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Biografisches Handbuch

Rolf Drutschmann

geboren am 20. Juni 1946 in Sundhausen | vermutlich ertrunken zwischen dem 13. November und 18. November 1969 | Ort des Vorfalls: Ostsee
BildunterschriftRolf Drutschmann.
BildquelleBArch, MfS, BV, Rst. AP 2653/78.
Quelle: BArch, MfS, BV, Rst. AP 2653/78.
Der passionierte Artist Rolf Drutschmann hoffte bei der NVA seine Leidenschaft beruflich ausleben zu können und wurde bitter enttäuscht. Aus dieser Unzufriedenheit heraus wuchs sein Unmut gegen die DDR und sein Fluchtwunsch reifte. Vermutlich landete er am 13. November 1969 im Gebiet Rostock-Warnemünde mit einem Surfbrett ab und ertrank bei diesem Fluchtversuch. Seine Leiche wurde am Morgen des 18. November 1969 an der dänischen Ostseeküste am Strand von Nysted geborgen.

Am Morgen des 18. November 1969 wurde durch einen Bürger am Strand von Nystedt an der dänischen Ostseeküste eine männliche Wasserleiche gefunden. Der Tote wies eine kurze Liegezeit auf, lag auf einer Luftmatratze und war bekleidet mit einem zweiteiligen Taucheranzug aus Gummi, in dem sich persönliche Dokumente und über 5000 Mark der DDR als Bargeld befanden.  Über dem Taucheranzug trug der Tote mehrere Schichten ziviler Kleidung. An den Füßen befanden sich Schwimmflossen. Durch die gefundenen Personaldokumente, zu denen ein Ausweis der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR zählte, konnte der Leichnam als Rolf Drutschmann identifiziert werden, ein junger Mann aus der DDR, der aufgrund von Fahnenflucht und des besonderen Verdachtes der „Republikflucht“ seit dem 14. November 1963 zur Fahndung ausgeschrieben war.

Rolf-Karl Drutschmann wurde am 20. Juni 1946 in der kleinen Gemeinde Sundhausen in Thüringen geboren. Die nächstgelegene größere Stadt ist Gotha. Drutschmann stammte aus einer Arbeiterfamilie, besuchte die Grundschule und beendete seine Schulbildung nach der achten Klasse. Danach machte er eine Ausbildung zum Tischler und fand eine Arbeitsstelle als Bordtischler in der Warnow-Werft in Warnemünde . Drutschmann wird in Akten des Ministeriums für Staatssicherheit als sehr intelligent beschrieben. Er habe ein gutes Allgemeinwissen gehabt, sei jedoch durch eine negative politische Einstellung aufgefallen. Diese hätte sich an seiner Einstellung zum Kollektiv und einem gewissen Eigensinn gezeigt. Der Vorwurf beruht wahrscheinlich auf Drutschmanns Arbeitseinstellung als Soldat bei der NVA. Dort war er seit dem 2. Mai 1969 verpflichtet. Drutschmann besaß den Grad eines Pionieres und hatte die Stellung als Taucher inne, was auf eine gute Fitness des jungen Mannes hindeutet und einen Grund gespielt haben mag, dass Drutschmann sich die Flucht über die Ostsee zugetraut hatte. Seine große Leidenschaft waren die Artistik und das Jonglieren.

Nach Zeugenaussagen hatte Drutschmann sich als „Soldat auf Zeit“ (SAZ) verpflichtet, um im Erich-Weinert-Ensemble als Jongleur und Artist sein künstlerisches Talent ausleben zu können. Das Erich-Weintert-Ensemble, benannt nach dem gleichnamigen deutschen Schriftsteller, war ein professionelles Künstlerensemble der NVA, welches unter anderem aus einem Orchester, Ballett, Chor, aber eben auch aus Artisten bestand. Die Versprechungen, die Drutschmann gemacht wurden, konnten in der Dienststelle und im Erich-Weinert-Ensemble jedoch nicht eingehalten werden. Aus der Enttäuschung heraus, wuchs in dem jungen Mann eine Abneigung gegen den Dienst als Soldat und er äußerte 1968 den Wunsch, die DDR zu verlassen. Drutschmann versuchte die Verpflichtung als SAZ rückgängig zu machen und aus der NVA entlassen zu werden.  Da sein Anliegen wiederholt abgelehnt wurde, griff er voller Verzweiflung zu einem drastischen Mittel: Im August 1969 beging er einen Suizidversuch, der jedoch rechtzeitig durch Kollegen bemerkt und somit verhindert werden konnte. Durch den Arzt der Einheit wurde Drutschmann zur psychiatrischen Untersuchung in die Bezirksnervenklinik Schwerin eingewiesen. Dort wurde ihm volle Zurechnungsfähigkeit bescheinigt. Die Ausweglosigkeit, die fehlenden Möglichkeiten, seiner künstlerischen Passion nachgehen zu können und der gescheiterte Suizidversuch können als Motive für das Heranreifen seines Fluchtplanes interpretiert werden.

Durch die Fahndungsprotokolle sind die letzten Tage und Fluchtvorbereitungen von Rolf Drutschmann gut rekonstruierbar. Er beantragte vom 7. November bis zum 13. November 1969 Urlaub und erreichte Gotha am späten Abend des 7. November. Die Nacht verbrachte er bei seiner Freundin, sie sah ihn zuletzt am Morgen des 8. November. Vor dem Verlassen der Wohnung zog Drutschmann sich zivile Kleidung an und ließ seine Dienstuniform bei seiner Partnerin zurück. Er versicherte ihr, dass er die Uniform wieder abholen würde und versprach ihr die gemeinsame Verlobung noch im gleichen Monat nach seiner Rückkehr. Am 10. November suchte er in Wechmar, im Kreis Gotha, eine Kartenlegerin auf, vermutlich um sich mental in seinem Fluchtvorhaben noch einmal bestärken zu lassen. Ermittlungen an Drutschmanns Heimatort ergaben, dass er von der Kreisparkasse 5000 Mark der DDR? abholte. Das Abheben dieser hohen Summe begründete er damit, dass er planen würde, ein Auto zu kaufen.

Am Morgen des 11. November stieg Drutschmann dann in einen Zug, der von Magdeburg Richtung Rostock fuhr. Dort wurde er durch einen Angehörigen seiner Dienstelle gesehen, welcher mit demselben Zug zur gemeinsamen Dienststelle fuhr. In einem kurzen Gespräch zwischen den beiden teilte Drutschmann mit, dass er noch bis zum 13. November Urlaub hätte und noch nicht zur Dienststelle zurückkehren würde. Für den folgenden Zeitraum vom 11. November ab 14 Uhr bis zum 12. November gegen 15 Uhr ist nicht zu ermitteln, wo sich Drutschmann aufhielt. Vermutlich traf er innerhalb dieser Stunden Vorbereitungen für seinen Fluchtversuch, wie das Auskundschaften eines geeigneten Ablandeortes.

Die ermittelnden Personen stellten nach dem Bekanntwerden seines Verschwindens die Uniform bei Drutschmanns Freundin sicher und überprüften seine vorherige Arbeitsstelle in Rostock-Warnemünde. So wurde bekannt, dass Drutschmann am Nachmittag des 12. November von einem ehemaligen Arbeitskollegen auf dem Kirchenplatz in Warnemünde gesehen wurde. Drutschmann hatte kein Gepäck bei sich und trug zivile Kleidung. Am Abend traf Drutschmann in der Wohnanlage der Warnow-Werft, seinem ehemaligen Arbeitgeber, ein und meldete sich zur Übernachtung beim Pförtner an. Dieser wies ihm einen Platz im Zimmer eines ehemaligen Arbeitskollegen zu. In einer späteren Befragung sagt der Arbeitskollege aus, dass Drutschmann ihm seine Absicht zur Flucht offenbart habe: Er hätte den Wunsch geäußert, eine gewisse Zeit unterzutauchen, da er wortwörtlich die Schnauze von der NVA voll habe. Darüber hinaus fragte er seinen Bekannten, ob dieser noch sein Zimmer in Warnemünde in der Mühlenstraße besäße und ob er dieses für acht Tage haben könne. Der ehemalige Kollege musste jedoch verneinen, da das Zimmer schon einige Zeit durch einen Seemann bewohnt wurde. Eine weitere Unterhaltung führten die beiden Männer laut der Aussage des ehemaligen Kollegen nicht.

Am Morgen des 13. November gab Drutschmann beim Pförtner seine Decken ab. Diesem teilte er mit, dass er noch einen Tag Urlaub habe und nun zum Bus wolle, um zu seiner Dienststelle zurückzufahren. Am Nachmittag kehrte Drutschmann jedoch noch einmal zum Wohnheim zurück, um mit seinem Arbeitskollegen zu sprechen. Diesen traf er nicht an. Drutschmann wurde um 15.30 Uhr letztmalig gesehen. Da er am Abend des 13. November nicht an seiner Dienststelle erschien, schrieb die NVA aufgrund von Fahnenflucht eine Eilfahndung in den Vormittagsstunden des 14. November aus, welche schnell um den Verdacht der Republikflucht ergänzt wurde. In dieser Fahndung wird Drutschmann als ein 1,75 Meter großer Mann schlanker Statur mit tiefschwarzem Haar und einer blassen Gesichtsfarbe beschrieben. Als besonderes Merkmal werden Strangulierungsnarben um seinen Hals genannt, eine traurige Erinnerung an seinen gescheiterten Suizidversuch.

Ort und exakter Zeitpunkt der Ablandung können nicht rekonstruiert wurden, obwohl damals zur Fahndung alle verfügbaren Ermittlungskräfte eingesetzt wurden und ihre Maßnahmen genau protokolliert sind. Ihre Suche blieb ohne Erfolg und so verhärtete sich der Verdacht, dass Drutschmann am 13. November einen Fluchtversuch unternommen hatte. Bekannt ist, dass er neben den 5000 Mark der DDR für seinen Neuanfang im Westen persönliche Dokumente sowie ein Tauchermesser, einen Kompass und eine Luftmatratze bei sich trug. Seinen Fluchtversuch mit einem Surfbrett überlebte der junge Mann nicht. Die genannten Gegenstände wurden am Morgen des 18. November am Strand von Nystedt an der dänischen Küste bei seiner Leiche aufgefunden.

Am 21. November wurde Rolf-Karl Drutschmann sowie alle Dokumente und seine persönlichen Gegenstände, wie ein Kompass, das Taschenmesser, eine Armbanduhr und Füllfederhalter, von dänischen Behörden an die DDR übergeben. Die Leiche wurde vom anwesenden Militärstaatsanwalt der DDR übernommen. Noch am selben Tag erfolgte die Obduktion der Leiche am Institut für gerichtliche Medizin der Universität Rostock. Als Todesursache wurde Ertrinken festgestellt. Eine Überprüfung seines Taucheranzuges ergab, dass dieser Anzug einem Gefreiten aus der gleichen Kompanie gehörte, welcher jedoch im Oktober 1969 in die Reserve versetzt wurde. Wahrscheinlich hatte Drutschmann ihm diesen unbemerkt abgenommen.

Auf Wunsch einer namentlich nicht bekannten hinterbliebenen Person wurde die Leiche von Rolf Drutschmann nach Gotha überführt und dort am 25. November 1969 bestattet.


Biografie von Rolf Drutschmann, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/474-rolf-drutschmann/, Letzter Zugriff: 26.04.2024