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Biografisches Handbuch

Frank Bethmann

geboren am 27. Januar 1961 in Thale | ertrunken vermutlich am 9. Oktober 1989 | aufgefunden am 15. Oktober 1989 am polnischen Oderufer nahe der Ortschaft Górzyca ca. 3500 m nordöstlich von Reitwein, Krs. Seelow, Grenzzeichen 532
BildunterschriftFrank Bethmann
BildquelleDer Spiegel
Quelle: Der Spiegel
Am 15. Oktober 1989 erhielt der Leiter des DDR-Grenzabschnittskommandos zur Volksrepublik Polen ein Telegramm der polnischen Grenzschutztruppen, in dem der Fund einer männlichen Wasserleiche am Ufer der Oder mitgeteilt wurde. Die bei der Leiche aufgefundenen Dokumente enthielten den Namen Frank-Andreas Bethmann aus Thale im Harz.

Frank-Andreas Bethmann wuchs in Thale als Sohn der Lehrerin Christa Bethmann und des Arbeiters Kurt Bethmann auf. Er absolvierte nach Abschluss der 10. Klasse im VEB Eisen- und Hüttenwerk Thale eine Ausbildung zum Werkzeugmacher. Während seiner Lehrzeit versuchte er am 28. Oktober 1979 über die CSSR in die Bundesrepublik zu flüchten. Er wollte zu seinem Onkel und seiner Tante nach Hamburg, die er von Besuchen bei seinen Eltern kannte. Das Vorhaben scheiterte am Grenzübergang Bad Schandau/Schmilka. Dort wurden Frank Bethmann und der ihn begleitende Arbeitskollege aus dem Zug geholt. Bethmann wurde wegen „Versuchs des ungesetzlichen Verlassens der DDR“ zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt. Sein „Mittäter, der ebenfalls eine Haftstrafe verbüßte, erhängte sich“ laut einer Mitteilung der MfS-Kreisdienststelle Quedlinburg während des Strafvollzugs. Nach der Haftentlassung beendete Frank Bethmann seine Lehre und erhielt eine Stelle als Werkzeugmacher im Stanzwerk des VEB Eisen- und Hüttenwerk Thale.

Frank Bethmann heiratete 1982 seine Frau Cornelia, die als Facharbeiterin im gleichen Betrieb arbeitete und ein Kind mit in die Ehe brachte. Nachdem Frank Bethmann gegenüber Arbeitskollegen die Absicht geäußert hatte, einen Ausreiseantrag in die Bundesrepublik zu stellen, leitete das politische Kommissariat (K I) des Volkspolizei-Kreisamtes Quedlinburg nach einem Hinweis des DDR-Staatssicherheitsdienstes im September 1983 unter dem Vorgangsnamen „Schleife“ Ermittlungen gegen ihn ein. Um ihn „unter wirksamer operativer Kontrolle zu halten“ sowie zur „Aufklärung seiner Pläne, Absichten und Vorbereitungshandlungen“ stufte ihn der Leiter der Volkspolizei-Kreisdienststelle, ein Oberstleutnant namens Reinl, als „grenzgefährdet“ ein. Reinl wies sein Kommissariat I an, „zur Person B. eine Kriminalakte anzulegen“ und seinen Ausschluss „aus dem paß- und visafreien Reiseverkehr zu prüfen“. Ein Meister aus dem Arbeitsbereich Bethmanns erklärte sich gegenüber VP-Unterleutnant Sturm dazu bereit, als Kontaktperson (KP) die Kriminalpolizei bei ihren Ermittlungen zu unterstützen. Nach seiner Wahrnehmung sei Bethmann „ein ruhiger, ja teilweise verschlossener Typ“ und „Eigenbrötler“, der im Kollegenkreis kaum jemandem etwas anvertraue. Ihm sei jedoch zu Ohren gekommen, dass Bethmann beabsichtige, einen Scheidungsantrag zu stellen, um zu verhindern, „dass seine Frau in Schwierigkeiten kommt“, wenn er einen Ausreiseantrag stellt.

Als Unterleutnant Sturm sich im April 1984 bei seiner Kontaktperson im Betrieb nach Frank Bethmann erkundigte, erhielt er die Auskunft, dessen Verhalten habe sich deutlich „zum Positiven geändert“. Man könne „sich gegenwärtig keinen besseren Arbeitskollegen wünschen“. Bethmann habe offenbar seinen „Tiefpunkt“ überwunden und beteilige sich sogar an der FDJ-Arbeit. Durch eine Überprüfung „im Zeitraum der Sicherungsperiode Wahlen 1984“ ermittelte der Kripomann außerdem beim Rat der Stadt Thale, dass Frank Bethmann mit seiner Ehefrau vor Antritt einer Urlaubsreise „im Sonderwahllokal von seinem Wahlrecht Gebrauch gemacht hat“. Angesichts dieser Ermittlungsergebnisse verfügte VP-Unterleutnant Sturm die Archivierung des Ermittlungsvorgangs mit der Begründung, die „Verdachtsgründe gem. § 213, (3) Ziff. 6 StGB bestätigten sich nicht. Voraussetzungen einer weiteren operativen Bearbeitung sind daher nicht mehr gegeben“. Nach Informationen des DDR-Staatssicherheitsdienstes leistete Frank Bethmann 1984 und 1985 seinen Wehrdienst beim Pionierbaubataillon 22 der Nationalen Volksarmee am Standort Biesdorf ab, ohne dort negativ aufzufallen. Er sei wegen guter Leistungen sogar mehrfach ausgezeichnet worden.

Am 18. Juli 1989 leitete die Kreisdienststelle Quedlinburg des DDR-Staatssicherheitsdienstes unter dem Vorgangsnamen „Winde“ eine Operative Personenkontrolle (OPK) gegen Frank Bethmann ein. Zur Begründung der im Rahmen des „Kampfauftrags Jubiläum 40“ eingeleiteten Überwachungsmaßnahmen heißt es: „Der B. stellte am 23.5.89 einen schriftlichen Antrag auf Ausreise aus der DDR beim Rat des Kreises Quedlinburg, Abt. Innere Angelegenheiten. In seiner Begründung bezieht er eine ablehnende Haltung zu den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen in der DDR.“ Nach Bethmanns Ehescheidung sei nun auch eine familiäre Bindung an die DDR entfallen. Als „Zielstellung der OPK“ legte das MfS fest: „Verhinderung von öffentlichkeitswirksamen Handlungen / Erarbeitung von Hinweisen und Beweisen zu strafrechtlich relevanten Handlungen / Zurückdrängung des Antrages auf Ausreise”. Ein Inoffizieller Mitarbeiter des MfS (IMS) mit Decknamen „Hermann“ erhielt den Auftrag, „tägliche Vollzugsmeldungen über die Anwesenheit der OPK am Arbeitsplatz sowie operativ beachtenswerte Informationen” abzugeben. „Täglich bis 10.00 Uhr erfolgt durch den Meister im Werk Koll. […] die Anwesenheitsmeldung der OPK ‚Winde‘ am Arb-Platz.“ Der Meister erklärte sich außerdem bereit, auf Bethmann einzuwirken, um ihn von seinem Ausreiseantrag abzubringen.

Am 12. September 1989, einen Tag nachdem die Volksrepublik Ungarn ihre Westgrenze für DDR-Bürger geöffnet hatte, beschloss das SED-Politbüro eine Überprüfung „der Ausreisemodalitäten“ nach Ungarn. „Gefährdeten Bürgern der DDR ist nach interner Kontrolle durch die zuständigen Organe die Ausreise nicht zu genehmigen.“ 

Am folgenden Tag ordnete der Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke, in einem „Maßnahmeplan zum rechtzeitigen Erkennen und zur vorbeugenden Verhinderung des Mißbrauchs von Reisen nach der bzw. durch die Ungarische Volksrepublik“ an, „alle Reiseanträge nach Ungarn, Bulgarien und Rumänien“ seien zentral zu überprüfen, um den MfS-Kreisdienststellen personenbezogene „Versagungsgründe“ zu übermitteln. Das betraf auch Frank Bethmann. Am 15. September 1989 teilte die Volkspolizei ihm mit, dass seine bereits ausgestellte Genehmigung für eine Reise nach Ungarn für die Zeit vom 23. Oktober bis zum 27. Oktober 1989 zurückgenommen wurde. IMS „Hermann“ berichtete vier Tage später über seinen erfolglosen Versuch, Bethmann von seinem Ausreisantrag abzubringen. Am 6. Oktober 1989 – dem Vorabend des 40. Jahrestags der DDR-Gründung – begab sich der in die Überwachung Bethmanns eingebundene Meister des VEB Eisen- und Hüttenwerks nach der Arbeit zu Bethmanns Wohnung und stellte fest, dass alle Fenster verschlossen waren und Bethmann sich nicht zu Hause aufhielt. Am Montag, dem 9. Oktober 1989, erschien Frank Bethmann nicht mehr zur Arbeit.

Am Sonntag dem 15. Oktober 1989 meldete die polnische Grenzschutzbrigade Lubiąż (Leubus), ein Angler habe um 10:30 Uhr in der Nähe des Dorfes Górzyca eine Wasserleiche entdeckt. Die bei dem Toten aufgefundenen Papiere lauteten auf den Namen Franz Bethmann aus Thale. Die Staatsanwaltschaft Slubice habe die Überführung des Leichnams in das dortige Leichenschauhaus angeordnet. Die polnischen Obduzenten der Wasserleiche vermuteten, dass Frank Bethmann am 9. Oktober 1989 in der Oder ertrunken ist. Die NVA-Grenzbrigade Frankfurt/Oder meldete dem Kommando der DDR-Grenztruppen am Mittag des 15. Oktober 1989 die Übergabe der bei dem Toten aufgefundenen Personalpapiere durch einen polnischen Kontaktoffizier.

Es sollte fast drei Monate dauern, bis Frank Bethmanns Eltern Gewissheit über die Todesursache ihres Sohnes erhielten. Nachdem sie bei der Volkspolizei in Quedlinburg und der Abteilung Inneres des Rates der Stadt seit dem 16. Oktober 1989 auf eine Überführung der Leiche ihres Sohnes gedrängt und sich zur Übernahme der Kosten bereit erklärt hatten, erfolgte am 2. November 1989 die Überführung der sterblichen Überreste Frank Bethmanns von Słubice nach Berlin. Der VEB Städtisches Bestattungs- und Friedhofwesen Berlin vertröstete Bethmanns Eltern unter Hinweis auf die Entscheidung der Staatsanwaltschaft und der Gerichtsmedizin um weitere vier Tage. Doch auch am 7. November 1989 gab die Gerichtsmedizin die Leiche noch nicht frei und empfahl eine Einäscherung in Berlin. Dem stimmten die Eltern am 8. November per Einschreiben zu. Am 13. November 1989 teilte das Bestattungswesen aus Berlin telefonisch mit, dass die Leiche noch immer nicht freigegeben sei. Daraufhin fuhren Kurt und Christa Bethmann selbst nach Berlin und erhielten vom VEB Bestattungswesen fünf Sterbeurkunden, auf denen als Todestag das Datum der Leichenbergung am 15. Oktober 1989 eingetragen war. Über die Todesursache teilte ihnen auf Nachfrage eine Mitarbeiterin des Bestattungswesens „Tod durch Ertrinken“ mit. Am 6. Dezember 1989 reagierte die DDR-Staatsanwaltschaft auf die Bitte der Eltern um die Übersendung eines Obduktionsprotokolls. Staatsanwalt Schuck schrieb ihnen, er habe bei dem 2. Generalstaatsanwalt der Volksrepublik Polen um die Übersendung des Obduktionsprotokolls nachgesucht. Dieses schickte DDR-Konsul Sachs am 11. Dezember aus dem Generalkonsulat Szczecin dann über die Hauptabteilung Konsularische Angelegenheiten des DDR-Außenministeriums an die DDR-Generalstaatsanwaltschaft. Dort ließ man die Weihnachtszeit verstreichen und übermittelte am 27. Dezember 1989 der Staatsanwaltschaft des Bezirks Halle die „Unterlagen in der Leichensache Frank Bethmann mit der Bitte, durch die Kreisstaatsanwaltschaft Quedlinburg mit den Eltern ein entsprechendes Gespräch zu führen“.

Bei der Urnenbeisetzung in Thale sagte die Pfarrerin in ihrer Predigt: “Es kann kein Trost sein, dass jetzt – viel zu spät – einige von denen zur Verantwortung gezogen und bestraft werden, die mit Schuld daran haben, dass so viele das Land verließen. Zu spät für Frank Bethmann und für viele andere, die mitten im scheinbaren Frieden an der Grenze ihr Leben verloren.”


Biografie von Frank Bethmann, Biografisches Handbuch "Eiserner Vorhang" https://todesopfer.eiserner-vorhang.de/article/280-frank-bethmann/, Letzter Zugriff: 21.11.2024