In der Nacht vom 1. zum 2. Oktober 1952 kehrten eine Frau und drei Männer aus Bayern nach Thüringen zurück. Sie hatten hauptsächlich Lebensmittel und Haushaltswaren eingekauft und wollten über den Grenzort Spechtsbrunn (Landkreis Sonneberg) wieder ihre Heimatorte erreichen.
Gegen Mitternacht bemerkte eine Grenzstreife des Kommandos Neuenbau die Gruppe, die sich bereits wieder auf thüringischem Gebiet befand. Oberwachtmeister H. und der Grenzpolizeianwärter G. warteten ab, bis sie nähergekommen war und forderten die Frau und die drei Männer schließlich laut auf, sofort stehenzubleiben. Doch die vier Personen flüchteten ins dichte Unterholz. In der Dunkelheit konnten die Grenzpolizisten nur noch die Geräusche von Schritten und brechenden Zweigen wahrnehmen. Um die Flüchtenden nicht entkommen zu lassen, gab G. nach einem Warnschuss einen gezielten Schuss in Richtung der Davonlaufenden ab. Als danach nur noch zwei Personen weiterliefen und in der Dunkelheit verschwanden, begannen die Grenzpolizisten, vorsichtig das Unterholz abzusuchen. Sie entdeckten den Einkauf der Grenzgänger verstreut auf dem Boden. Für die beiden Posten war das schlicht „Schieberware“. Dann spürten sie im Dickicht die 24-jährige Carola G. auf, die in dem etwa zehn Kilometer entfernten Ort Lichte wohnte. Sie war unverletzt. In ihrem Rucksack transportierte sie Wolle, Bücklinge und einen Fuchspelz. Doch die vierte Person aus der Gruppe blieb verschwunden. In der Dunkelheit erschien es den Posten aussichtslos weiterzusuchen.
Am nächsten Morgen fanden sie die Leiche eines jungen Mannes, die zunächst nicht identifiziert werden konnte, weil sich keine Ausweispapiere bei dem Toten fanden. Die Karabinerkugel hatte ihn ins Herz getroffen. Er trug die Kleidung eines Bergarbeiters der Wismut AG und führte in seinem Rucksack Palmin, Heringe und Nägel mit sich. Erst am folgenden Tag wurde der Tote von seiner Mutter identifiziert, die sich, wahrscheinlich beunruhigt über das Ausbleiben ihres Sohnes, bei der Grenzpolizei gemeldet hatte. Das Todesopfer hieß Siegfried Neumann, war 18 Jahre alt und hatte als Bergarbeiter in Piesau (Landkreis Saalfeld-Rudolstadt) gelebt. Schmerzlich musste die Mutter nun erkennen, wie berechtigt ihre Angst und auch ihre Ermahnungen waren, mit denen sie ihren Sohn schon mehrfach vor den gefährlichen Grenzübertritten hatte abhalten wollen.
Die Beamten der ZERV versuchten in den 1990er Jahren vergeblich, den Schützen und seinen Kollegen zu ermitteln. Die Berliner Staatsanwaltschaft stellte deswegen 1994 das Ermittlungsverfahren ein. Anlässlich des Rennsteigkirchentages wurde 2009 auf der Schildwiese zwischen Spechtsbrunn und Steinbach am Wald ein Mahnmal eingeweiht, das an die „Opfer von Mauer und Stacheldraht“ erinnert. Eine Tafel führt chronologisch geordnet die Namen von zwölf Männern auf, die in diesem Grenzabschnitt getötet wurden, darunter Siegfried Neumann an dritter Stelle.