Der gelernte Elektromonteur Rainer Heinz Weiß, ledig, Mitglied der FDJ, diente seit dem 3. Mai 1969 als LMG-Schütze bei den Grenztruppen, zuletzt in der 4. Kompanie des I. Bataillons, Grenzregiment 10. Die erste Zeit des Armeedienstes empfand der junge Mann als „sehr hart”. Er war als Einzelkind in einer Arbeiterfamilie aufgewachsen, sein Vater war Dreher bei der Reichsbahn, seine Mutter Krankenhausangestellte. Nach dem Abschluss der Allgemeinbildenden Polytechnischen Oberschule in Aue begann er 1966 eine Lehre bei der Firma PGH-Elektrobau Aue als Elektromonteur. Er galt als einer der besten Lehrlinge der Firma. Für den Dienst an der Grenze schien er geeignet, da er in betrieblichen Beurteilungen als „fleißiger, aufgeschlossener Arbeiter” und „zuverlässiger Bürger” beschrieben wurde, der „eine vorbildliche Arbeitsmoral” gezeigt habe. Nach dem Wehrdienst wollte Rainer Weiß sich zum Elektromeister qualifizieren.
Der Staatssicherheitsdienst warb Weiß bei den Grenztruppen im September 1969 als Geheimen Mitarbeiter (GMS) an. Er sollte Kameraden beobachten, zur Verhinderung von Fahnenfluchten und zur „Bekämpfung der PID” [Politisch-Ideologische Diversion] beitragen. Nach Aufzeichnungen seines Stasi-Führungsoffiziers berichtete er „ehrlich und objektiv”. Seine Aufgaben im Grenzdienst erledigte Weiß nach dem Urteil seiner Vorgesetzten mit „guten Ergebnissen”, weshalb er zeitweilig als stellvertretender Gruppenführer zum Einsatz kam. Er sei „ruhig, willig und im Kollektiv freundlich und hilfsbereit”. Die Vorgesetzten beurteilten ihn aber auch als schüchtern und ohne engere Beziehungen zu anderen Soldaten. Dadurch sei er in eine Außenseiterrolle geraten.
Seit Dezember 1969 verhielt sich Rainer Weiß gegenüber seinen Kameraden noch zurückhaltender. Auf kleine Hänseleien reagierte er „nervös”. Nachdem er sich über die unzureichende Kommunikation innerhalb der Gruppenführung beklagt hatte, wurde es aus seiner Stellung als stellvertretender Gruppenführer wegen angeblich undisziplinierten Verhaltens abgelöst. Die Rückstufung muss ihn sehr getroffen haben. Im Kameradenkreis sprach man darüber, dass er sehr unsicher und „ohne Mumm” auftrete. Bei seinem letzten Wochenendurlaub Anfang Januar 1970 beklagte er sich Zuhause mehrfach über seine Zimmerkameraden, die sich von jüngeren Soldaten bedienen ließen. Seiner Freundin fiel auf, dass er schweigsam und in sich gekehrt war und nur auf Zureden selbst etwas sagte.
Mit seinem Postenführer Walter S. kam Rainer Weiß in der Nacht vom 12. auf den 13. Januar 1970 an der Grenze nahe Heinersgrün im Abschnitt „am Damm” zum Einsatz. Gegen 1.50 Uhr begab sich der Postenführer zum Telefon des Grenzmeldenetzes, um dem Führungspunkt der Grenzkompanie die Annäherung der Ablösung zu melden. Als er den Hörer abnahm, entriss ihm Weiß von hinten die Maschinenpistole und schoss sich damit in den Kopf.
Rainer Weiß hatte am 8. Januar 1970 einen Abschiedsbrief an seine Eltern verfasst und am 11. Januar einen weiteren an seine Freundin. Darin beklagte er, alle würden über ihn lachen, was er sich selbst zuzuschreiben habe. Er könne sich niemand mit seinen Problemen anvertrauen. Aus Sorge, sein Nachlass in Höhe von 40 Mark würde nach seinem Tod gestohlen, legte er das Geld dem Abschiedsbrief an seine Eltern bei. Ein Zimmerkamerad beschrieb Weiß später als vergesslich, kontaktlos, unruhig und ängstlich. Er habe sich bei ihm über „wenig Freiheit” und die anstrengende Ausbildung im Grenzdienst beklagt. Zuweilen habe sein Verhalten etwas Zwanghaftes gehabt, so etwa sein ständiges Putzen der Schuhe oder häufiges Aufräumen des Spindes. Andere Soldaten machten sich öfter über seinen „komischen Gang” lustig und zogen ihn damit auf. Am 13. Januar 1970, dem Tag seines Suizids, sollte Rainer Weiß auf einer FDJ-Versammlung vor seinen Kameraden zu seinem Verhalten Stellung beziehen.
Die Untersuchung des Suizids durch die Grenztruppen kam zu dem Ergebnis, eine „seelische Depression“ habe zu der Tat geführt. Die Ursachen seien nicht beim „militärischen Kollektiv” zu suchen, sondern in persönlichen Problemen und Schwierigkeiten begünstigt „durch ungenügendes Selbstvertrauen zu seinen Fähigkeiten und die Hilfe des Kollektivs sowie seinen labilen Charakter”. Es wurde vorgeschlagen, dass an der Beisetzung von Rainer Weiß eine Kranzdelegation der 4. Grenzkompanie teilnimmt.