Seine Leidenschaft galt der Rockmusik und dem Fußball. Frank Bretfeld sammelte Schallplatten und führte akribisch eine Kartei, in der er die Namen von Rockbands, deren Platten und die im Westradio gehörten Songs eintrug. Beim örtlichen Fußballverein BSG Lokomotive Pockau gehörte der talentierte Spieler zu den Leistungsträgern der Mannschaft. Eine Zeitlang leitete er dort eine Trainingsgruppe. Sein Abiturzeugnis hebt „überdurchschnittliche Leistungen in den naturwissenschaftlichen Disziplinen” und die „guten Plätze bei der Mathematikolympiade” hervor. Die Beurteilung seines politischen Engagements fiel hingegen zwiespältig aus. Als stellvertretender FDJ-Sekretär sei er zu inaktiv gewesen. „Hier fehlte ihm das nötige Durchsetzungsvermögen auf Grund zu geringer Vorbildwirkung im Gesamtverhalten.”
Nach seinem Abitur wurde Frank Bretfeld am 3. November 1978 zu den Grenztruppen einberufen. Die Zulassung für ein Maschinenbaustudium an der TU Dresden lag ihm für die Zeit nach dem Wehrdienst bereits vor. Er schien den Sicherheitsorganen für den Dienst im Grenzsperrgebiet geeignet, da er sich politisch in der FDJ engagiert hatte, außerdem gehörte er der GST, dem FDGB, der DSF und dem DDR-Sportbund (DTSB) an. Von keiner Seite gab es negative Hinweise über ihn. Der Dienst bei den Grenztruppen fiel ihm allerdings schon bald schwer. In Gesprächen mit Angehörigen und in Briefen beklagte er den rauen militärischen Alltag. Seine Vorgesetzten beurteilten Bretfeld als sensibel und zurückhaltend.
Am Abend des 20. August 1979 versetzte ein Grenzalarm den 19-jährigen Frank Bretfeld in Aufregung. Er war in der 5. Grenzkompanie Geisa zur Nachtschicht im Kompaniegebäude eingeteilt. Dort schreckte ihn um 22.05 Uhr ein Grenzalarm hoch. Nach Mitternacht kehrten mehrere Grenzposten zur Kaserne zurück. Sie erzählten ihm vom schrecklichen Geschehen in dieser Nacht: Etwa eine Stunde nach dem Grenzalarm hatten sie einen schwer verletzten Flüchtling aus einem Minenfeld geborgen. Es handelte sich um Johannes F., dem eine Mine nahe der Straße von Geisa nach Rasdorf beide Beine vollständig zerfetzt hatte. Die Schilderung des Zwischenfalls durch seine Kameraden verstörte Frank Bretfeld zutiefst.
Am folgenden Abend zwischen 18 und 20 Uhr saß er in seiner Stube und schrieb zwei Briefe, den einen an seinen Vater, den anderen an seine Freundin Petra. In beiden Briefen ist von dem verletzten Flüchtling die Rede. „Unterhalb der Hüfte war bei ihm alles zermatscht. Die Kontrollstreife hat ihn [sich] vor Schmerzen krümmend auf dem Kolonnenweg liegen sehen”, von zahlreichen Splittern getroffen. „Die ihn dann so blutig auf dem Kolonnenweg liegen haben sehen, bekommen bestimmt Sonderurlaub. Jetzt kommt er erst mal in [den] Knast und danach läuft er als Krüppel ‘rum. Das hat er davon! Er hatte das Pech, daß gerade die Minenanlage eingeschaltet war!” Abgesandt hat Bretfeld die Briefe nicht. Mit Adressen versehenen und bereits frankiert fand man die Umschläge später in seinem Spind.
Am folgenden Tag, dem 21. August 1979, gegen 20.52 Uhr vernahmen Soldaten der Grenzkompanie Geisa einen Feuerstoß aus einer MPi und drei kurze Schreie. Ein Gefreiter eilte sofort zum Ort des Geschehens und fand hinter dem Kasernengebäude Frank Bretfeld – auf dem Rücken liegend, seine Waffe, mit der er sich in die Brust geschossen hatte, lag neben ihm. Die Wiederbelebungsversuche des herbeigeeilten Gefreiten blieben ohne Erfolg. In einem Bericht der MfS-Hauptabteilung I über die „Selbsttötung eines Angehörigen der Grenztruppen durch Anwendung der MPi” vom 24. August 1979 heißt es, „inoffiziell” sei ermittelt worden, „daß B. Angst hatte, ein sogenannter ‚Versager‘ zu sein. Er benahm sich mitunter sehr tollpatschig und machte immer wieder ungewollt Fehler. Sein sensibler Charakter ließ es auch nicht zu, sich anderen Personen anzuvertrauen. Bei Gelegenheiten, sich ‚beweisen‘ zu wollen, erreichte er oft das Gegenteil, was ihn sehr stark bewegte. Anlaß für derartiges Verhalten wurde ihm seitens der Angehörigen seiner Einheit nicht gegeben.” Er habe sich auch benachteiligt gefühlt, weil er erst seit dem 8. Juli 1979 in der Einheit war und sich nicht so gut im Grenzabschnitt auskannte wie seine Kameraden. In Briefen an seine Freundin und seinen Vater habe Bretfeld von „dem Vorkommnis der Verletzung eines Grenzverletzers beim Versuch des Überwindens der pioniertechnischen Anlagen vom Vortag” berichtet. „Die inoffiziellen Überprüfungen ergaben weiter, daß ihn das vorgenannte Vorkommnis stark beschäftigte und er zum Ausdruck brachte, daß ihm der Grenzverletzer leid tun würde, da er sich so stark an den Beinen verletzt hat.” Die Selbsttötung Bretfelds habe die Stimmung in der Kompanie stark beeinflusst. Deswegen sei „verstärkte politisch-ideologische Arbeit unter dem Personalbestand der 5. GK durch Einsatz von Offizieren des Stabes” angeordnet worden.
Die Einschätzung des DDR-Staatssicherheitsdienstes hält einer kritischen Prüfung des Falles wenig stand. So kam Frank Bretfeld, nach der Erinnerung seines zwei Jahre jüngeren Bruders Axel, gar nicht „im Grenzabschnitt” zum Einsatz, sondern nur im rückwärtigen Kompaniebereich. Vermutlich wusste die Stasi über Bretfelds Vorliebe für westliche Radioprogramme Bescheid und hielt seinen direkten Einsatz an der Grenze für zu riskant. Auch ist es unwahrscheinlich, dass ausgerechnet ein guter Sportler wie Frank Bretfeld in der Truppe als „tollpatschig” aufgefallen sein soll.
Am Abend des 22. August 1979 erhielt Bretfelds Familie Besuch von zwei Zivilisten, bei denen es sich vermutlich um MfS-Leute handelte. Sie überbrachten die Todesnachricht und hielten die Angehörigen dazu an, über die Todesumstände Stillschwiegen zu bewahren. Bretfelds Vater brach nach dem Erhalt der Nachricht zusammen und musste in ein Krankenhaus eingeliefert werden.
Eine Todesanzeige für Frank Bretfeld durfte nur unter der Bedingung erscheinen, dass sie keine Erwähnung der Todesursache enthielt und eine Danksagung für den Truppenteil „Florian Geyer”. Durch den vertraulichen Hinweis eines Bestatters, der eine Wunde im Rücken des Leichnams gesehen hatte, bestanden bei den Angehörigen starke Zweifel an den ihnen mitgeteilten Todesumständen.
Auch für Axel Bretfeld blieb der Tod seines Bruders ein Rätsel. Er stellte Jahre später einen Ausreiseantrag und verließ die DDR. Bei der Einsichtnahme in die zu seiner Person überlieferten Stasi-Unterlagen offenbarte sich ihm, wie intensiv er selbst nach dem Tod seines Bruders als „Sicherheitsrisiko” beobachtet und bespitzelt worden ist.