Logo

Suche im Biographischem Handbuch

Biografisches Handbuch

Heike Bischof

geboren am 16. Oktober 1965 in Leipzig | gestorben nach dem 14. März 1988 | erfroren 4 km vor der bayerischen Grenze bei dem Berg Poledník
BildunterschriftHeike Bischof
BildquelleBStU
Quelle: BStU
Am 30. Mai 1988 entdeckte ein Forstarbeiter etwa 4 km vor der bayerischen Grenze bei dem Berg Poledník in einem schwer zugänglichen Waldgebiet eine männliche Leiche. Ein Suchtrupp fand wenig später in etwa 200 m Entfernung eine weibliche Leiche. Aus den mitgeführten Personalpapieren ging hervor, dass es sich um die seit dem 13. März 1988 vermissten DDR-Bürger Heike Bischof und Frank Labuschin handelte.

Heike Bischof kam am 16. Oktober 1965 in Leipzig zur Welt. Sie besuchte von 1972 bis 1980 die POS „Rolf Axen“ und von 1980 bis 1982 die POS „Fritz Weineck“, auf der sie die 10. Klasse mit der Note „gut“ abschloss. Von 1982 bis 1985 erlernte sie am Krankenhaus der Medizinischen Hochschule St. Georg den Beruf einer Krankenpflegerin und erhielt am 1. September 1985 dort eine Anstellung als Krankenschwester. Ihre Vorgesetzte schrieb in einer Beurteilung, Heike Bischof arbeite „flink und gewissenhaft“, sie nehme als FDGB-Mitglied auch am gesellschaftlichen Leben teil.

Im Juli 1986 fiel Heike Bischof dem DDR-Staatssicherheitsdienst wegen eines Briefwechsels mit einem jungen Mann aus Pforzheim auf, den sie während eines Urlaubs in der ČSSR kennengelernt hatte. In einer „Operativ-Information“ vom 18. Juli 1986 argwöhnte die Abteilung XXII der Leipziger MfS-Bezirksverwaltung, Heike Bischof beabsichtige die DDR ungesetzlich zu verlassen.

In der Leipziger Tanzbar „Carola“ lernte Heike Bischof im Sommer 1987 Frank Labuschin kennen und verliebte sich in ihn. Im Februar 1988 kaufte er für sie einen roten Lada 2101. Am 14. April 1988 meldete die Mutter von Heike Bischof auf dem Leipziger Volkspolizeiamt ihre Tochter Heike als vermisst. Sie sei am Samstagmorgen des 12. März 1988 mit ihrem Freund Frank zum Schlittenfahren in die ČSSR gefahren und nicht wie erwartet am Sonntagabend nach Hause zurückgekehrt, obwohl sie am Montag zum Frühdienst im Krankenhaus St. Georg eingeteilt worden war. Auch die Mutter Frank Labuschins hatte am selben Tag bei der Volkspolizei in Markkleeberg für ihren Sohn eine Vermisstenanzeige erstattet.

Nach Eingang der Vermisstenanzeigen vermuteten sowohl die Volkspolizei als auch das Ministerium für Staatssicherheit zunächst eine Flucht des Paares nach Bayern. Diese Vermutung schien sich zu bestätigen, als das Innenministerium der ČSSR dem DDR-Innenministerium am 15. April 1988 mitteilte, dass der gesuchte rote Lada Labuschins etwa 20 km von der Staatsgrenze entfernt auf einem Parkplatz unweit der Stadt Sušice, Kreis Klatovy aufgefunden wurde. Arbeiter des Schneeräumdienstes hatten das Fahrzeug schon am 18. März 1988 dort entdeckt. Die Kriminalpolizei Leipzig erstattete am 22. April 1988 Anzeige gegen Frank Labuschin und Heike Bischof nach § 213 wegen „Verdacht des ungesetzlichen Grenzübertrittes“.

Zu diesem Zeitpunkt waren Heike Bischof und Frank Labuschin jedoch bereits nicht mehr am Leben. Die Nacht vom 12. auf den 13. März 1988 hatte das Paar in einem Hotel in Český Krumlov (Krumau) verbracht und sich am folgenden Tag in dem Hotel „Šumava“ in Srní (Rehberg) eingebucht. Von dort aus machten sie sich am 14. März 1988 auf den Weg nach Bayern. Sie bestiegen die sogenannte „Fuchshöhle“ (Liščí díry) in Richtung Poledník (Mittagsberg, 1315 Höhenmeter) und nutzten die stark winterlichen Witterungsverhältnisse zur Überwindung des Signalzauns, der wegen Schneeverwehungen ausgeschaltet war.

Am 31. Mai 1988 erhielt die Untersuchungsabteilung des MfS in Leipzig aus ihrem Berliner Ministerium den telefonischen Hinweis über eine Mitteilung der ČSSR-Sicherheitsorgane, wonach am Tag zuvor um 10 Uhr ein Forstarbeiter im Revier Prášily zwischen dem ersten und zweiten Grenzzaun etwa 4 km vor der bayerischen Grenze bei dem Berg Poledník eine bereits stark verweste und durch Tierfraß verunstaltete männliche Leiche hinter dem Signalzaun aufgefunden hatte, die in ihrer Kleidung die Personalausweise von Frank Labuschin und Heike Bischof bei sich trug. Wenig später fand ein Suchtrupp etwa 200 Meter entfernt eine weibliche Leiche. Der Fundort befand sich 1,3 km unterhalb des Gletschersees von Prášily (Stubenbacher See). Im Auffindungsgebiet herrschten um die Zeit, da Heike Bischof und Frank Labuschin sich auf dem Weg zur Grenze befunden hatten, Schneegewitter und -stürme sowie eine Schneehöhe von bis zu 2,5 Meter.

Die Mutter von Heike Bischof hatte sich bereits am 27. Mai 1988 mit einer Eingabe an die Abteilung Inneres beim Rat der Stadt Leipzig gewandt und um eine verbindliche Auskunft über die dort vorliegenden Erkenntnisse zum Verbleib ihrer Tochter gebeten. Am 31. Mai 1988 wurde den Müttern von der Leipziger Untersuchungsabteilung des DDR-Staatssicherheitsdienstes mitgeteilt, dass von ČSSR-Sicherheitsorganen zwei Leichen aufgefunden worden seien, bei denen es sich vermutlich um ihre Kinder handele. Frau Bischof und Frau Labuschin wurden um Hinweise zur Identifizierung der Leichen gebeten. Sie konnten die Zahnärztinnen ihrer Kinder benennen, bei denen das MfS dann Informationen zum Zahnstand einholte. Die Obduktion der sterblichen Überreste von Heike Bischof und Frank Labuschin erfolgte im Gerichtsmedizinischen Institut Plzeň (Pilsen). Durch die aus der DDR gelieferten ärztlichen Informationen über Zahnstand und Blutgruppen stellten die Obduzenten Dr. Ladislav Malý und Dr. Otto Slabý zweifelsfrei die Identität der beiden Toten fest. Als Todesursache wurde eine langanhaltende Unterkühlung des Organismus, Erschöpfung und schließlich Erfrieren festgestellt.

Das Prager Büro der französischen Nachrichtenagentur AFP verbreitete am 12. Juli 1988 unter Berufung auf einen Bericht der Pilsener Zeitung Prawda die Meldung, am 31. Mai 1988 seien die Leichen von zwei seit Mitte April vermissten DDR-Bürgern vier Kilometer vor der Grenze zu Bayern aufgefunden worden. Die Namen der beiden Toten wurden nicht ganz zutreffend als Frank Labuschon und Heike Bischopp angegeben. Am 14. Juli 1988 erschien in der Zeitung des sozialistischen Jugendverbandes der ČSSR Mlada Fronta (Junge Front) unter der Überschrift „Der Böhmerwald kann bestialisch sein“ ein Artikel über den Leichenfund, in dem auf „viele Gerüchte, Diskussionen und Spekulationen in der Stadt Sušice“ verwiesen wurde. Major Frantisek Koranda, Leiter der Untersuchungsabteilung des Komitees für Nationale Sicherheit in Pilsen, habe erklärt, dass die Spekulationen über einen gescheiterten Fluchtversuch weder eindeutig ausgeschlossen noch bestätigt werden könnten. Die Ermittlungen hätten aber ergeben, dass die beiden DDR-Bürger trotz des Schneefalls in nur leichter Bekleidung zu einem Ausflug in den Böhmerwald aufgebrochen wären. Man könne das „im Hinblick auf alle festgestellten Fakten mit Bedauern als ein Hasard-Stück, als leichtsinnige Unterschätzung des Terrains und des Wetters und als Überschätzung der eigenen Kräfte bewerten, was der winterliche Böhmerwald brutal bestraft“ habe.

Einen Tag später, am 13. Juli 1988, fuhr der II. Sekretär der Prager DDR-Botschaft, Norbert Huber, zum Gerichtsmedizinischen Institut nach Pilsen und übernahm dort die persönlichen Gegenstände von Heike Bischof und Frank Labuschin. Außer Bargeld und ihren Reisepässen hatten sie nur einen Kompass bei sich gehabt. Am 21. Juli 1988 führte MfS-Hauptmann Kuntzsch der Leipziger MfS-Bezirksverwaltung unter dem Namen „Ehrlich“ ein Gespräch mit der Mutter und den beiden Geschwistern Heike Bischofs. Die Familie beschwerte sich, dass sie von einer zur anderen Dienststelle geschickt würde und keine Unterstützung erhalte. Eine Oberschwester des Bezirkskrankenhauses St. Georg habe ihnen mitgeteilt, dass die Urnen der Verstorbenen bereits in Leipzig angekommen seien. Die Mutter äußerte die Vermutung, die beiden seien an der Grenze erschossen worden und sagte, „daß die Staatsorgane mit derartigen Grenzsicherungsmaßnahmen sowie im Umgang mit ÜSE (sie erklärte, die anwesende Tochter Kerstin M. sei ÜSE) einen kalten Krieg gegen die eigene Bevölkerung führen“ würden. [ÜSE ist die MfS-Abkürzung für Übersiedlungsersuchende.]

Wiederholte Nachfragen der Angehörigen nach Wertgegenständen der beiden Verstorbenen setzen einen Schriftverkehr der DDR-Generalstaatsanwaltschaft mit der ČSSR-Generalstaatsanwaltschaft in Gang, der am 15. August 1989 mit der Mitteilung aus Prag endete, die vermissten Gegenstände seien nach vergeblichen Versuchen, sie „annähernd in den ursprünglichen Zustand zu versetzen“, von der Gerichtsmedizin in Pilsen wegen Verunreinigung entsorgt worden.


Biografie von Heike Bischof, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/393-heike-bischof/, Letzter Zugriff: 21.12.2024