Jan Nöbel war der jüngste einer Gruppe von drei Leipziger Freunden, die im September 1987 tödlich in der Ostsee verunglückt sind. Er ist in Chemnitz, damals Karl-Marx-Stadt, geboren worden, aber seine Familie scheint recht früh in seiner Kindheit nach Markkleeberg, das direkt an den Leipziger Süden angrenzt, umgezogen zu sein.
Im Jahr seiner Flucht legte Jan auch seine Reifeprüfung an der Rudolf-Hildebrand-Schule Markkleeberg ab. Er galt, wie sein Freund Frank Richter, als hochintelligenter junger Mann und war sehr sportlich, denn er hatte vor, sich im folgenden Jahr 1988 an der Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) in Leipzig zu immatrikulieren.
Zunächst verbrachte er aber drei Wochen von Juli bis August mit seiner Freundin in der Tschechoslowakei. Danach hatte er geplant, noch die letzten Augusttage vom 24. bis zum 31. mit seinem Freund Frank auf dem Darß zu verbringen. Frank und er hatten sich nach Angaben der Eltern während ihrer Schulzeit angefreundet, obwohl sie auf unterschiedliche Schulen gingen. Jans Eltern hatten seit Mai 1987 gewusst, dass Jan diesen Urlaub gern machen würde, und erlaubtem ihm sogar, noch zwei Tage zu verlängern, falls das Wetter schön sei. Das neben Frank auch dessen Bruder Uwe dabei sein würde, wussten seine Eltern nicht. Sie hatten auch keine Ahnung davon, wozu der Urlaub noch dienen sollte.
Jan hat sich im Haushalt seiner Eltern offenbar gut eingebracht, denn diese hatten ihm die Verlängerungsmöglichkeit angeboten, damit er sich von häuslichen Pflichten erholen und sich auf dem bevorstehenden Umzug seiner Familie innerhalb Leipzigs und seine Aufnahmeprüfungen an der DHfK einstellen konnte. Im Gegensatz zu Jans Eltern wusste die Mutter von Frank und Uwe Richter bereits im Vorfeld, dass ihre beiden Söhne vorhatten, im Sommer 1987 mit Faltbooten nach Dänemark zu paddeln.
Als Jan auch am 2. September nicht wieder zu Hause eintraf, begannen die Eltern, sich Sorgen zu machen und stellten am 4. September 1987 schließlich eine Vermisstenanzeige bei der Volkspolizei Leipzig Süd. Unmittelbar danach schaltete sich die Kriminalpolizei des Bezirks hinzu, wenige Tage später auch die Morduntersuchungskommission (MUK) der Leipziger Volkspolizei. Bei einem Gespräch zwischen Jans Eltern und dem Leiter der MUK am 11. September 1987 wurden diese schockiert: Jan sei tot, teilten die Ermittler mit, legten dafür aber keinerlei Beweise vor.
In der Rückschau lässt sich feststellen, dass am 5. September die Jacke von Uwe Richter von dänischen Fischern geborgen worden war. Darin befanden sich unter anderem Führerschein und Personalausweis von Uwe Richter. Ein Unglück der drei auf hoher See erschien den Ermittlungsorganen also wahrscheinlich und bestätigte sich spätestens am 27. September 1987, als die Leiche von Uwe Richter am Strand von Hiddensee geborgen wurde. Fest steht heute, dass Jan Nöbels Tod bis dahin eine Hypothese zu dessen Verbleib war. Wie um die Voreiligkeit dieser ersten Annahme zu unterstreichen, legten die Ermittler Jans Eltern später auch nahe, dass Jan womöglich erfolgreich in die BRD gelangt sein könnte und sie sich in Gießen beim Erstaufnahmelager erkundigen sollten.
Was die Eltern von Jan Nöbel von diesen Ermittlungen hielten und über die Annahmen der Polizei zum Verbleib ihres Sohnes dachten, brachten sie in einem Brief gegenüber Erich Mielke in seiner Funktion als Chef der Staatssicherheit (Stasi) zum Ausdruck: Sie „haben keine stichhaltigen Belege für eine solche Motivation [zur „Republikflucht“] bei Jan finden können.“ Ihre Gefühlslage sei angesichts der sich widersprechenden und stets nur negativen Äußerungen der Ermittlungsorgane unbeschreiblich und dass die Annahmen zur möglichen Republikflucht ihres Sohnes öffentlich geworden waren, habe sie zusätzlich belastet.
Abgesehen davon, dass die Ermittlungsorgane von Volkspolizei und Stasi Jans Eltern bereits dessen Tod sowie dessen erfolgreiche Flucht nahegelegt hatten, waren sie außer sich, als sie Ende 1987 mit der polizeilichen Aussage konfrontiert wurden, dass man noch nicht einmal wisse, ob die beiden überhaupt den Raum Leipzig verlassen hatten und an die Ostsee gefahren waren. Zusätzlich empfahlen die Behörden 1988 auch noch, Jan für tot erklären zu lassen. „Zu einer solchen Erklärung, verehrter Genosse Minister, fehlt uns, wie Sie verstehen, der dazu nötige Nerv der Verleugnung der eigenen Vernunft und des elterlichen Gewissens, aber auch des Wissens um die sehr guten, harmonischen Beziehungen, die zwischen Jan und uns bis zum 24.8.1987 bestanden.“
Die Eltern haben dann in Eigenregie den Nachweis erbracht, dass zumindest Jan und Frank im fraglichen Zeitraum auf dem Darß gewesen waren und wandten sich danach direkt an den Minister Mielke: „Warum wir uns an Sie, verehrter Genosse Minister wenden, ist, dass wir uns durch ihr Eingreifen in unsere Angelegenheit eine Klärung dahingehend erhoffen, dass eine Verstrickung Jans in einen Ereigniszusammenhang illegalen Verlassens der Republik ausgeschlossen werden kann, und wir überdies auf diesem Wege hoffen dürfen, endlich etwas Positives durch die Ermittlungsorgane zu erfahren.“
Sie erfuhren jedoch nichts. Inzwischen von Jans Mutter geschieden, wandte sich Jans Vater im Mai 1990 an die Zentrale Erfassungsstelle der Landesjustizverwaltungen (ZESt) in Salzgitter. In seinem Schreiben schilderte er, dass er sich erneut an den Leiter der MUK in Leipzig, auch nach 1990 noch in dieser Position tätig, gewandt hatte: Dieser konnte ihm aber nur mitteilen, dass Frank und Jan nach wie vor auf der Fahndungsliste stünden, es aber keine neuen Erkenntnisse zu den beiden gebe. In seinem Schreiben erwähnte Jans Vater auch, dass er nach Jans Flucht in einer Landkarte eine rote Linie, gezogen zwischen Dranske auf Rügen und der dänischen Insel Møn, gefunden hat.
Die letzte Hoffnung, seinen Sohn zu finden, fand Jan Nöbels Vater in der Annahme, dass es möglich sei, dass Jan während des Fluchtversuchs festgenommen worden sein könnte. Er hatte kurz zuvor im Magazin Stern gelesen, dass derartige „Kriminelle“ in der DDR durchaus auch in psychiatrischen Einrichtungen festgehalten wurden. Möglicherweise sei Jan noch in einer solchen Einrichtung?
Nachweise dafür konnten aber weder von der ZESt noch von der Zentralen Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität (ZERV) erbracht werden. Im August 1994 fasste der dort zuständige Kriminalhauptkommissar den Kenntnisstand zum Fluchtversuch der drei, der auch heute noch Gültigkeit hat, zusammen: „Meines Erachtens handelt es sich um eine tragische Flucht von drei jungen Männern, die die Grenze der damaligen DDR zur BRD überwinden wollten. Sie haben dabei zu wenig die Gefahren und Risiken betrachtet, die solch ein Unternehmen mit sich bringt.“