Logo

Suche im Biographischem Handbuch

Biografisches Handbuch

Klaus-Jürgen Rogge

geboren am 11. November 1941 in der Hansestadt Demmin | ertrunken am 22. Mai 1967 um ca. 3 Uhr im Fluss Mur (Grenzgebiet zwischen Ungarn und Jugoslawien) | Ort des Vorfalls: Nahe der Ortschaft Murakeresztúr (Leichenfundort im Abschnitt B 155/G 165)
Am 22. Mai 1967 morgens um ca. 3 Uhr ertrank der 25jährige gehörlose Klaus-Jürgen Rogge bei dem Versuch, den Fluss Mur (ungarisch: Mura) an der Grenze zwischen der Ungarischen Volksrepublik (UVR) und dem blockfreien Jugoslawien (SFRJ) zu durchschwimmen.

Klaus-Jürgen Rogge wurde 1941 in einer Kleinstadt in der Mecklenburgischen Seenplatte geboren, die in besonderem Maße vom Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Einmarsch der Roten Armee betroffen war. Im Frühjahr 1945 kam es in Demmin zu einem Massensuizid von Einwohnern und Flüchtlingen aus Pommern und Ostpreußen – zumeist Frauen und Kinder. Die Angaben über die Zahl der Selbsttötungen schwanken zwischen fünfhundert und über tausend Personen.

Ob Klaus-Jürgen Rogge Zeuge dieses schrecklichen Geschehens wurde, ob er von Geburt an gehörlos war, oder sein Gehör als Kind verlor, ist nicht bekannt. Seine Eltern lebten in der Demminer Wollweberstraße 15, unweit der Peene. Rogge, der nach dem Schulbesuch als Chemiegraph im Rostocker Ostsee-Druck arbeitete, hielt sich selbst für einen guten Schwimmer. Er lebte in einem Wohnheim in Rostock und war seit 1965 mit dem gleichaltrigen taubstummen Tischler Eckehard H. befreundet, der im „HO Möbelhaus Warnemünde“ arbeitete. Die beiden jungen Männer hatten sich bei einem Ausflug des Gehörlosenverbandes nach Hiddensee kennengelernt. Der Vater von Eckehard H. war seit Kriegsende vermisst und seine Mutter, eine frühere Schankwirtin im „Ostseehotel“ Warnemünde, einige Monate zuvor gestorben.

Vermutlich fassten die beiden gehörlosen jungen Männer bereits 1966 den Plan, gemeinsam über die Ungarische Volksrepublik in die Bundesrepublik Deutschland zu flüchten. Eckehard H. hatte eine Tante in Augsburg und einen Onkel in Hannover. Die Idee, eine Flucht über Ungarn zu wagen, rührte offenbar daher, dass Klaus-Jürgen Rogge sich im Sommer 1966 mit einer jungen, gehörlosen Sportlerin aus Ungarn angefreundet hatte, mit der er seither in Briefkontakt stand.

Am 13. Mai 1967 reisten Klaus-Jürgen Rogge und Eckehard H. mit dem Zug von Rostock nach Budapest, wo sie am 15. Mai 1967 einige Sehenswürdigkeiten und auch Tanzgaststätten besuchten. Ein Vernehmungsprotokoll von Eckehard H. enthält den Hinweis, dass sie ihren Fluchtplan einer Vertrauensperson namens Istvan im Klubhaus des Budapester Taubstummeninstituts offenbarten. Istvan erklärte ihnen, dass er einen „sicheren Weg“ kenne, wie man aus Ungarn herauskäme. Erst kürzlich habe ein ihm bekannter Ungar diesen Fluchtweg gewählt. Nach dem Durchschwimmen der Mur1 müßten sie sich dann „auf dem kürzesten Weg“ nach Ljubljana begeben und beim jugoslawischen Gehörlosenverband melden.

Am 19. Mai 1967 fuhren die beiden jungen Männer mit dem Zug von Budapest über Nagykanizsa nach Murakeresztúr. Hier lebte Rogges Brieffreundin mit ihren Eltern und ihrer ebenfalls gehörlosen Schwester. Die beiden jungen Männer hatten eine Einladung der Familie bei sich. Kurz vor der Ankunft gerieten sie jedoch in eine Grenzkontrolle und wurden am Bahnhof von Nagykanizsa durch einen Streifenpolizisten festgenommen, weil sie das Anliegen ihrer Reise nicht erklären konnten. Die Grenzer reagierten misstrauisch und brachten sie schließlich mit einem Armeelastwagen zur Familie der Brieffreundin. Erst als den Grenzern von der Familie bestätigt wurde, dass es mit der Einladung seine Richtigkeit habe und der Vater der Brieffreundin erklärte, die Haftung und Fürsorgepflicht für die beiden Besucher zu übernehmen, zogen sie sich zurück.

Zwei Tage nach der Ankunft in Murakeresztúr, die die beiden jungen Männer mit Spaziergängen durch das Dorf verbrachten, weckte Klaus-Jürgen Rogge am 22. Mai 1967 gegen 2 Uhr nachts seinen Freund Eckehard H.2 Nachdem sie aus ihrem Schlafzimmerfenster geklettert waren, gingen die beiden etwa eine halbe Stunde am Ufer der Mur entlang, bis sie eine geeignete Stelle gefunden hatten. Hier war der Grenzfluss nur etwa zwanzig Meter breit, führte aber eine starke Strömung. Sie stiegen in voller Bekleidung in den Fluss. Eckehard H. erklärte später, dass es eine enorme Anstrengung gewesen sei, das andere Ufer zu erreichen. Dort angekommen habe er gesehen, dass Klaus-Jürgen Rogge weit abgetrieben und immer noch auf der ungarischen Seite des Flusses war. Dann verlor er ihn aus den Augen.

Am nächsten Tag wartete Eckehard H. bis mittags auf seinen Freund, während seine Kleidung in der Sonne trocknete. Doch Klaus-Jürgen Rogge kam nicht. Schweren Herzens machte sich Eckehard H. alleine auf den Weg in Richtung Ljubljana. Sehr weit kam er allerdings nicht. Als er in einem etwa 25 Kilometer entfernten Dorf bei einem Wirt Geld umwechseln wollte, rief dieser die Miliz. Eckehard H. wurde verhaftete und an die ungarischen Grenzsoldaten des Grenzbezirks Nagykanizsa übergeben. Eine erste Befragung erfolgte in Ungarn bevor Eckkehard H. gemäß des Rechtshilfeabkommens zwischen Ungarn und der DDR an dorthin ausgeliefert wurde. Das Verfahren gegen ihn wurde nach einer psychiatrischen Untersuchung wegen verminderter Schuldfähigkeit eingestellt. Anschließend wurde er am 6. September 1967 dem Arbeitskollektiv des „HO Warenhauses Warnemünde“ übergeben.

Die Leiche von Klaus-Jürgen Rogge wurde am Nachmittag des 24. Mai 1967 auf der jugoslawischen Seite des Flusses Mur entdeckt. Die Obduktion erfolgte einige Tage später in der ungarischen Kreisstadt Nagykanizsa, rund vierzig Kilometer südwestlich des Balatons. Hier wurde Rogge vermutlich auch begraben.


1Der Fluss-Name „Mura“ wird im Slowenischen, Ungarischen und Kroatischen verwendet, während die deutsche Übersetzung des Namens „Mur“ lautet.

2 Den Angaben des Vaters der Brieffreundin Rogges zufolge sollen sie die Wohnung erst zwischen 3 und 4 Uhr morgens verlassen haben. Hier sind die Zeitangaben von Eckehard H. glaubwürdiger.


Biografie von Klaus-Jürgen Rogge, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/285-klaus-juergen-rogge/, Letzter Zugriff: 21.11.2024