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Biografisches Handbuch

Fritz Schneiderling

geboren am 19. November 1929 in Altenhausen | Suizid am 1. November 1970 | Ort des Zwischenfalls: 6. Grenzkompanie Harbke (Sachsen-Anhalt)
Kompaniechef Major Schneiderling galt in seinem militärischen Umfeld als ein „sensibler, weicher Mensch“, der Konflikten aus dem Weg zu gehen versuchte. Verschiedentlich warfen ihm Vorgesetzte „inkonsequentes Verhalten“ und „Mängel in der Führungstätigkeit“ vor. Nach einem Dienstvergehen erschoss sich der Major im Kasernenkeller.

Fritz Schneiderling diente seit 1952 in der Deutschen Grenzpolizei. Der gelernte Postfacharbeiter war verheiratet und Vater von vier Kindern. Seit 1946 gehörte er der SED an. Im März 1970 lud ihn der zuständige Abwehroffizier des Staatssicherheitsdienstes zu einer Unterredung vor und kritisierte die „labile Gesamthaltung“ Schneiderlings im Dienstgeschehen. Nach dieser Unterredung schlug der Stasi-Offizier dem Kommandeur in der 7. Grenzbrigade Magdeburg eine Umsetzung des Majors auf eine sicherheitspolitisch weniger neuralgische Stelle vor. Schneiderling sollte nach Oschersleben versetzt werden. Schneiderling sei „voll damit einverstanden“ gewesen, behauptete der MfS-Offizier später.

Am 31. Oktober 1970 nahm die Standortstreife einen Gruppenführer aus Schnei- derlings Kompanie in einer Gaststätte wegen „ungebührlichen Benehmens“ fest und brachte ihn zur Einheit zurück. Noch in der Nacht versuchte der Gruppenführer mehrmals, mit seinem Kompaniechef zu sprechen, weil er sich ungerecht behandelt fühlte. Doch dazu kam es nicht. Um 4 Uhr morgens, am 1. November 1970, flüchtete der Arretierte in einem unbeobachteten Moment durch die Küche aus der Grenzeinheit. Schneiderling erfuhr davon gegen 5 Uhr. Er ordnete eine Suche nach dem Soldaten im Kasernenbereich an, veranlasste jedoch entgegen der Befehlslage erst zirka eine Stunde später die Abriegelung des Grenzabschnittes. Eine Kontrollstreife entdeckte dort gegen 6.40 Uhr die Spur des Geflüchteten im Abschnitt der 5. Grenzkompanie Marienborn. Er hatte die Minensperre in Richtung Westen kriechend überwunden.

Mittlerweile erhielten auch die vorgesetzten Stäbe die Nachricht von der Fahnenflucht. Gegen 7.30 Uhr trafen der Kommandeur des Grenzregiments Gottschlich und der Kommandeur des Grenzbataillons Oberstleutnant Lehmann bei der Kompanie ein, um sich vor Ort über den Fahnenfluchtfall zu informieren. Eigentlich wollten sie dann gemeinsam mit dem Kompaniechef „die Durchbruchstelle“ besichtigen. Major Schneiderling bestand jedoch darauf, nicht mit zur Grenze zu kommen, da er als einziger Offizier im Kompaniebereich anwesend war und dort seinen Führungsaufgaben nachkommen müsse. Kurz nachdem die beiden Kommandeure die Kaserne verlassen hatten, fand der Unteroffizier vom Dienst der 6. Grenzkompanie Harbke im Heizungskeller der Kaserne seinen Kompaniechef Fritz Schneiderling tot auf. Er hatte sich mit seiner Pistole in die Stirn geschossen, der Schuss war am Hinterkopf wieder ausgetreten. Die Untersuchungsführer des Staatssicherheitsdienstes protokollierten später, die Dienstwaffe lag „situationsgerecht im Bereich der Leiche“. Die Motivation für Schneiderlings Kurzschlusshandlung sah das MfS in dem Verstoß gegen die Befehlslage nach dem Bekanntwerden der Fahnenflucht. Um bei seinen Vorgesetzten nicht unangenehm aufzufallen, habe Fritz Schneiderling bereits in der Vergangenheit verschiedene „Vorfälle verschleiert“. Deswegen befürchtete er nach der Fahnenflucht seines Gruppenführers ernsthafte Konsequenzen. Der Fahnenflüchtige kehrte noch am Nachmittag des gleichen Tages freiwillig wieder in die DDR zurück.


Biografie von Fritz Schneiderling, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/296-fritz-schneiderling/, Letzter Zugriff: 23.04.2024