Kevin Strecker erblickte am 29. Dezember 1980 in Berlin-Lichtenberg als zweites von vier Kindern von Heidrun Strecker, geborene Wolfgang, und Oliver Strecker das Licht der Welt. Sein älterer Bruder Marc wurde 1979 geboren, die beiden jüngeren Brüder Steven und Dusty in den Jahren 1985 und 1987. Kevins Mutter hatte 1977 eine Lehre als Bauzeichnerin im VEB Wasserversorgung und Abwasserbehandlung Berlin aufgenommen und 1979 erfolgreich abgeschlossen. Im selben Jahr hatte sie Oliver Strecker geheiratet.
Im Alter von acht Monaten war Kevin schwer erkrankt und seitdem in ständiger neurologischer Behandlung. Um sich besser um Kevin kümmern zu können, löste Heidrun Strecker ihr Arbeitsverhältnis im Maschinenbauhandel auf. Trotz aller Bemühungen blieb Kevin seit seiner Erkrankung in seiner Entwicklung immer etwas zurück. Im März 1984 nahm Heidrun Strecker eine Tätigkeit als Technische Zeichnerin im VEB Transformatorenwerk „Karl Liebknecht“ auf. Nach der Geburt ihres vierten Kindes zog die Familie 1987 nach Berlin-Ahrensfelde.
Kevins Eltern ließen sich im Januar 1989 scheiden. Zu diesem Zeitpunkt führte die 28-jährige Heidrun Strecker bereits eine Beziehung mit dem in Berlin-Karlshorst lebenden 29-jährigen Uwe H. Er ließ sich im März 1989 ebenfalls scheiden und teilte Anfang Mai 1989 Heidrun Strecker mit, dass er eine Urlaubsreise in die ČSSR nutzen wollte, um in die BRD zu flüchten. Heidrun Strecker, die weiterhin mit H. zusammenleben wollte, beschloss, an diesem Fluchtvorhaben trotz aller Vorbehalte teilzunehmen. Auch die vier Kinder wollte sie mitnehmen. Der Halbbruder von Uwe H., der 25-jährige Mirko R., wollte ebenfalls mit ihnen flüchten. Sowohl H. als auch R. waren unzufrieden mit den politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen in der DDR. Beide hatten Anträge zur ständigen Ausreise aus der DDR gestellt, was Probleme und staatliche Repressionen nach sich zog. Die Brüder hielten sich mit verschiedenen Arbeiten über Wasser. Zum Beispiel boten sie mit ihren Privatwagen illegale Taxifahrten an, was sich als eine gute Einnahmequelle erwies, da Taxis in der DDR Mangelware waren.
Den PKW von Uwe H., einen „Wolga“, wollten sie zu Pfingsten 1989 zur Flucht nach Westdeutschland nutzen, nachdem sie im westlichen Rundfunk einen Bericht über eine gelungene Flucht mit einem PKW „Trabant“ gehört hatten. Nach dem Studium von Landkarten planten sie den Grenzdurchbruch im Raum Domažlice. Mirco R. sagte im Zeitzeugeninterview, die drei Erwachsenen seien sich darüber einig gewesen, den Fluchtversuch zu unterlassen, falls sich vor Ort erweisen sollte, dass er zu gefährlich wäre und misslingen könnte.
Um in die ČSSR reisen zu können, benötigte man reguläre Personalausweise. Uwe H. und Mirko R. besaßen jedoch nur vorläufige Personalausweise (PM 12), die die Volkspolizei an sozial Auffällige, politische Gegner oder auch Ausreiseantragsteller ausgab. Wer einen solchen PM 12 erhielt, musste diverse Auflagen erfüllen wie z.B. sich regelmäßig bei der Polizei melden und sich von bestimmten Bezirken oder Kreisen fernhalten. Zudem berechtigte der PM 12 nicht zur Einreise in osteuropäische Länder. Daher zogen Uwe H. und Mirko R. einige Zeit vor der geplanten Flucht ihre Ausreiseanträge zurück, gaben sich geläutert und erhielten ihre Personalausweise zurück.
Mirko R. verkaufte seinen „Wolga“, um Geld für das Fluchtvorhaben zu beschaffen. Um das Fluchtfahrzeug auszupolstern, erwarben die drei Erwachsenen Handtücher, Bettwäsche, Decken und Schlafsäcke. Am 10. Mai 1989 mieteten sie beim Autoverleih Berlin zudem einen Campinganhänger. Bereits einen Tag später, am 11. Mai, reisten sie über die Grenzübergangsstelle Zinnwald in die ČSSR ein. Über Prag und Karlovy Vary fuhren sie weiter zum Campingplatz „Babylon“, wo sie am 13. Mai eintrafen. Dieser Campingplatz befindet sich südwestlich der Bezirksstadt Domažlice in unmittelbarer Nähe zur Autobahn bei Česká Kubice und Folmava, nur wenige Kilometer entfernt von der Grenze zur Bundesrepublik.
An den darauffolgenden Tagen begannen die drei Erwachsenen die Gegend nach einer geeigneten Stelle für den Grenzdurchbruch zu erkunden. Zuerst machten sie sich mit den Kindern zu Fuß auf den Weg zum Grenzübergang Folmava. Da Kevin und Dusty jedoch nicht so weit laufen konnten, kehrte Heidrun Strecker mit ihnen nach etwa der Hälfte des Weges zum Campingplatz zurück. Die beiden Männer liefen mit Marc und Steven weiter, um eventuell herauszubekommen, aus welchem Material die Grenzschranken bestanden. Sie gingen davon aus, dass diese aus Plastik oder Holz wären und somit keine große Sperrwirkung hätten. Als jedoch ČSSR-Grenzsoldaten die beiden Männer und die Jungen kontrollierten, kehrten sie vorsichtshalber zum Campingplatz zurück. Nun fuhren Uwe H. und Mirko R. mit ihrem Fahrzeug nach Železná Ruda, um sich einen Eindruck über die Sicherung des dortigen Grenzübergangs zu verschaffen. Doch auch dort kamen sie nicht nah genug an den Grenzbereich heran; sie wurden erneut kontrolliert und ihre Namen notiert. Gegen 21 Uhr kehrten sie auf den Campingplatz zurück.
Am Vormittag des 15. Mai begannen die konkreten Vorbereitungen für die Flucht. Um bei einer möglichen Kollision mit Grenzsperranlagen die Verletzungsgefahren vor allem für die Kinder so gering wie möglich zu halten, polsterten sie das Fahrzeuginnere zwischen den Vorder- und Rücksitzen mit einem Schlafsack aus, der mit Bekleidung und Federbetten gefüllt war. Zwei Feuerlöscher und Verbandszeug wurden ebenfalls im Fahrzeug deponiert. Heidrun Strecker und die Kinder sollten sich während des Grenzdurchbruchs flach auf die Rücksitzbank bzw. zwischen Vorder- und Rücksitze des PKWS legen und dabei so gut wie möglich abgedeckt und geschützt werden. Für den Fall einer Festnahme sollte Heidrun Strecker aussagen, sie hätte keine Kenntnis von dem Vorhaben gehabt und sei im PKW eingeschlafen.
Gegen 14 Uhr verließen die drei Erwachsenen mit den Kindern den Campingplatz, den Wohnanhänger ließen sie zurück. Sie fuhren nochmals nach Železná Ruda, in der Hoffnung, den Grenzbereich dieses Mal besser einsehen zu können. Da dies wiederum nicht möglich war, fuhren sie über die Städte Klatovy und Strakonice nach Vimperk, das sie gegen 18 Uhr erreichten. Sie legten eine Verpflegungspause ein und bemerkten, dass das Verkehrsaufkommen in Richtung des Grenzübergangs Strážný weniger hoch war als an den anderen bisher erkundeten Grenzkontrollstellen. Deshalb beschlossen sie, den Fluchtversuch dort zu riskieren. Sie tankten in České Budějovice das Fahrzeug auf und fuhren über Vimperk weiter Richtung Strážný. Doch bereits vor dem Ort Strážný, bei der Ortschaft Hliniště, wurden sie gegen 23.30 Uhr von einer Patrouille der 10. Kompanie Dolni Silnice mit einer Signallampe zum Anhalten aufgefordert. Doch nun gab es kein Zurück mehr, wie sich Mirko R. erinnert, denn nach mehrmaliger Kontrolle durch die ČSSR-Grenzer seien sie bereits aktenkundig geworden und hätten mit ihrer Festnahme rechnen müssen. Sie sahen deswegen keine andere Möglichkeit, als den Grenzdurchbruch zu wagen. Mirko R. beschrieb das im Zeitzeugeninterview als Verzweiflungstat.
Ohne auf die Haltezeichen zu reagieren, durchfuhren sie die Vorkontrolle. Uwe H. duckte sich unter das Lenkrad, Mirko R. hockte im Fußraum vor dem Beifahrersitz und Heidrun Strecker lag mit den Kindern auf der Rückbank. Um sich vor splitternden Autoglasscheiben zu schützen, trugen sie dicke Anoraks und deckten sich mit Wolldecken zu. Unterdessen hatten die alarmierten Grenzsoldaten den ersten Schlagbaum an der Straße von Strážný zum bayerischen Grenzort Philippsreut heruntergelassen. Trotz weiterer Aufforderungen anzuhalten, raste Uwe H. mit etwa 100 km/h an den Grenzern vorbei und rammte den stählernen Schlagbaum. Durch den Aufprall wurde das Autodach abgerissen und die Kinder Kevin und Marc aus dem Fahrzeug geschleudert. Uwe H. verlor die Kontrolle über den Wagen, der nach etwa 90 Metern rechts im Straßengraben zum Stehen kam.
Heidrun Strecker, Uwe H. und Mirko R. kletterten aus dem PKW und flüchteten mit Steven und Dusty in den nahgelegenen Wald. ČSSR-Grenzsoldaten nahmen ihre Verfolgung auf und gaben dabei Warnschüsse ab. Die Gruppe setzte dennoch ihre Flucht durch den Wald bis zu einer Lichtung fort. Als sie dort ČSSR-Soldaten erblickten, versteckten sie sich zwischen den Bäumen unter einer Decke, die sie noch bei sich trugen.
Der in der Nähe des PKW zurückgelassene Marc wurde durch Grenzsoldaten aufgefunden. Einer von ihnen sprach etwas Deutsch und versuchte, das Kind über den Vorfall auszufragen. Der Junge war bis auf einige Kratzer unverletzt geblieben, stand allerdings unter Schock und konnte kaum etwas antworten. Nach einiger Zeit erzählte er jedoch, dass sie zu siebt unterwegs seien. Zudem würde er seine Schuhe vermissen, die wohl noch im Straßengraben liegen müssten. Bei der Suche nach diesen Schuhen stieß einer der Grenzsoldaten auf ein Kind, das mit dem Gesicht nach unten im Straßengraben lag und sich nicht mehr bewegte. Es handelte sich um Kevin. Der herbeigerufene Arzt konnte nur noch den Tod des Jungen feststellen. Kevins Leichnam wurde in die pathologische Abteilung des Krankenhauses in Česke Budĕjovice überführt, wo in den Nachmittagsstunden des 16. Mai die Obduktion erfolgte. Dem Totenschein ist zu entnehmen, dass Gesichts- und Hirnschädelfrakturen mit Hirnprellungen zum Tod des Kindes geführt hatten.
Gegen 1.20 Uhr wurden die drei Erwachsenen und die beiden Kinder durch eine ČSSR-Grenzstreife mit Diensthund aufgespürt und festgenommen. Heidrun Strecker wurde mit einer Gehirnerschütterung und mehreren Verletzungen in die chirurgische Abteilung des Krankenhauses in Vimperk eingeliefert. Nach dem Untersuchungsergebnis der dortigen Ärzte war sie nicht transportfähig und konnte vorerst nicht in eine Haftanstalt überführt werden. Auch ihre Kinder Marc, Dusty und Steven kamen zur Beobachtung in die Kinderabteilung des Krankenhauses.
Gegen Uwe H. und Mirko R., die beide unverletzt geblieben waren, leiteten die Sicherheitsorgane der ČSSR ein Ermittlungsverfahren ein. Auf die Frage nach dem Grund für ihren Fluchtversuch gaben sie an, dass ihre Übersiedlungsanträge nach Westdeutschland durch DDR-Behörden abgelehnt wurden. Außerdem sagten sie aus, dass Heidrun Strecker und die Kinder nichts von dem Fluchtvorhaben gewusst und während des Fluchtversuches auf der Rückbank des Autos geschlafen hätten. Nach Abschluss der Ermittlungen übergaben die ČSSR-Sicherheitskräfte Uwe H. und Mirko R. am 27. Juni 1989 auf dem Prager Flughafen Mitarbeitern des DDR-Staatssicherheitsdienstes. Beide wurden in der MfS-Untersuchungshaftanstalt (UHA) Berlin-Hohenschönhausen inhaftiert. Der gemietete Campinganhänger wurde am 22. Juni 1989 vermutlich von einem Mitarbeiter des VEB Kombinat Berliner Verkehrsbetriebe, Betriebsteil Taxi, in Domažlice abgeholt. Am 3. Juli 1989 erfolgte die Überführung des zerstörten PKW „Wolga“ in die DDR mit sämtlichen Zubehör- und Ersatzteilen.
Die Strafkammer des Stadtbezirks Berlin-Lichtenberg verurteilte Heidrun Strecker am 19. September 1989 wegen versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts in schwerem Fall zu drei Jahren Freiheitsentzug. Durch Beschluss des Stadtbezirksgerichtes Berlin-Lichtenberg vom 10. November 1989 wurde die Restfreiheitsstrafe gemäß § 349 StPo zur Bewährung ausgesetzt. Diesen Beschluss begründete der zuständige Richter folgendermaßen: Die Verurteilte habe aus ihrer Straftat die entsprechend positiven Schlussfolgerungen gezogen und durch vorbildliches Verhalten im Strafvollzug gezeigt, dass sie zukünftig die Gesetze der DDR einhalten wolle.
Am 23. Oktober 1989 verurteilte die Strafkammer des Stadtbezirks Berlin-Lichtenberg auch Uwe H. und Mirko R.: Uwe H. erhielt wegen versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts im schweren Fall in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung im schweren Fall eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und acht Monaten, Mirko R. wegen versuchten illegalen Grenzübertritts im schweren Fall und dessen Vorbereitung eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten. Beide kamen aus der MfS-Haftanstalt Berlin-Hohenschönhausen zur Strafverbüßung in das Gefängnis Rummelsburg im Bezirk Lichtenberg. Dort blieben sie bis zum 23. Dezember 1989 in Haft. An diesem Tage hob der letzte Vorsitzende des DDR-Staatsrates Manfred Gerlach (LDPD) ihre Strafurteile durch Gnadenerweis auf.
In einer „Niederschrift zur Straftat“ vom 28. August 1989 schrieb Uwe H., dass er seine Handlung bereue. Er fühle sich für den tragischen Tod Kevin Streckers schuldig. „Mein Leben, meine Zukunft ist völlig zerstört, ich habe etwas getan, was ich in keiner Form und schon gar nicht mit meinem Gewissen wieder gut machen kann. Das Kind ist tot, was ich nicht wollte, das verzeihe ich mir nie.“ Auch Mirko R. wird diese Geschichte nicht los. „Wir drei haben uns gemeinsam zur Flucht entschlossen. Jeder von uns wusste, welches Risiko wir eingehen. Doch keiner von uns hat gewollt, dass der Fluchtversuch so tragisch endet. Diese furchtbare Geschichte gehört zu meinem Leben.“