Adolf Richard Leder wurde am 5. Februar 1939 in Kamen, im östlichen Ruhrgebiet geboren. Sein 1901 geborener Vater Richard Leder war Bergmann und arbeitete in Königsborn-Werne in der Kohlenförderung. Er heiratete 1927 Elfriede Maiwald, Adolf Leders Mutter. Am 24. Februar 1945 starben bei einem Bombenangriff die Mutter und ein Bruder von Adolf Leder. Mit ihm überlebten zwei Schwestern. Die Jüngere, Margret, übernahm die Erziehung des Sechsjährigen.
Die Biografie Adolf Leders ist von Entweichungen geprägt. In Konfliktsituationen, oder wenn er sich ungerecht behandelt fühlte, ließ er nicht selten alles hinter sich und legte zu Fuß oder per Anhalter größere Strecken zurück, bis ihn die Polizei wieder aufgriff und zurückbrachte. In seinem Tagebuch aus dem Jahr 1956 formulierte er rückblickend, dass ihn die „Abenteuerlust“ dazu trieb, immer wieder aufzubrechen. Nach seiner Entlassung aus der Volksschule 1954 begann er eine Lehre als Stahlbauschlosser in Dortmund. Als er im Herbst 1954 sein Lehrgeld zu Hause nicht ablieferte, sein Lehrherr darüber aber eine Bescheinigung vom Vater verlangte, lief er fort, „den Rhein hinunter, bis zur Schweizerischen Grenze und dann wieder hinauf bis Keel [Kehl], wo ich aufgegriffen wurde“. Der Vater brachte ihn daraufhin als Berglehrling bei der Harpener Bergbau AG unter, sein Arbeitsort wurde die Zeche Monopol in Kamen.
Der athletisch gebaute Jugendliche war Mitglied des Schwimmvereins Kamen und des Box-Clubs in der Kreisstadt Unna. Leders Tagebuch folgend kam es im Dezember 1954 zu einem folgenreichen Konflikt des damals 15-Jährigen mit seinem Vater. Richard Leder beabsichtigte wieder zu heiraten und ließ seine zukünftige Ehefrau mit ihren zwei Kindern in die gemeinsame Wohnung einziehen. „Die Zwistigkeiten mit der Frau, die ich hatte, brachte[n] mein[en] Vater so weit, das[s] er mich des Hauses verwies.“ Adolf Leder bezog am 26. Januar 1955 auf Veranlassung seines Vaters das werkseigene Lehrlingswohnheim der Zeche Monopol. Von dort entwich er am 12. Mai nach Hamburg, wobei er ein Zelt, das dem Heim gehörte, mitnahm. Zwei Tage später brachte ihn von dort die Polizei zurück. Mit der Begründung der „Verwahrlosung“ des Jugendlichen, verfügte das Amtsgericht Kamen daraufhin am 16. Mai auf Antrag des Vaters und des städtischen Jugendamtes die vorläufige Fürsorgeerziehung. Adolf Leder wurde am 25. Mai in das Aufnahme- und Erziehungsheim Eckehardt in Eckardtsheim bei Bielefeld gebracht. In der Heimerziehung der 1950er und -60er Jahre, die auf rigide Disziplinierung und Arbeitsleistung abzielte, erfuhren Kinder und Jugendliche vielfach Gewalt und Entrechtung. Am 8. September floh Adolf Leder aus Eckardtsheim, bereits am Abend griff ihn die Verkehrspolizei in der Nähe von Bielefeld auf. Als Reaktion darauf wurde er am 20. September in das Landeserziehungsheim Benninghausen verlegt. Das Amtsgericht Kamen erweiterte mit Beschluss vom 10. November 1955 die vorläufige zur endgültigen Fürsorgeerziehung. Nachdem Adolf Leder nachts von anderen Jugendlichen im Schlafsaal verprügelt worden war, der Heimleiter sich dem gegenüber aber gleichgültig zeigte, lief er am 21. November aus Benninghausen fort zu seiner älteren Schwester nach Unna. Er kam am nächsten Vormittag an, bereits am Abend fahndete dort die Polizei nach ihm und veranlasste seine Rückkehr. Vergeblich forderte Adolf Leder von der Anstaltsleitung die Möglichkeit zu einer Berufsausbildung, auch erklärte sich seine Schwester Margret bereit, ihren Bruder bei sich aufzunehmen und beantragte die langfristige Beurlaubung aus der Fürsorgeerziehung. Nach einem erneuten Fluchtversuch mit vier anderen Zöglingen sprach sich der Leiter des Landeserziehungsheims gegen eine Beurlaubung aus und verlangte die Verlegung Leders in das Erziehungsheim Freistatt, damit ihm „die Möglichkeit zur Entweichung genommen wird“. In Freistatt kam er am 26. März 1956 an. Hier wurde er zum Torfstechen in der sogenannten Moorkolonne eingesetzt. Am 3. August wiederholte Adolf Leder vor dem Hausvater seinen Wunsch nach einer Ausbildung als Bau- oder Maschinenschlosser mit Unterbringung in einem Lehrlingsheim, da er mit seinen Eltern nicht zusammenwohnen könne – „es gäbe bald ‚Krach‘ mit seiner Stiefmutter“. Die Anstaltsleitung in Freistatt war mit seinen Arbeitsleistungen und seiner Führung zufrieden und gab den Wunsch an die Fürsorgeerziehungsbehörde Münster weiter. Zeitgleich beantragte jedoch auch Richard Leder die Entlassung seines Sohnes. Dieser solle im Elternhaus wohnen und eine Arbeit annehmen. Dass Adolf Leder „jetzt noch mit 17 ½ Jahren“ sich ausbilden lassen wollte, lehnte der Vater ab, auch die Unterbringung in einem Wohnheim. Unter diesen Umständen sei er nicht mit einer Beurlaubung einverstanden, berichtete das Jugendamt Kamen der Fürsorgeerziehungsbehörde. Adolf Leder fügte sich. Am 1. Oktober 1956 kehrte er nach Kamen zurück und begann wieder als Bergmann zu arbeiten. Er wurde zunächst vorläufig und am 2. Mai 1957 endgültig aus der Fürsorgeerziehung entlassen.
Lang blieb er nicht bei seinen Eltern, ab dem 21. März 1957 diente Adolf Leder als Bundeswehrsoldat bei der 5. Panzerdivision in Grafenwöhr. Danach zog er von Kamen nach Kassel um. Am 27. und 28. Januar 1959 wurde in den Meldekarten sein Umzug dorthin vermerkt. Die neue Adresse war Die Freiheit 2 und bezeichnet das Kolpinghaus, damals wie heute eine Anlaufstelle für Bedürftige und Obdachlose. Hier wurde Leder am 21. Februar 1959 durch den Vermieter als unbekannt verzogen wieder abgemeldet. Im nun folgenden Monat legte der 20-Jährige 500 Kilometer bis zur tschechoslowakischen Grenze bei Alžbětín (Železná Ruda) zurück. Bei sich trug er einen ledernen Brustbeutel, eine Aktentasche und einen Plastikbeutel mit Kleidung, Hygieneartikeln, einem Stoffaffen, Fotografien, einer Straßenkarte, seinen Mitgliedskarten vom Boxsport- und Schwimmverein sowie seinen Zeugnissen, seinem Personalausweis und verschiedenen Bescheinigungen.
Am 22. März 1959 bemerkten zwei Patrouillen der tschechoslowakischen Grenzwache um 21.50 Uhr, dass es am mit Starkstrom geladenen Grenzzaun aufblitzte und qualmte. Adolf Leder hatte sich, durch den Schnee von Bayerisch Eisenstein kommend, in einem leerstehenden Haus versteckt, das etwa zehn Meter von den Grenzzäunen entfernt stand. Dann hatte er sich unbemerkt einen Graben entlang bewegt, den äußeren Grenzzaun überwunden und war beim zweiten Grenzzaun an die elektrischen Stromleiter geraten. Die beiden Grenzpatrouillen entdeckten den leblos zwischen den Zäunen Liegenden und alarmierten die 10. Grenzkompanie der Grenzbrigade Sušice. Der angeforderte Stabsarzt konnte nur noch den Tod Leders feststellen. Die Obduktion der Leiche ergab, dass der Stromschlag einen Herzstillstand verursacht hatte. Der Körper war durch Verbrennungen dritten Grades an den Händen, am rechten Unterschenkel und am Unterbauch gezeichnet. Für den Grund des Übertritts fanden die tschechoslowakischen Sicherheitsbehörden keinen Hinweis, so dass sie zunächst annahmen, dass Leder im Auftrag eines westlichen Geheimdienstes handelte, was sich jedoch nicht belegen ließ.
Bereits am nächsten Tag, den 23. März 1959 beerdigte die Grenzwache die Leiche Adolf Leders auf dem Friedhof des Dorfes Hůrka (Gemeinde Prášily), das Anfang der 1950er Jahre vom Militär geräumt und abgerissen worden war. Die Teilnehmer der Beisetzung wurden zur strengen Verschwiegenheit verpflichtet.
Die Friedhofskapelle des Heiligen Kreuzes war das einzige Gebäude des Dorfes, das man stehen ließ. Eine 2004 an der Kapelle angebrachte Gedenktafel erinnert an Adolf Leder und 26 weitere Menschen, die zwischen 1948 und 1969 beim Versuch, die tschechoslowakische Westgrenze zu überqueren getötet wurden. Auf dem ehemaligen Friedhof ist ein Gedenkstein drei Opfern der mit Starkstrom geladenen Grenzzäune im Bereich der Grenzbrigade Sušice gewidmet. Darauf befindet sich eine Tafel mit den Namen Alois Janotka, Ladislav Kolář und Adolf Leder.
Abbildungen der Gedenktafeln: http://www.pametnimista.usd.cas.cz/hurka-pametni-deska-osobam-usmrcenym-na-statni-hranici/
(02.09.2022).