Logo

Suche im Biographischem Handbuch

Biografisches Handbuch

Frank Richter

geboren am 28. Juli 1967 in Leipzig | seit Ende August 1987 verschollen | Ort des Vorfalls: Ostsee
Frank Richter unternahm im Sommer 1987 zusammen mit seinem älteren Bruder Uwe und ihrem gemeinsamen Freund Jan Nöbel einen Fluchtversuch mit Faltbooten. Im September 1987 wurde die Leiche von Uwe Richter geborgen. Von Frank Richter fehlt seitdem jede Spur.

Frank Richter erblickte am 28. Juli 1967 in Leipzig als Frank Hannemann das Licht der Welt, etwa eineinhalb Jahre, nachdem sein älterer Bruder Uwe zur Welt gekommen war. Frank hatte in Jan Nöbel einen sehr guten Freund, mit dem die zwei Brüder, obwohl er noch etwas jünger war als sie, offensichtlich ein eng verbundenes Trio bildeten.

In der Schule erbrachte Frank herausragende Leistungen. Die zehnte Klasse der „Victor-Jara-Oberschule Leipzig Süd“ schloss er am 5. Juli 1985 mit Auszeichnung ab – er hatte alle Fächer mit „sehr gut“ abgeschlossen. Bis auf Sport, dass er mit „gut“ abschloss. In der Gesamteinschätzung wurde er als freundlicher, aufgeschlossener Schüler beschrieben, der von seinen Mitschülern und Mitschülerinnen sehr geachtet wurde. Er sei ein Vorbild nicht nur durch seine schulischen Leistungen, sondern auch durch sein „hohes Engagement in der gesellschaftlichen Arbeit“ gewesen. Die Funktionen, die er im Rahmen dieser „gesellschaftlichen Arbeit“ als Mitglied der FDJ-Leitung seiner Schule innehatte, haben nach Ansicht seiner Lehrer und Lehrerinnen „wesentlich zu seiner Persönlichkeitsentwicklung“ beigetragen. Er verhielt sich anscheinend mustergültig und sehr zum Gefallen des Lehrpersonals.

Seine Reifeprüfung an der Erweiterten Polytechnischen Oberschule (EOS) bestand er am 2. Juli 1987 nicht mehr mit Auszeichnung, aber immer noch „sehr gut“. Bis auf die Fächer Deutsche Sprache und Literatur, Russisch, Physik, Staatsbürgerkunde und Sport, die er mit „gut“ abschloss, erreichte er überall ein „sehr gut“. Seine persönlichen Leistungen in der Schule wurden weiterhin als optimal eingeschätzt und es fand auch Erwähnung, dass er die „MMM-Bewegung“ unterstützte. Damit wurde die „Messe der Meister von Morgen“ bezeichnet. In diesem von der FDJ organisierten Jugendwettbewerb waren alle jungen Menschen in der DDR, von Pionierinnen und Pionieren bis zu NVA-Soldaten aufgerufen, durch persönlichen Einsatz „Neuerungen“ und Rationalisierungen zu entwickeln.

Obwohl sein Verhalten gegenüber dem Lehrpersonal und Mitschülerinnen und Mitschülern als tadellos beschrieben wurde, zeigten sich in der Einschätzung seines „gesellschaftlichen“ Engagements erste Abstriche: So habe er sich zwar in seiner Funktion als Lernsekretär immer „bemüht“, dass „Kollektiv und leistungsschwächere Schüler zu unterstützen.“ Aber „[e]ntsprechend seiner Fähigkeiten hätte er die FDJ-Gruppe auch auf anderen Gebieten positiv beeinflussen und selbst mehr Initiativen entwickeln können.“ Anscheinend konnte er auf diesem Gebiet die angesichts seiner bisherigen Leistungen geweckten Erwartungen nicht mehr ganz erfüllen. Oder er wollte es nicht.

Im Haushalt der Richters, der von der Mutter geführt wurde und in dem Frank noch wohnte – vom Vater finden sich keine Spuren in den Quellen – herrschte ein offener und liebevoller Umgang. Man nahm auch politisch kein Blatt vor den Mund. Frank und Uwe haben gegenüber ihrer Mutter keinen Hehl daraus gemacht, dass sie mit der DDR und dem sie beherrschenden Regime der SED nicht einverstanden waren. Deshalb wusste die Mutter der beiden auch, dass die drei Freunde im August einen Fluchtversuch unternehmen wollten. Auch ihren Plan kannte sie: Mit einem Faltboot die Ostsee nach Dänemark zu überqueren. Der Vater von Jan Nöbel hatte nach der Flucht eine Landkarte gefunden, auf der von Dranske auf Rügen ein roter Strich zur dänischen Insel Møn gezogen war.

Die Mutter der Richter-Brüder wusste auch, dass die drei Freunde vor ihrem eigentlichen Fluchtversuch noch einige Tage Urlaub auf dem Darß machen wollten. Dazu verließen sie am 24. August 1987 Leipzig und mieteten sich, wie ihre Mutter später herausfand, in Born auf dem Darß in der Jugendherberge „Heinz Peters“ ein. Ob die Freunde dort tatsächlich nur Urlaub gemacht haben, oder, wie viele andere Flüchtlinge, diese Zeit genutzt haben, um ihre Ablandung vorzubereiten, ist nicht mehr zu rekonstruieren. Es ist heute auch vollkommen ungeklärt, wo die Drei abgelandet sind. Auch die Ermittlungsbehörden der DDR konnten den Ort, von dem aus sie in See gestochen sind, nicht ermitteln.

Frank Richter hätte jedenfalls noch einen wichtigen Termin gehabt: bis zum 31. August hatte er eigentlich die Papiere für sein Vorpraktikum im VEB Erdöl und Erdgase Grimmen in der Bergbauakademie Freiberg abzuholen. Dazu hätte er am 30. August wieder in Leipzig sein müssen. Frank kam an dem Tag aber nicht wieder in Leipzig an. Also wurde die Mutter der beiden Richter-Brüder aktiv, stellte eine Vermisstenanzeige für ihre beiden Söhne und setzte auch ihren Bruder in Kenntnis, der in Westberlin wohnte und sich sogleich an das Bundesgrenzschutzkommando Küste (GSK) in Bad Bramstedt wandte. Gegenüber dem Bundesgrenzschutz gab er auch an, dass die beiden Brüder sich eigentlich bis zum 11. September bei ihm melden wollten, falls ihre Flucht erfolgreich verlaufen war.

Den ersten handfesten Hinweis darauf, dass die drei Freunde ihren Fluchtversuch tatsächlich angetreten hatten und es dabei womöglich zu einem Unglück gekommen war, erbrachte die Staatssicherheit (Stasi). Sie informierte am 22. September 1987 Frau Richter darüber, dass ein dänischer Fischer am 5. September in dänischen Hoheitsgewässern eine Jacke mit einer Brieftasche geborgen und der Polizei übergeben hatte. In der Brieftasche befanden sich unter anderem der Führerschein und der Personalausweis von Uwe Richter. Aus der Vermutung, die Uwe Richters Mutter danach haben konnte, wurde am 27. September Gewissheit: An diesem Tag fanden Urlauber gegen halb zwölf am Mittag Uwe Richters Leiche am Strand von Hiddensee, in der Nähe von Kloster.

Von Frank Richter und Jan Nöbel hat man keine Spuren mehr gefunden. Die 6. Grenzschutzbrigade Küste (6. GBK) zog nach dem Fund der Leiche von Uwe Richter recht schnell den Schluss, dass alle Drei „beim Versuch des Grenzdurchbruchs aufgrund ungünstiger hydrometeorologischer Bedingungen verunfallt sind.“ Dennoch überprüfte die Stasi im Nachgang noch alle bekannt gewordenen erfolgreichen Anlandungen in der BRD, ohne Frank Richter und Jan Nöbel ausfindig machen zu können. Auch alle bekannt gewordenen Wasserleichen in beiden deutschen Staaten wurden überprüft – ohne Erfolg.

Mutter und Onkel von Frank Richter suchten weiter nach Spuren und verfolgten dabei alle noch so unwahrscheinlichen Annahmen. So war am 29. August 1990 das „Sächsische Tagblatt“ in Leipzig mit einem Titelblatt erschienen, dass einen belgischen Soldaten mit einem „Stinger“-Raketenwerfer auf der Schulter zeigte. Frau Richter erkannte darauf ihren Sohn, obwohl eine Hälfte des Gesichts des jungen Soldaten vollständig von dem Raketenwerfer verdeckt war und der Rest des Gesichtes in Konzentration zusammengekniffen erschien. Im Juli 1993 setzte sie einen Kriminalhauptkommissar der Zentralen Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität (ZERV) von ihrem Verdacht in Kenntnis. Der Kommissar notierte ein gutes Jahr später im August 1994, dass dieser nicht bestätigt werden konnte und schlug daraufhin vor, die Vermisstensache Frank Richter zu schließen. Er ging damals, wie wir heute, davon aus, dass Frank Richter bei seinem Fluchtversuch ums Leben gekommen ist.


Biografie von Frank Richter, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/515-frank-richter/, Letzter Zugriff: 30.12.2024