszeichnung „Vorbildlicher Postenführer“. Der Schusswaffeneinsatz sei in Übereinstimmung mit den Schusswaffengebrauchsbestimmungen erfolgt und somit gerechtfertigt gewesen. Die Aussagen des damaligen Postenführers während der Untersuchungen in den 1950er Jahren unterschieden sich nicht wesentlich von seiner Schilderung während der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen in den 1990er Jahren. Zudem räumte der Beschuldigte nun ein, die von ihm zunächst festgenommene Person in den Rücken geschossen zu haben, betonte jedoch, dass er lediglich einen Warnschuss abgeben wollte. Auch nach Vorhalt des Widerspruchs zum Untersuchungsbericht, nach dem es sich um einen gezielten Hüftschuss handelte, blieb er dabei, dass er nur einen Warnschuss hätte abgeben wollte, der dann zufällig getroffen habe. Der Beschuldigte erklärte weiter, er habe die Person nicht töten wollen, aus heutiger Sicht tue es ihm leid. Das Landgericht Magdeburg verurteilte den Schützen im Jahre 1998 zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr.


Biografie von Reginald Lehmann, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/79-reginald-lehmann/, Letzter Zugriff: 21.11.2024