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Biografisches Handbuch

Christian Schubert

geboren am 29. Juni 1965 in Jena | ertrunken am 14. September 1989 in der Donau | Ort des Zwischenfalls: Donau, Flusskilometer 1787,5, auf Höhe des tschechischen Ortes Veľké Kosihy / Fundort der Leiche bei Flusskilometer 1713 im Gebiet von Esztergom
BildunterschriftChristan Schubert 1988
BildquellePrivat Volkmar Häußler
Quelle: Privat Volkmar Häußler
Am 14. September 1989 ertrank der 24jährige Christian Schubert aus Jena bei dem Versuch, die Donau an der Grenze zwischen der ČSSR und der Ungarischen Volksrepublik zu durchschwimmen. Gemeinsam mit einem Freund, Michael P., wollte er in den Westen flüchten.

Am 29. Juni 1965 erblickte Christian Schubert als Kind der Wirtschaftskauffrau Christa Schubert, geborene Schmidt, und des Ingenieurs für Mikrophysik Walter Schubert in Jena das Licht der Welt. Er war das zweite von drei Kindern; sein älterer Bruder heißt Andreas, die jüngere Schwester Susanne. Am 1. September 1972 wurde Christian Schubert in der Polytechnischen Oberschule (POS) „Erich Weinert“ in Jena eingeschult, im gleichen Jahr als Jungpionier und in der 4. Klasse als Thälmannpionier in die Pionierorganisation aufgenommen und 1979 in die FDJ.  Am 17. Mai 1980 erhielt er die Jugendweihe. Nachdem sich die Eltern 1974 scheiden ließen, wuchsen die drei Kinder bei der Mutter auf.

Das Lernen bereitete Christian Schubert in einigen Fächern Schwierigkeiten, die praktische Arbeit lag ihm jedoch sehr. So wurde er 1980 im Unterrichtsfach “Produktive Arbeit”, das neben den Fächern “Einführung in die Sozialistische Produktion” und “Technisches Zeichnen” den Unterricht um ein praktisches Element ergänzte und den beteiligten Betrieben zur Nachwuchs-Gewinnung diente, durch den Volkseigenen Betrieb (VEB) Carl Zeiss Jena für seine guten Leistungen ausgezeichnet. Neben seinen schulischen Aufgaben engagierte sich Christian in den Arbeitsgemeinschaften Touristik und Wehrerziehung und in der Betriebssportgemeinschaft Jena-Süd.

Im September 1982 nahm er beim VEB Carl Zeiss Jena, der mit etwa 60.000 Mitarbeitern das seinerzeit größte Kombinat der DDR war, eine zweijährige Lehre zum Facharbeiter für Feinoptik auf. Eigentlich wollte er nach Beendigung der Lehre den Weg zum Berufsunteroffizier der Nationalen Volksarmee (NVA) mit einer Regeldienstzeit von zehn Jahren einschlagen. Deshalb hatte er sich bereits im April 1982 mit dem Einverständnis seiner Mutter um diese Laufbahn beworben. Einige Monate später jedoch, im Dezember 1982, zog er seine Bewerbung zurück. Das Wehrkreiskommando Jena lud ihn deswegen im Januar 1983 zu einer Aussprache vor, zu der er allerdings nicht erschien. Seine Bewerbung wurde daraufhin für ungültig erklärt. Statt der zehnjährigen Armee-Laufbahn wollte er sich nun für drei Jahre bei der NVA verpflichten und in seinem erlernten Beruf eine “hohe, fachliche Qualifizierung” anstreben.

Christian Schubert ging gern und oft mit seinen Freunden feiern. Autos und Motorräder waren seine Leidenschaft. Er träumte von einem Leben mit unbegrenzten Möglichkeiten, wollte reisen und schnelle Wagen fahren. Um dies zu erreichen, hatte er bereits mehrere Ausreiseanträge gestellt, die abgelehnt wurden. Mit den Anträgen begannen für ihn die Probleme und Repressionen. Im VEB Carl Zeiss Jena sei er nicht mehr tragbar gewesen erinnerte sich seine Schwester Susanne 1999 im Rahmen eines Interviews für eine Zeitung. In seinen sich anschließenden Jobs als Saunameister oder in der Jenaer Brauerei sei er immer wieder als „arbeitsscheu“ abgestempelt worden. Er habe erst wieder Ruhe gefunden, als er eine Beschäftigung in einem privaten Baubetrieb fand. Im Sommer 1989 war Christian als Transportarbeiter in der Einkaufs- und Liefergenossenschaft (ELG) des Bauhandwerks Jena beschäftigt.

Seit Ende 1988 hatte er eine Beziehung zu Kirsten Häußler. Beide waren bereits im Kindergarten befreundet, hatten sich danach aber aus den Augen verloren. Kirsten wusste von seinen Ausreiseanträgen, doch für sie kam eine Ausreise nicht in Frage. Zwar lebte ihr Bruder nach achtmonatiger Haft wegen eines Fluchtversuchs bereits seit zwei Jahren in Köln, doch hatte sie einen zweijährigen Sohn mit einem sehr engen Verhältnis zu seinen Großeltern. Die drei zu trennen, hätte sie nicht übers Herz gebracht, litten ihre Eltern doch schon unter der Ausreise des Bruders. Zudem hatte sich Kirsten in der DDR „eingerichtet‘‘. Neben ihrer Arbeit als Kellnerin übernahm sie Schneiderarbeiten im Freundeskreis und verkaufte selbstgenähte Kleidung auf Wochenmärkten, was ihr ein gutes Nebeneinkommen einbrachte.

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Nachdem am 26. Mai 1989 ein weiterer Ausreiseantrag abgelehnt wurde, legte Christian im Juni beim Rat der Stadt Jena Beschwerde ein und nahm Kontakt zu Rechtsanwalt Wolfgang Schnur auf, der in den 1980er Jahren neben Wehrdienstverweigerern und Oppositionellen aus Kirchenkreisen vor allem auch Ausreiseantragsteller vertrat. Was damals allerdings nicht bekannt war: Seit 1965 wirkte Schnur auch als Inoffizieller Mitarbeiter des MfS. Am 22. Juni 1989 wandte sich Schnur an den Oberbürgermeister der Stadt Jena und legte Beschwerde gegen die Ablehnung der ständigen Ausreise seines Mandanten Christian Schubert ein.  Am 7. August 1989 teilte Oberbürgermeister Span in einem Schreiben an Schnur mit, dass die vom Leiter der Abteilung Innere Angelegenheiten des Rates der Stadt Jena am 26. Mai 1989 getroffene Entscheidung aufrechterhalten bleibt. „Die nochmalige Prüfung der von ihm angegebenen Gründe hat ergeben, daß sie nicht den Bestimmungen des § 10 der Verordnung über Reisen von Bürgern der Deutschen Demokratischen Republik nach dem Ausland entsprechen. Im Übrigen ist die Genehmigung der ständigen Ausreise gemäß § 13, Abs. 2 der Verordnung vom 30.11.1988 über Reisen von Bürgern der Deutschen Demokratischen Republik nach dem Ausland zu versagen, da er noch keinen aktiven Wehrdienst oder Dienst, der der Ableistung des Wehrdienstes entspricht, geleistet und das 26. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Voraussetzungen für eine Genehmigung des Antrages auf ständige Ausreise in die BRD liegen daher nicht vor.” Am 30. August 1989 stellte Schnur erneut einen „Antrag auf gerichtliche Nachprüfung“.

Doch für Christian Schubert bestand kaum noch Hoffnung, auf legalem Wege in den Westen ausreisen zu dürfen. Deshalb suchte er nach anderen Möglichkeiten, die DDR verlassen zu können. In der Nacht vom 10. zum 11. September 1989 hatte Ungarn seine Grenze zu Österreich geöffnet und Tausende Menschen überquerten sie in den darauffolgenden Tagen in Richtung Westen. Auch Christian wollte den Weg über Ungarn wagen und machte sich am 13. September 1989 mit seinem Freund Michael P. in dessen Auto auf den Weg in die ČSSR. Seine Freundin Kirsten wollte er zu gegebener Zeit nachholen.

Für die Einreise in die ČSSR benötigten sie kein Visum, eine Weiterreise nach Ungarn war ohne Ausreisevisum jedoch nicht möglich. So beschlossen sie, die tschechisch-ungarische Grenze illegal zu überwinden. Sie entschieden sich für den Weg durch die Donau.  Als sie am Nachmittag des 14. September dort ankamen, suchten sie sich eine abgelegene Stelle am Ufer der Donau im Abschnitt des Flusskilometers 1787,5, der sich auf Höhe des slowakischen Ortes Veľké Kosihy befindet, und warteten auf den Einbruch der Dunkelheit. Am Ufer hatten sie einen Radlader gesichtet, in dessen Schaufel sie ihre Kleidung ablegen wollten, um ungehindert schwimmen zu können. Den tschechischen Grenzpolizisten, der im Radlader saß, hatten sie jedoch übersehen. Als sie sich ausziehen wollten, bemerkte er die beiden, richtete die Maschinenpistole auf sie und rief ihnen etwas in tschechischer Sprache zu. Beide stürzten sich in Panik und noch voll bekleidet – selbst die Jacken hatten sie noch an – in die Donau und schwammen, so schnell sie konnten, in Richtung des Donau-Ufers auf ungarischer Seite.

Eine Zeugenvernehmung von Michael P. im Jahre 1997 durch die Kriminalpolizeiinspektion Passau hatte ergeben, dass Christian Schubert anfangs etwa drei Meter vor ihm schwamm, in der Mitte des Flusses jedoch von ihm weggetrieben wurde. Michael P. schwamm die meiste Zeit in Rückenlage, um eine kleine Tasche auf seinem Bauch transportieren zu können. Als er das Donau-Ufer auf ungarischer Seite erreichte, machte er sich sofort auf die Suche nach seinem Freund, jedoch ohne Erfolg. Um Mitternacht wurde Michael P. an der Grenzstrecke der Grenzwachetruppe Gönyű auf der Hauptstraße wegen illegalen Grenzübertritts festgenommen. Er konnte sich nicht ausweisen, da er seinen Personalausweis Christian Schubert übergeben hatte. Im Gegenzug hatte er dessen Fahrerlaubnis, seinen Impfausweis und sein Arbeitsbuch an sich genommen. Bevor Michael P. zur Dienststelle gebracht wurde, suchte er gemeinsam mit den ungarischen Grenzern unter Einsatz von Scheinwerfern weiter nach seinem verschwundenen Freund, doch ohne Erfolg. Die ungarischen Grenzsoldaten zeigten Michael P. schließlich den Weg Richtung österreichische Grenze, die sich ca. 50 km in nordwestlicher Richtung befand. Er versuchte sich durchzuschlagen, wurde erneut aufgegriffen, nach einem Tag aber wieder freigelassen. Ihm wurde ein Geldbetrag in ungarischer Währung ausgehändigt und geraten, sich an die Westdeutsche Botschaft in Budapest zu wenden. Dort angekommen, erhielt er deutsche Personalpapiere, mit denen er in einem Bus legal über Österreich in die Bundesrepublik ausreiste.

Sieben Tage nach dem Fluchtversuch, am 21. September 1989 um 12.15 Uhr, fand eine Patrouille der ungarischen Grenzwache in der Stromlinie der Donau, im Abschnitt von Wasserkilometer 1713 bei der Insel Helemba, im Randgebiet von Esztergom, den Leichnam eines jungen Mannes. Bei dem Toten wurden zwei Personalausweise der DDR gefunden, einer ausgestellt auf den Namen Christian Thomas Schubert, der andere auf Michael P. Bei der Totenbesichtigung konnte nicht eindeutig festgestellt werden, welche Personalien dem Toten zuzuordnen waren. Erst die am nächsten Tag im Krankenhaus Esztergom stattfindende Obduktion ergab, dass es sich um Christian Schubert handelte. Die Obduzenten stellten als Todesursache Ertrinken fest, Anzeichen für Schussverletzungen oder andere äußere Gewalteinwirkungen wurden nicht festgestellt.

Obwohl Christian Schubert ein geübter Schwimmer mit Rettungsschwimmerabzeichen war, hatte er es nicht geschafft, die Donau zu durchschwimmen. Sein Leichnam trieb in sieben Tage etwa 75 km flussabwärts bis zum Flusskilometer 1713. Die Donau mit ihren teils starken Strömungen, Untiefen und Strudeln, mit Treibholz, das Schwimmer verletzen oder unter Wasser drücken kann, ist unberechenbar. Unter diesen Umständen und in voller Bekleidung kostet ein Durchschwimmen – die Donau war an der genannten Stelle etwa 300 Meter breit – viel Kraft.

Kirsten Häußler hat nicht geahnt, dass ihr Freund die Flucht durch die Donau nach Ungarn wagen wollte. Sie dachte, er und Michael P. wären zu einem Ausflug nach Dresden gefahren und kämen am nächsten Tag wieder zurück. Am Tag seiner erwarteten Rückkehr teilte ihr jedoch ein Freund, den Christian eingeweiht hatte, mit, dass dieser mittlerweile in Ungarn sein müsste. Sie wartete auf ein Lebenszeichen, doch die Tage vergingen ohne dass sie eine Nachricht erhielt. Erst etwa zwei Wochen später erfuhr sie durch Christians älteren Bruder vom Tod ihres Freundes. Kurz darauf wurde bei ihr eine Schwangerschaft festgestellt.

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Die Ermittlungen zum Todesfall führte die ungarische Polizei. Christa Schubert erhielt am 11. Oktober 1989 das Ergebnis der Obduktion, einen Totenschein und Leichenpass in ungarischer Sprache.  Einen Tag später, am 12. Oktober 1989 um 10.00 Uhr, wurde Christian auf dem Friedhof zu Weimar in einem Zinksarg beerdigt. Am 16. Oktober 1989 erteilte Christa Schubert Rechtsanwalt Schnur die Vollmacht, sie in der Rechtsangelegenheit Christian Schubert zu vertreten. Am 27. Oktober 1989 teilte die Abteilung für Kriminalverfolgung der Polizeihauptmannschaft des Bezirkes Komarom der Konsularabteilung der Botschaft der DDR mit, dass das Verwaltungsverfahren, das zum „außerordentlichen Sterbefall des Staatsbürgers der DDR Schubert, Christian Thomas“ eingeleitet wurde, abgeschlossen war, da der Tod Christian Schuberts ohne Fremdeinwirkung eingetreten war.

Laut Schreiben der Mutter Christa Schubert an Rechtsanwalt Wolfgang Schnur hatte sie die Leiche nicht identifiziert, auch wurden ihr bis zu diesem Zeitpunkt keine persönlichen Gegenstände ihres Sohnes ausgehändigt, die ihn hätten identifizieren können. Erst mit Schreiben vom 7. Dezember 1989 teilte ihr die Hauptabteilung Konsularische Angelegenheiten des DDR-Außenministeriums mit, dass die „ungarischen Organe“ den Nachlass von Christian Schubert übergeben hätten, der nun von ihr oder einer von ihr bevollmächtigten Person in Empfang genommen werden könne. Der Nachlass bestand aus einer Geldbörse mit Inhalt, einem Feuerzeug und einer Quarzuhr sowie aus den Papieren, die Michael P. bei der Festnahme in Gönyű abgenommen worden waren.

Am 16. Mai 1990, acht Monate nach Christians Tod, brachte Kirsten Häußler in Jena einen Sohn zur Welt. Sie nannte ihn, nach seinem Vater, Christian. In der Geburtsanzeige hieß es: „Christian Schubert, sein Vater, hätte sich mit uns freuen können, wäre er nicht am 14.9.1989 an der Donau ums Leben gekommen.“

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Da eine von ihr nach dem Fall der Mauer, aber noch vor der Wiedervereinigung gemachte Anzeige zur Aufklärung des Todes von Christian Schubert ohne Ergebnis verlief, beantragte Kirsten Häußler Ende Oktober 1996 bei der Staatsanwaltschaft Gera erneut, den Todesfall zu untersuchen. In diesem Zusammenhang wurde der Mitflüchtling Michael P. am 15. Juli 1997 in Passau als Zeuge zu den Umständen der gemeinsamen Flucht vernommen. Er sagte aus, dass der Grenzpolizist keinen Gebrauch von der Schusswaffe gemacht habe, zumindest habe er keine Schüsse wahrgenommen. Das Verfahren wurde am 7. August 1997 nach §170 Abs. 2 der Strafprozessordnung eingestellt, da es nach den Ermittlungen keine Anhaltspunkte dafür gab, dass “der Tod des Herrn Schubert von irgendeiner Seite vorsätzlich herbeigeführt worden wäre”.

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Biografie von Christian Schubert, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/340-christian-schubert/, Letzter Zugriff: 25.04.2024